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„Mathematik hat keine Grauzonen“ – Alexandra Carpentier forscht an der Schnittstelle von Statistik und Informatik

Prof. Dr. Alexandra Carpentier
Photo : Thomas Roese
Prof. Dr. Alexandra Carpentier

Wer würde das nicht gern können: einen Blick in die Zukunft werfen? Für Prof. Dr. Alexandra Carpentier sind richtige Vorhersagen kein Hokuspokus. Sie benötigt dafür weder eine Glaskugel noch Karten oder Kaffeesatz. Ihr Werkzeug sind mathematische Modelle. Diese stecken hinter jeder Wettervorhersage, in Wahlprognosen oder Modellen zum Klimawandel. Mit ihnen ist der Blick in die Zukunft bereits heute in vielen Bereichen möglich und wird mit künstlicher Intelligenz optimiert. Das Geheimnis sind die richtigen Algorithmen, mit denen die Modelle Unmengen von Daten verarbeiten und am Ende vorhersagen können, wie das Wetter wird, ob ein Medikament die gewünschte Wirkung entfaltet oder wie sich das Aktienportfolio entwickelt.

Alexandra Carpentier kennt sich mit diesen Algorithmen aus. Die 35-jährige Professorin ist Mathematikerin und Statistikerin und leitet seit Ende 2021 die Arbeitsgruppe Mathematical Statistics and Machine Learning am Institut für Mathematik. In Potsdam ist die gebürtige Französin keine Unbekannte: 2015 war sie schon einmal hier, wechselte auf eine Professur an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und kehrte nach vier Jahren zurück nach Potsdam. Seit 2015 leitet sie auch eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe, die daran forscht, Anomalien und Unregelmäßigkeiten in verschiedenen Systemen effizient zu erkennen. Damit liefert die Gruppe wichtige Grundlagen für verschiedenste Anwendungen: Mit den entwickelten mathematischen Instrumenten könnten etwa Spekulationsblasen rasch erkannt oder Bild- und Sprachverarbeitung optimiert werden.

Alexandra Carpentiers Forschung, für die sie 2020 mit dem Von Karven-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgezeichnet wurde, liegt an der Schnittstelle von mathematischer Statistik und maschinellem Lernen. „Mathematische Preise werden in diesem Bereich nicht häufig vergeben“, erzählt sie und freute sich deshalb umso mehr. Ihre Arbeit gibt wichtige Impulse für die Digitalisierung und die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Mit ihren Methoden prüft sie etwa, ob die verwendeten Algorithmen stabil sind und sich für das Training künstlicher Intelligenz gut eignen. Auch neue Methoden der mathematischen Statistik entwickelt die Forscherin, um Schnelligkeit und Genauigkeit der Berechnungen zu erhöhen.

Die wichtigsten Stellschrauben sind dabei die Algorithmen. Diese sollten möglichst genau, aber dabei nicht zu ressourcenintensiv sein. Denn je ressourcenintensiver sie aufgebaut sind, desto länger dauert der Rechenprozess und desto mehr Rechenkapazitäten sind erforderlich. „Wir wollen einen guten Kompromiss zwischen Schnelligkeit und Genauigkeit finden“, erklärt Carpentier.

Ihre aktuellen Forschungsfragen zu korrekten Vorhersagen bearbeitet die Mathematikerin mit ihrem Team im DFG-geförderten Sonderforschungsbereich Data Assimilation. „Im Prinzip kann man durch Data Assimilation Vorhersagefehler minimieren“, erklärt sie. Denn Daten – so umfangreich sie auch sein mögen – sind immer unvollständig und mathematische Modelle stets vereinfachte Abbilder der Realität.

Logik, Klarheit, eine gewisse Strenge – all diese Eigenschaften der Mathematik faszinieren Alexandra Carpentier. Aber eine Leidenschaft für ihr Fachgebiet entwickelte sie erst spät. „Als Schülerin mochte ich Mathe nicht so sehr“, erinnert sie
sich. „Es war nicht so spannend, eher etwas langweilig.“ Im Studium wurde es dann aufregender und die Wissenschaftlerin fühlte sich in der Welt der Zahlen, Formeln und statistischen Anwendungen wohl: „Mathematik ist logisch, in sich
geschlossen und hat keine Grauzonen. Für mich ist sie einfacher als alle anderen Wissenschaften. Man muss nicht so viel streiten: Entweder es ist wahr oder es ist falsch.“

Einfach ist die Mathematik deshalb aber noch lange nicht. „Ein sehr guter Arbeitstag ist, wenn meine Kolleginnen und Kollegen und ich ein Problem nach monatelanger oder sogar jahrelanger Arbeit lösen können“, sagt Alexandra Carpentier. Gerade erst haben ein PhD-Mitarbeiter und ein Kollege gemeinsam mit ihr eine solche „harte Nuss“ geknackt: „Ich war noch nie mit so einem schweren Problem konfrontiert“, sagt sie rückblickend. Zwei Jahre lang brüteten sie zusammen über einem Statistik-Problem, das sie schließlich mit viel Geduld lösen konnten. „Es ist wichtig, sich die Zeit zum Nachdenken zu nehmen, das Problem auch mal mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier zu visualisieren und es so stark wie möglich zu vereinfachen, um es zu verstehen.“

Als Arbeitsgruppenleiterin mit demnächst sechs Mitgliedern sind die Tage, an denen sie ausreichend Zeit und Ruhe hat, um ganz in ein Problem zu versinken und Denkblockaden zu lösen, selten geworden. Ihr Anspruch an die eigene Führungsrolle ist hoch: „Ich möchte, dass sich alle wohlfühlen – auch wenn nicht immer sicher ist, ob das gelingt.“ Frauen als Chefinnen – das sei in ihrem Fachgebiet immer noch die Ausnahme, sagt sie bedauernd. Als Nachwuchswissenschaftlerin habe sie durchaus Benachteiligung erlebt. „Das ist besonders schwierig, wenn man auf der Karriereleiter noch unten steht. Jetzt, als Führungskraft, ist es anders. Man ist unabhängiger von Entscheidungen, die andere treffen.“ In die Zukunft blickt sie – diesmal ganz ohne mathematisches Modell – optimistisch: „Ich beobachte, dass sich viele Männer heute mehr für Gleichstellung interessieren und vielleicht auch ein bisschen sensibler geworden sind.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).