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„Ich möchte aus Unterschieden Synergien entwickeln“ – Universitätsstipendiatin Sophie Domres

Ein Stipendium, viele Gesichter

Universitätsstipendiatin Sophie Domres | Foto: Sandy Bossier-Steuerwald
Photo : Sandy Bossier-Steuerwald
Universitätsstipendiatin Sophie Domres

Sandy Bossier-Steuerwald sprach mit Universitätsstipendiatin Sophie Domres über ihr Studium Internationale Beziehungen, ihr Engagement für „Women Empowerment“ und Dinge, die sie geprägt haben.

Wer hat Sie im Leben nachhaltig geprägt?

Das ist schwer an einer spezifischen Person auszumachen, da mich viele Begegnungen in meinem Leben nachhaltig geprägt und inspiriert haben. Ich denke aber bei dieser Frage hauptsächlich an meine Mutter, die sich nach einer schwierigen Beziehung getraut hat, mit drei Kindern einen Neuanfang zu wagen - um meinen Schwestern und mir Vorbild zu sein und für sich selbst einzustehen. Feminismus lebt nicht nur von klugen Theorien, sondern von Handlungen und Dingen, die wir an andere Menschen weitergeben. Meine Mutter hat mir gezeigt, dass es wichtig ist, sich gegen Ungerechtigkeit einzusetzen, mit dem Herzen zu sehen und mutig zu sein. Auch mal gegen den Strom zu schwimmen und für das eigene Glück. Ohne ihren gelebten Feminismus wäre ich heute sicher nicht so mutig. Ich hätte mich nicht getraut an die Universität oder ins Ausland zu gehen oder mich für unerreichbar erscheinende Praktikumsstellen oder Stipendien zu bewerben.

Wie kam es zu Ihrem Entschluss, Internationale Beziehungen zu studieren?

2013 ging ich nach Puebla/ Mexiko um vor Ort in der Schule Spanisch zu lernen und mich tiefergehend mit der mexikanischen Kultur zu befassen. Besonders Physik- und Mathekurse stellten eine riesige Herausforderung dar. Zudem waren auch die Lebensbedingungen anders, als in dem kleinen Dorf im Ruhrgebiet, aus dem ich kam.

In den ersten Tagen in Mexiko hat mir meine Gastmutter beigebracht, wie ich bei einem Überfall oder im Falle eines Erdbebens reagieren soll. Zudem wurde ich erstmals mit krasser Armut konfrontiert: Meine Gasttante hat in einem verarmten Vorort von Mexiko-Stadt gelebt, wo ich regelmäßig mit meiner Gastfamilie zu Besuch war. Ich empfand diese Situation einfach unfassbar ungerecht und habe mich geärgert, dass es Strukturen auf der Welt gibt, die Armut auslösen und/oder befördern.

Erstmals wurde ich mir meiner eigenen Privilegien sehr bewusst. Ich begann zu hinterfragen, warum es ungleiche Strukturen sowohl innerhalb als auch zwischen Ländern gibt und warum sie scheinbar passiv akzeptiert werden. Im Politikunterricht haben wir dann über die Vereinten Nationen (UN) gesprochen. Wieder zurück in Deutschland habe ich die Biographie des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan gelesen, die mir sehr imponierte. Er hatte Internationale Beziehungen studiert und nun stand für mich fest, dass auch ich Internationale Beziehungen studieren will.

„Gleichberechtigung ist keine Option, sondern ein Recht!“ - Was bedeutet das bzw. in Ihrem Sinne für alle Menschen ganz konkret?

In meinen Augen sollte die Gleichberechtigung aller Menschen die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens sein. Wenn dem nicht so ist, werden einige Gruppen marginalisiert, beziehungsweise haben weniger Partizipationsmöglichkeiten und Chancengleichheit. Für mich ist es aus einer moralischen Perspektive keine Frage, über die man überhaupt diskutieren muss.
In der Praxis sieht es dagegen oft anders aus. Der Hochschulbildungsreport 2020 zeigt, dass sowohl die familiäre Herkunft als auch der Bildungstand der Eltern einen enormen Einfluss auf die Bildungschancen eines Kindes haben. Von hundert Kindern aus nichtakademischen Haushalten schließen nur acht Prozent ein Masterstudium ab - aus akademischen Haushalten sind es dagegen 45 Prozent. Eine aktuelle Statistik des Bundesministeriums für Familie, Seniorinnen und Senioren, Frauen und Jugend zu häuslicher Gewalt belegt zudem, dass Opfer von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in festen Beziehungen in 98,1 Prozent weiblich sind … Weitere Beispiele kann ich aus persönlicher Perspektive nennen: So ist es für mich in Seminaren oft eine Hürde mitzudiskutieren, da ich das Gefühl habe, dass sich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen viel wortgewandter ausdrücken können, da sie bereits früher mit der akademischen Sprache konfrontiert wurden als ich. Oder wenn ich nachts alleine durch die Stadt muss, überlege ich mir vorher genau, welche Verbindung am schnellsten geht oder denke über eine persönliche „Sicherheitsstrategie“ nach. Diese Liste könnte ich noch weiterführen…

Welche Gedanken haben Sie, wenn Sie sich in Ihrem Umfeld umsehen und dabei an Ihr Herzensprojekt für „Women Empowerment“ denken?

Das Schöne am Feminismus ist, dass er stetige Weiterentwicklung und Selbstreflexion bedeutet, weswegen ich gerne von „People Empowerment“ rede. Der Begriff des Empowerments setzt irgendwie voraus, dass man nicht stark ist, dabei sind viele Menschen, denen Unterdrückungsstrukturen begegnen, oft unglaublich stark! Es sind die gesellschaftlichen Hierarchien und Erwartungen, die einen in eine Position drücken und dazu führen, dass man weniger sichtbar ist, als jene Gruppen, die, auch wenn nicht immer bewusst, solche Hierarchien (re)produzieren. Mit „People Empowerment“ meine ich daher, dass wir ein generelles gesellschaftliches Bewusstsein für verschiedene Machtstrukturen und Intersektionalität entwickeln und lernen, dass verschiedene soziale Kategorien nicht separat voneinander existieren, sondern sich gegenseitig verstärken können.

Wo sehen Sie diesbezüglich noch Handlungsbedarf?

Ich begrüße, dass in den letzten Jahren für einige Dinge ein größeres Bewusstsein geschaffen wurde, beispielsweise für einen inklusiven und reflektierten Sprachgebrauch. Handlungsbedarf sehe ich persönlich in dem Punkt, dass ich mich oft als Frau einer Arbeiter*innenfamilie für „unübliche“ Lebensentscheidungen rechtfertigen muss. Gesellschaftlich finde ich es schwer, dass die Gleichberechtigung oft vom Frauenanteil in der Arbeitswelt bzw. in Führungspositionen abhängig gemacht wird.

Wenn Frauen oder nicht-binäre Personen von sexueller oder sexualisierter Gewalt berichten, wünsche ich mir, dass zugehört wird. Wenn sich Personen entscheiden, Kinder zu bekommen, würde ich mich freuen, wenn das durch flexible Arbeitsmodelle nicht zu Lasten des Traumberufes gehen muss. Chancengleichheit ist zudem meiner Meinung nach in Deutschland nicht nur geschlechtsabhängig, sondern verläuft auch an der Intersektion mit Migrationsgeschichten, Sexualitäten, wirtschaftlichen Möglichkeiten oder körperlichen Beeinträchtigungen und vieles mehr. Menschen sollten über Profite gestellt werden und nicht umgekehrt. Im Grunde träume ich von gesellschaftlicher Solidarität, die darauf beruht, dass wir die Unterschiede untereinander als wertvoll anerkennen und daraus Synergien entwickeln.

Sophie Domres wird seit Oktober 2019 durch die Dr. Hermann Schmitt-Vockenhausen Stiftung mit dem Potsdamer Universitätsstipendium gefördert.

Das Potsdamer Universitätsstipendium

Werden Sie Bildungsbotschafter für die Uni Potsdam und geben Sie Studierenden die Chance zu wachsen

Während wir uns vorsichtig auf die anstehenden Sommerferien freuen, fragen sich viele Studierende, wie sie das nächste Semester finanzieren sollen. Daher hat die Uni Potsdam die Aktion „Bildung statt Blumen“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, zum 30. Geburtstag der Universität 30 Jubiläumsstipendien für in finanzielle Not geratene Studierende einzuwerben. Jede Spende wird vom Bund verdoppelt und kommt zu 200 Prozent bei den Betroffenen an. Unsere Bitte: Werden Sie unsere Botschafter, indem Sie über diesen Aufruf in Ihrem Unternehmen, mit Freunden oder Mitgliedern Ihres Vereins sprechen. Schließen Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen zusammen und fördern Sie mit einem Jubiläumsstipendium gezielt Studierende eines bestimmten Studienfachs. Jeder Beitrag zählt und ist ein schönes Geburtstagsgeschenk für die Universität.
https://www.uni-potsdam.de/universitaetsstipendium/bildung-statt-blumen

Studierende können sich bis zum 25. Juli auf ein Potsdamer Universitätsstipendium bewerben

Vom 1. Juli bis 25. Juli 2021 findet die Bewerbungsphase für das Potsdamer Universitätsstipendium im Rahmen des Deutschlandstipendien-Programms statt. Die Höhe des Stipendiums beträgt 300 Euro monatlich und wird jeweils zur Hälfte aus Mitteln des Bundes und Mitteln von privaten Förderern finanziert. Die Stipendien werden zum Wintersemester 2021/22 für ein Jahr vergeben. Bewerben können sich alle immatrikulierten Studierenden jeglicher Fachrichtungen unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien. Besonders lohnt sich die Bewerbung auf eine unserer neuen Denkfabriken. Weitere Informationen und den Link zur Online-Bewerbung finden Sie hier:
https://www.uni-potsdam.de/universitaetsstipendium/bewerbung