Zum Hauptinhalt springen

Sorbische Schulen im Spannungsfeld von Minderheitenrecht und Bildungspolitik

Die niedersorbische Sprache ist ein wertvoller Teil der kulturellen Identität im Land Brandenburg. Um sie auch in Zukunft lebendig zu halten, hat das Land ein vielfältiges institutionelles Netz geschaffen, das den Spracherwerb, die kulturelle Bildung und die Ausbildung von Lehrkräften gezielt unterstützt. Dabei spielt vor allem der Bildungsbereich eine zentrale Rolle.

Rechtlicher Rahmen

Sorbisch im schulischen Kontext: Sprachförderung von Anfang an

In Brandenburg ist die niedersorbische Sprache fest im Schulsystem verankert. Bereits in der Grundschule (Jahrgangsstufen 1 bis 6) können Kinder Sorbisch/Wendisch erlernen. Die Teilnahme ist freiwillig, wird aber auf Wunsch der Eltern oder der Kinder selbst ermöglicht. In der Sekundarstufe I und II wird das Fach weiterhin angeboten – hier ist die Voraussetzung für die Teilnahme, dass die Schüler*innen über genügend Vorkenntnisse verfügen, um erfolgreich mitarbeiten zu können. Besonders hervorgehoben wird das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus, an dem der Sorbischunterricht verpflichtend ist – entweder als Fach oder als Fremdsprache. Diese Schule steht exemplarisch für die Umsetzung der sogenannten Sorben/Wenden-Schulverordnung (SWSchulV) von 2022, die alle Schulen dazu verpflichtet, Sprachlernangebote aktiv zu kommunizieren und die sorbische Kultur angemessen zu berücksichtigen. Eine besondere Bedeutung hat auch die Möglichkeit, Sorbisch/Wendisch als Abiturprüfungsfach zu wählen. Diese Regelung basiert auf einem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) und unterstreicht die Gleichstellung der Sprache mit anderen Fächern in der Oberstufe.

Lehrkräfte und Strukturen: Zwischen Leipzig und Cottbus

Da der Bedarf an qualifizierten Lehrkräften für das Fach Sorbisch/Wendisch kontinuierlich besteht, ist deren Ausbildung institutionalisiert: Das Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig bildet Lehrerinnen und Lehrer fachlich aus. Der anschließende Vorbereitungsdienst kann in Brandenburg am Studienseminar Cottbus/Chósebuz absolviert werden. Unterstützt wird die Arbeit durch das Staatliche Schulamt mit der Arbeitsstelle für Bildungsentwicklung Cottbus (ABC), das Fortbildungen organisiert und Unterrichtsmaterialien bereitstellt. Gleichzeitig verpflichtet das Sorben/Wenden-Gesetz (SWG) das Land dazu, Kenntnisse über die sorbische Geschichte und Kultur in die Aus- und Weiterbildung von pädagogischem Personal einzubinden. Fortbildungsangebote werden aktiv beworben, um Lehrkräfte zur sprachlichen und kulturellen Weiterqualifikation zu motivieren.

Herausforderungen und Ausblick

Trotz der institutionellen Verankerung gibt es noch Lücken: So verzeichnet der Hochschulbereich in Brandenburg derzeit keine spezifischen Maßnahmen zur Förderung des niedersorbischen Spracherwerbs. Hier besteht Entwicklungsbedarf – insbesondere im Hinblick auf Forschung, Lehrerbildung und Nachwuchsförderung. Die rechtlichen Grundlagen und schulischen Strukturen zeigen jedoch: Brandenburg erkennt die Bedeutung der sorbischen Sprache und Kultur an – und schafft bewusst Räume, in denen Mehrsprachigkeit, Identität und Minderheitenschutz konkret gelebt werden können. Damit bleibt Sorbisch nicht nur ein Unterrichtsfach, sondern ein lebendiger Teil des gesellschaftlichen Miteinanders.

Quellen


Datenüberblick zu Sorbisch- und Wendischunterricht in Brandenburg

Im Schuljahr 2022/23 nahmen insgesamt 1.791 Schüler:innen am regulären Sorbisch- bzw. Wendischunterricht teil. Der Unterricht fand in 21 allgemeinbildenden Schulen im angestammten sorbischen Siedlungsgebiet statt. Dazu gehören 16 Grundschulen, drei Oberschulen und ein Gymnasium. Letzteres ist das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus/ Chóśebuz, in dem der komplette Unterricht bilingual angeboten wird. Die oben genannte Zahl der Sorbischteilnehmer:innen entspricht gemessen an der Gesamtzahl aller Schüler:innen in Brandenburg einem Anteil von 0,6 Prozent. Innerhalb des angestammten sorbischen Siedlungsgebiets liegt der Anteil bei 6,6 Prozent aller Schüler:innen, was relationsmäßig immer noch eine schockierend geringe Zahl ist.

Die meisten Schüler:innen, die Sorbisch lernen, besuchen entweder eine Grundschule oder das Niedersorbische Gymnasium, wobei das Gymnasium die mit Abstand höchste Anzahl an Lernenden verzeichnet. Daraus ergibt sich ein zentrales Problem: Nach der Grundschule kann ein großer Teil der Schüler:innen, die keine Gymnasialempfehlung erhalten, nicht weiter am Sorbischunterricht teilnehmen, Diese sozial selektive Struktur wirkt sich negativ auf den Erhalt der niedersorbischen Sprachgemeinschaft aus, da nur bildungsstarke Schüler:innen erreicht werden.

Von etwa 300 Schüler:innen, die jährlich in der Grundschule mit dem Sorbischunterricht beginnen, erhalten nur rund 50 eine durchgängige Sorbisch-Ausbildung bis zum Ende ihrer Schulzeit. Bereits in der Grundschule geben etwa zwei Drittel der Lernenden den Unterricht auf. Weitere rund 50 Kinder hören nach dem Übergang auf die weiterführende Schule auf – möglicherweise aufgrund mangelnder Angebote, Lehrer:innenmangel oder weil sie keine Gymnasialempfehlung erhalten.

2022/23 waren 79 Lehrkräfte mit dem Unterrichtsfach Sorbisch/Wendisch tätig. 70 von ihnen arbeiteten an Schulen innerhalb der sorbischen Gemeinden, 60 davon direkt an den 18 Schulen mit Sorbisch-/Wendischunterricht. Am Niedersorbischen Gymnasium unterrichteten allein 18 Lehrkräfte das Fach Sorbisch/Wendisch. Außerdem muss erwähnt werden, dass drei Schulen, die zwar Sorbischunterricht anbieten, über kein eigenes Fachpersonal verfügen, was die organisatorische und qualitative Umsetzung extrem erschwert.

Quelle

Diagramm, welches die langsam rückläufige Zahl der Schulen mit Sorbischunterricht darstellt
Quelle: Laschewski (2024)
Anzahl der Schulen mit Sorbischunterricht in den Schuljahren 2005/06 bis 2022/23. Eigene Berechnung und Darstellung von Lutz Laschweski nach AfStBB (2023) sowie MBJS (2022; 2023).

Sorbisch/Wendischer Unterricht an Brandenburger Grund- und Oberschulen

Das WITAJ-Programm ermöglicht Kindern, während der Unterrichtszeit das Niedersorbische/Wendische zu erwerben. Mehrere Grund- und Oberschulen im anerkannten Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden gestalten ihren Unterricht bilingual oder sorbisch-gestützt und knüpfen damit an regionale Kultur und Tradition an.

Am Schulzentrum Dr. Albert Schweitzer  in Vetschau lernen ca. 300 Grundschüler*Innen Sachfächer wie Lesen, Mathematik oder Musik auf Sorbisch/Wendisch; zusätzlich gibt es zwei Wochenstunden Sprachunterricht in sorbischer/wendischer Sprache. Die Stadt Vetschau bekennt sich in ihrer Hauptsatzung ausdrücklich zur Förderung der sorbischen Kultur.

Die Krabat-Grundschule Jänschwalde Ost, benannt nach der berühmten sorbischen Sagengestalt, bietet ab Klasse 1 einen durchgängig zweisprachigen Unterricht an. Sie stellt dafür sieben Wochenstunden bereit, arbeitet mit weiterführenden Schulen sowie den umliegenden Kitas zusammen.

In Cottbus-Sielow bietet die Lutki-Grundschule bilingualen Unterricht in Sorbisch/Wendisch an. Bis zu zehn Stunden pro Woche werden Sorbisch- bzw. bilinguale Module in Fächern wie Mathematik, Kunst oder Sport erteilt.

Die Grundschule Mato Kosyk in Briesen bietet bilingualen FLEX-Unterricht. Heute erlernen dort etwa 65% der Kinder Sorbisch/Wendisch und nehmen regelmäßig an Spracholympiaden und Brauchtumsprojekten (Vogelhochzeit, Wettbewerben) teil. Es gibt ca 170 Schülerinnen in 9 Klassen.

An der Van-Houwald-Grundschule Straupitz gibt es klassischen Sorbisch-Unterricht (drei Wochenstunden) und den WITAJ-Pfad, der bis zu sieben Wochenstunden Sachfächer in der Minderheitensprache umfasst (ca 50% der Schüler*innen von Klasse 1-6 nehmen teil). Lehrmaterialien entstehen in Kooperation mit dem Land Brandenburg und dem WITAJ-Sprachzentrum für die 158 Schüler*innen.

Die Grund- und Oberschule Mina Witkojc in Burg ermöglicht den durchgehenden Erwerb der sorbischen Sprache von Klasse 1 bis 10, ergänzt um Pflege lebendiger Traditionen.

Nach der Grundschule stehen Absolventen das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus, die Oberschule Burg oder das Oberstufenzentrum offen. Für eine akademische Vertiefung bietet anschließend die Universität Leipzig Sorabistik-Studiengänge und Lehramtsprogramme an.

Karte der Schulen

Quellen

(Die Informationen für den obigen sowie nachfolgenden Text wurden von den jeweiligen Schulwebsites entnommen.)

 


Das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus

Das Niedersorbische Gymnasium Cottbus ist eine staatlich anerkannte Spezialschule, die sich der Pflege und Förderung der sorbischen/wendischen Sprache und Kultur widmet. Der Schulstandort nimmt innerhalb des deutschen Schulsystems eine besondere Stellung ein, da hier die Zweisprachigkeit fester Bestandteil des Unterrichts- und Schullebens ist.

Sorbisch als verbindliches Unterrichtsfach

Alle Schülerinnen und Schüler lernen am Niedersorbischen Gymnasium die niedersorbische Sprache. Der Unterricht im Fach Sorbisch/Wendisch ist verpflichtend und wird von der 5. bis zur 10. Jahrgangsstufe in Kleingruppen erteilt. Diese Kleingruppen sind nach dem individuellen Sprachniveau der Lernenden differenziert. Darüber hinaus tragen die Schülerinnen und Schüler aktiv zur Pflege und Gestaltung sorbischer Bräuche und Traditionen bei.

Bilingualer Unterricht mit differenzierten Niveaustufen

Ein wesentliches Merkmal des Schulkonzepts ist der bilinguale Unterricht. Dabei kommen sowohl die deutsche als auch die niedersorbische Sprache in unterschiedlichem Umfang zum Einsatz. Der Anteil der sorbischen Sprache wird flexibel an die jeweilige Lerngruppe angepasst. Unterrichtsinhalte werden vollständig vermittelt, wobei bei Bedarf auch sprachlich anspruchsvolle Themen auf Deutsch erklärt werden. Es kann gezielt zwischen den Sprachen gewechselt werden. Dieses spontane Sprachwechselverhalten wird als Code-Switching bezeichnet.

Der bilinguale Unterricht beginnt ab dem dritten Lernjahr in den Fächern Musik und Geschichte. In den sogenannten Leistungs- und Begabungsklassen (LuBK) erfolgt dies ab Jahrgangsstufe 7, in den Regelklassen ab Jahrgangsstufe 9. In den vorhergehenden Jahren werden die Schülerinnen und Schüler gezielt auf den bilingualen Fachunterricht vorbereitet.

Dabei werden drei unterschiedliche Niveaustufen unterschieden:

  • Bilinguale Module: Einzelne Unterrichtseinheiten werden auf Niedersorbisch gehalten, sofern die Sprachkenntnisse dies zulassen.
  • Bilingualer Unterricht: Mindestens 50 % des Unterrichts erfolgt in der Zweitsprache, wobei komplexere Inhalte bei Bedarf auf Deutsch erläutert werden.
  • Vorwiegend einsprachiger Unterricht: Die niedersorbische Sprache dominiert als Unterrichtssprache. Deutsch wird nur zur Klärung einzelner Sachverhalte verwendet. Dieses Modell richtet sich insbesondere an Schülerinnen und Schüler aus dem WITAJ-Programm.

Wichtig ist: Die Teilnahme am bilingualen Unterricht erfolgt ohne sprachlichen Zwang. Schülerinnen und Schüler werden zum aktiven und passiven Gebrauch des Niedersorbischen ermutigt, müssen jedoch weder im Unterricht noch in Klassenarbeiten zwingend in der Zweitsprache kommunizieren oder schreiben.

Sprachenfolge und Fremdsprachenangebot

Das Niedersorbische Gymnasium bietet eine durchdachte Sprachenfolge: Englisch ist die erste Fremdsprache, Niedersorbisch die zweite. Ab der 9. Jahrgangsstufe haben die Schülerinnen und Schüler die freiwillige Möglichkeit, im Wahlpflichtbereich eine dritte Fremdsprache, entweder Latein oder Französisch, zu belegen.

Oberstufe und Prüfungsanforderungen

In der gymnasialen Oberstufe (Jahrgangsstufen 11 und 12) werden die Schülerinnen und Schüler auf ein Hochschulstudium vorbereitet. Daher sind die Anforderungen an den bilingualen Unterricht etwas reduziert. Trotzdem ist das Fach Sorbisch/Wendisch weiterhin verpflichtend – entweder als Grund- oder als Leistungskurs. Wer den Grundkurs belegt, muss zusätzlich mindestens ein weiteres bilinguales Angebot auf modularem Niveau belegen, wozu auch Seminarkurse zählen können.

Ganztagsangebot und kulturelles Schulleben

Das Niedersorbische Gymnasium ist eine Ganztagsschule mit derzeit rund 500 Schülerinnen und Schülern sowie etwa 45 Lehrkräften. Ein fester Bestandteil des Schulalltags ist das vielfältige außerunterrichtliche Angebot. Dazu gehören kulturelle und künstlerische Aktivitäten ebenso wie die aktive Traditionspflege. Zahlreiche Arbeitsgemeinschaften (AGs) fördern das Engagement der Lernenden in Bereichen wie sorbische Bräuche und Kultur, sorbische Kunst, Lieder und Literatur sowie Trachtenpflege. Auch die Schülerzeitung erscheint zweisprachig.

Fazit

Das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus bietet ein einzigartiges Bildungsangebot, das Sprachförderung, kulturelle Identitätsbildung und fachliche Ausbildung miteinander verknüpft. Die konsequente Förderung der niedersorbischen Sprache sowie die Einbindung in den schulischen Alltag machen diese Schule zu einem besonderen Ort des Lernens in Brandenburg.


Diese Seite wurde inhaltlich erstellt von Veronika PshennikovaAnnmarie Nachtigall, Amelie Heinrich & Tim Eisert.