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Preisträgerin 2017: Hilal Alkan

Preisträgerin Dr. Hilal Alkan
Foto: Karla Fritze
Die Politologin Dr. Hilal Alkan protestierte gegen den Krieg in den kurdischen Gebieten.

Der „Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz“ wurde am 22. Juni 2017  im Rahmen der zentralen Absolventenverabschiedung der Universität Potsdam verliehen. Den Preis erhielt Hilal Alkan. Die türkische Wissenschaftlerin hatte eine Petition gegen den Krieg in den kurdischen Gebieten unterzeichnet und das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Zivilisten angeprangert. Daraufhin verlor die promovierte Sozialwissenschaftlerin ihre Anstellung.


2.000 türkische Akademiker unterzeichneten Anfang 2016 eine Petition gegen den Krieg in den kurdischen Gebieten. Sie forderten unabhängige Untersuchungen der Gewalt in den zerstörten Städten und prangerten das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Zivilisten an. Zu den Unterzeichnern gehörte auch die Politologin Dr. Hilal Alkan. Nachdem sie die Petition unterschrieben hatte, verlor sie ihre Anstellung.

Als promovierte Sozialwissenschaftlerin hatte Hilal Alkan an einer kleinen privaten Universität in Istanbul mit ungefähr 800 Studierenden geforscht und gelehrt. Für ihre Doktorarbeit an der Open University im britischen Milton Keynes hatte sie Wohltätigkeitsorganisationen untersucht und die Arbeit der Ehrenamtlichen miteinander verglichen. In Istanbul erforschte sie  Nachbarschaftsinitiativen, die sich um syrische Flüchtlinge kümmerten.

Dem Friedensappell folgt die Kündigung


Der Wissenschaftlerin war bewusst gewesen, dass sie mit ihrer Unterschrift ihr Arbeitsverhältnis, ihre wissenschaftliche Reputation und ihre persönliche Sicherheit aufs Spiel setzen würde. Doch sie ließ sich nicht einschüchtern. Ihr Antrieb: „Gelingt es der Regierung tatsächlich, alle kritischen Geister aus den Universitäten zu entfernen, wissen die Studierenden in zwei Generationen nicht mehr, was Meinungsvielfalt oder Pluralismus bedeuten.“ Die Lage in der Türkei sieht sie nach wie vor mit Sorge: „Kritische Geister werden drangsaliert. Die Verwaltung versucht, sie mundtot zu machen.“

Mehr als 7000 Beschäftigte an Hochschulen in der Türkei wurden in den vergangenen Monaten entlassen. 15 Universitäten mussten schließen, weil sie unter dem Verdacht standen, der Gülen-Bewegung nahezustehen. Über 450 Wissenschaftler, die wie Hilal Alkan den Friedensappell an die türkische Regierung unterschrieben, sind inzwischen arbeitslos.

Hilal Alkan kam nach Berlin, wo sie seit Oktober 2016 mit ihren beiden kleinen Kindern und ihrem Mann lebt. Als EUME-Fellow arbeitete sie zunächst beim Forum Transregionale Studien in Berlin, nach dem Sommer wird sie als Alexander von Humboldt-Stipendiatin an der Alice Salomon Hochschule in Berlin forschen und im Jahr 2018 an das Leibniz-Zentrum Moderner Orient gehen.

Die Expertin für Menschenrechte im Exil

In ihrer wissenschaftlichen Arbeit bleibt Alkan ihren Themen und ihrer Herangehensweise treu: Sie beobachtet weiterhin die realen gesellschaftlichen Verhältnisse und entwickelt daraus neue Forschungsfragen. In der Hauptstadt arbeitet sie derzeit an verschiedenen Projekten, die die  Motivationen und Strukturen der freiwilligen Flüchtlings-Helfer soziologisch analysieren. „Solche spontan wachsenden Netzwerke werden oft unterschätzt, dabei sind die persönlichen Türöffner so wichtig“, sagt Hilal Alkan. Ohne die Helfer erhielten die Neuankömmlinge weder Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung, noch zum Schulsystem.

Dass die junge Sozialwissenschaftlerin dabei immer auch Fragen der Gleichberechtigung thematisiert, versteht sich fast von selbst. Als Mitglied einer Fraueninitiative für Frieden engagiert sie sich für einen nachhaltigen Zusammenhalt in der türkischen Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen bekämpft und ihre Rechte durchsetzt. Um diese Ziele zu erreichen, hat Hilal Alkan sowohl in London, als auch in der Türkei in diversen Projekten mitgearbeitet und Kampagnen gestartet. „Das Ironische der Geschichte ist“, beschreibt sie klar, „dass wir als Experten für Menschenrechte, Migrationsbewegungen und Grenzüberwachung diese Erfahrungen nun selbst aus erster Hand machen.“

Die Jury entscheidet einstimmig


Zur Wahl der Preisträgerin erklärte der Jury-Vorsitzende Professor Oliver Günther, Ph.D.: „Mit Hilal Alkan haben wir für unseren ersten Voltaire-Preis eine wunderbare Preisträgerin gefunden. Eine Nachwuchswissenschaftlerin, die in einem zunehmend schwierigen politischen Umfeld agiert, deren akademisches Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, und die sich durch all dies nicht hat entmutigen lassen, sondern weiter ihre Arbeit macht und sich ihren Mund nicht verbieten lässt.“ Die Jury habe sich einhellig für Hilal Alkan entschieden. Die Hoffnung sei, dass Menschen wie sie anderen als Vorbild dienen können, sodass die Ideale der Aufklärung, für die der Name Voltaire stehe, zukünftig und gerade auch in schwierigen politischen Zeiten hochgehalten werden.