Warm-Up und Kontextualisierung
Studenten: Seit wann arbeiten Sie an dieser Schule, und welche Fächer unterrichten Sie?
Lehrerin: Ich arbeite seit 2019 an der Gesamtschule und unterrichte die Fächer Deutsch und Politische Bildung.
Studenten: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Mehrsprachigkeit – im schulischen oder im privaten Kontext?
Lehrerin: Da wir eine Schule sind, die wahrscheinlich als Brennpunktschule beschrieben werden würde, ist es für mich normal im beruflichen Alltag mit Mehrsprachigkeit und Bilingualität in Berührung zu kommen. Gerade in Elterngesprächen, aber auch durch die SchülerInnen wird deutlich, dass Deutsch nicht die Muttersprache vieler Kinder ist, sondern vor allem ukrainisch und syrisch durch die jeweiligen Migrationswellen vorherrschen. Muttersprachen aus Westeuropa sind bei uns eher selten anzutreffen.
Institutionelle Rahmenbedingungen
Studenten: Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit im Schulprogramm bzw. Im Leitbild Ihrer Schule?
Lehrerin: Meine Schule hat sich den Umgang mit Mehrsprachigkeit außerhalb des Fremdsprachenunterrichts nicht explizit auf die Fahne geschrieben, jedoch ist es Konsens aller Lehrkräfte, dass alle Kinder abgeholt und im Schulleben integriert werden sollen. Auch im Deutschunterricht ist es normal, dass es Kinder gibt, die sehr gut Deutsch sprechen können, aber auch Kinder, die aus Vorbereitungskursen kommen, und dementsprechend gerade in Lese- und Schreibkompetenzen Probleme und Förderbedarf haben. Also nein, schriftlich fixiert ist der Umgang mit Mehrsprachigkeit nicht in unserem Schulprogramm.
Studenten: Gibt es an Ihrer Schule explizite Konzepte oder Maßnahmen zur sprachlichen Förderung mehrsprachiger SchülerInnen?
Lehrerin: Nach dem Rahmenlehrplan geht es in den Klassenstufen 9 und 10 viel um Sprachen und Sprachgebrauch. Hier können wir als Lehrkräfte thematisch besser auf Themen wie Mehrsprachigkeit oder Bilingualität eingehen. Ansonsten liegt der Fokus auf der deutschen Sprache und die Herkunftssprache der SchülerInnen gerät in den Hintergrund.
Studenten: Wie wird Mehrsprachigkeit aus Ihrer Sicht im Kollegium wahrgenommen – eher als Herausforderung oder als Ressource?
Lehrerin: Das kann sehr individuell sein, es kommt ganz darauf an in welchem Kurs Sie sich befinden. Ich beobachte allerding, dass es zunehmend als Herausforderung wahrgenommen wird. Gerade durch die bereits angesprochenen Kompetenzen beim Lesen und Schreiben entstehen massive Probleme. Das ist ein Phänomen, was sich aus meiner Sicht jedoch nicht nur auf Mehrsprachigkeit bezieht, sondern auch bei Muttersprachlern durch andere Faktoren immer stärker wird. Im Deutschfachbereich beobachten wir, dass Jugendliche immer schlechter lesen können und sich dabei auch weniger konzentrieren können – egal, wo die Kinder herkommen. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass Deutsch nun mal eine ziemlich schwere Sprache ist.
Unterrichtspraxis und Didaktik
Studenten: Welche didaktischen Strategien wenden Sie an, um mehrsprachige SchülerInnen zu fördern?
Lehrerin: Persönlich nutze ich vor allem didaktische Strategien und Methoden aus dem Leisen-Ordner, das ist eine Sammlung sprachdidaktischer Ansätze, um zum Beispiel auch in Bezug auf Mehrsprachigkeit besser im Unterricht differenzieren zu können. Ein Tipp, den ich jedem geben kann: lassen Sie alles durch andere SchülerInnen vorlesen. Dadurch gerät auch schnell Routine in den Sprachgebrauch.
Studenten: Wie gehen Sie mit Sprachbarrieren im Fachunterricht um?
Lehrerin: Ich versuche im Unterricht auf Verständnisprobleme immer einzugehen und diese mit den SchülerInnen zu thematisieren. Außerdem hilft es stark, einzelnen SchülerInnen differenzierte Lernmethoden zur Verfügung stellt und auch Arbeitsmaterial für alle SchülerInnen zu differenzieren oder auch sprachlich leichtere Texte auszugeben.
Auch die Schulbücher helfen heute schon sehr gut, Aufgaben durch die verschiedenen Niveaustufen zu differenzieren. Ansonsten versuche ich bei Barrieren oder Problemen ruhig zu bleiben und den SchülerInnen mit Geduld zu begegnen, sowie auf die Probleme einzugehen.
Kollegiale & schulische Kooperation
Studenten: Gibt es Fortbildungsangebote zum Thema Mehrsprachigkeit für das Kollegium?
Lehrerin: Die Fortbildungskoordinatorin unserer Schule sammelt alle Wünsche des Kollegiums und schaut dann, welche Angebote sinnvoll sind. Ansonsten tauschen wir uns in den jeweiligen Fachbereichen über Fortbildungsangebote aus oder suchen individuell. Das liegt unter anderem daran, dass jede/r einen unterschiedlichen persönlichen Bedarf bei verschiedenen Themen mit sich bringt. Im gesamten Kollegium ist das Thema Mehrsprachigkeit seit den letzten vier bis fünf Jahren eher in den Hintergrund gerutscht. Heute wollen alle mehr über den Umgang mit KI wissen.
Studenten: Besteht die Zusammenarbeit mit Sozialarbeit, Eltern oder externen Partnern im Umgang mit mehrsprachigen SchülerInnen?
Lehrerin: Mit Eltern oder externen Partnern gibt es keine besondere Zusammenarbeit, hier könnte ich mir vorstellen, dass es aus Sicht der Elternschaft einige Hürden gibt. Ich würde mir dies aber wünschen, da es einiges bringen könnte.
Wir haben jedoch SonderpädagogInnen die uns mittlerweile im Unterricht auch, wenn Kinder besondere Sprachprobleme zeigen und sind auch als AnsprechpartnerInnen da.
Studenten: Werden mehrsprachige Ressourcen (z.B. SchülerInnen als SprachlotsInnen) systematisch genutzt?
Lehrerin: Nein, in dem Sinne nutzen wir die Ressource nicht.
Bewertung und Entwicklungsbedarf
Studenten: Was funktioniert aus Ihrer Sicht gut im Umgang mit sprachlicher Vielfalt an Ihrer Schule?
Lehrerin: Wir nehmen die Kinder an unserer Schule so wie sie sind und versuchen niemanden in ein bestimmtes Bild zu drängen.
Studenten: Wo sehen Sie Herausforderungen oder Handlungsbedarf?
Lehrerin: Auch wenn wir jeden so nehmen wollen, wie er oder sie ist, sollte das Ausleben von Vielfalt auch in Bezug auf Sprachen mehr hervorgehoben werden. Leider fehlen oft die Ressourcen für gesamtschulische Projekte oder andere Darstellungsmöglichkeiten. Auch die Lebenswirklichkeit stellt uns hierbei oft vor Herausforderungen. Auch unser Kollegium könnte diese Themen mehr befördern.
Studenten: Was würden Sie sich aus institutioneller Sicht (z.B. von der Schulleitung oder dem Bildungsministerium) wünschen?
Lehrerin: Meiner Meinung nach, sollten alle Lehrkräfte mehr dafür sensibilisiert werden, wie schwer es tatsächlich ist die deutsche Sprache zu lernen. Außerdem sollte es mehr Angebote geben, die Verbindungen zwischen allen Beteiligten schaffen. Außerdem könnten kleinere Klassen helfen, um individueller auf die SchülerInnen einzugehen. Mehrsprachiges und interkulturelles Lernen sollten außerdem zentraler in den Rahmenlehrplan aufgenommen werden. Auch das Fortbildungsangebot sollte ausgebaut werden und sich auch auf alle Ausbildungsstufen der LehrerInnen-Bildung beziehen.