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Hugenotten (französische Reformierte)

Die Spaltung der Christen in Europa durch die von Martin Luther initial ausgelöste Reformationsbewegung zum Beginn des 16. Jh., hatte für die Souveräne der Zeit und deren Bevölkerung, signifikante Auswirkungen, welche im Folgenden für die Gruppe der
Hugenotten beschrieben werden soll. Der Widerruf des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV. im Jahr 1685 ist eines der für das damalige Kurfürstentum Brandenburg relevanteste Migrationsereignisse und bedeutete das Ende religiöser Toleranz für die französischen
Protestanten. Fortan blieb ihnen nur die Wahl zwischen Abschwörung ihres protestantischen Glaubens, Kerker, Galeeren, Tod oder Flucht (Hartweg 1985, S. 422). Über 250.000 Hugenotten verließen Frankreich, ein Exodus, der europaweit politische, wirtschaftliche und geistige Spuren hinterließ (Wolf 1987, S. 288f.).

Zu den bedeutendsten Aufnahmeländern gehörte das Kurfürstentum Brandenburg, das unter Kurfürst Friedrich Wilhelm mit dem sogenannten Edikt von Potsdam gezielt Hugenotten zur Ansiedlung einlud. Das Edikt vom Oktober 1685 versprach religiöse Freiheit, wirtschaftliche Privilegien und rechtliche Sonderstellungen. Interessant ist, dass kein signiertes Originaldokument existiert, sondern nur ein gedruckter Text, der später als „Edikt von Potsdam“ bezeichnet wurde – ein Begriff, der laut Heinz-Dieter Heimann selbst als geschichtlicher Mythos anzusehen ist, da der ursprüngliche Titel des Edikts doch
wesentlich sperriger und wenig symbolträchtig. „Chur-Brandenburgisches E D I C T, Betreffend Diejenige Rechte/Privilegia und andere Wolthaten/welche Se.Churf.Durchl. zu Brandenburg denen Evangelisch-Reformierten Französischer Nation so sich in Ihren Landen niederlassen werden daselbst zu verstatten gnädigst entschlossen seyn.“ (Heimann 2000, S. 117).

Die Aufnahme der Hugenotten verfolgte mehrere Ziele: Sie sollten demographische Verluste des Dreißigjährigen Kriegs ausgleichen und durch ihre wirtschaftlichen
Fähigkeiten zur Modernisierung beitragen. In Brandenburg siedelten sie sich vor allem in Berlin, Potsdam, Halberstadt und Frankfurt/Oder sowie im ländlichen Raum an (Hartweg 1985, S. 423).

Viele Hugenotten waren hochqualifizierte Handwerker, Händler, Gärtner, Militärs oder Intellektuelle. Sie trugen zur Einführung von neuen Gewerbezweigen wie der 12 Seidenraupenzucht, Tabakanbau, Manufakturen für Modeartikel und einer verfeinerten Gartenbaukultur bei (Hartweg 1985, S. 424). In Berlin gründeten sie eigene Kirchen, Schulen, Armenpflegeeinrichtungen und blieben lange eine kulturell eigenständige Gemeinschaft mit französischer Sprache und Lebensweise.

Ihre Integration verlief jedoch -anders als man es aus heutiger Sicht erwarten könnte, nicht konfliktfrei. Viele flohen verarmt oder krank, stießen auf Misstrauen in der Bevölkerung, und es kam zu offenem Widerstand: Vieh wurde über hugenottische Felder getrieben, Zünfte verweigerten Lehrlinge, Pastoren brandmarkten sie als Zeichen göttlicher Strafe (Hartweg 1985, S. 424).


Trotzdem entwickelte sich Brandenburg-Preußen durch die Hugenotten zu einem frühmodernen Einwanderungsstaat, der in Teilen als „Zufluchtsort des Geistes“ gedacht war. Der Kurfürst verband religiöse Aufnahme mit staatlicher Reformidee und förderte Bildungsprojekte, die zu einer „Akademie der Nationen“ führen sollten (Hartweg 1985, S. 427–428). Das Ideal einer „Societät der Wissenschaften“, wie sie später Leibniz entwarf, hatte seinen Ursprung auch in der hugenottischen Zuwanderung.


Die Wirkung der Hugenotten war tiefgreifend: Sie wirkten als Träger neuer Arbeitsweisen, als Motor geistiger Erneuerung im Umfeld der Aufklärung und als Mittler protestantisch-humanistischer Bildung (Hartweg 1985, S. 425–426). Der preußische König Friedrich II.
bemerkte rückblickend, man verdanke ihnen nicht nur Handwerk und Manufakturen, sondern auch höfische Kultur und mildere Sitten (Hartweg 1985, S. 423).

Aus heutiger Sicht muss betont werden: Das Edikt von Potsdam war kein Ausdruck liberaler Religionsfreiheit im modernen Sinne, sondern Teil einer utilitaristischen Bevölkerungspolitik (Heimann 2000, S. 118). Die Aufnahme galt einer ausgewählten Gruppe, diente Staatsinteressen und blieb begrenzt auf konfessionell passende Einwanderer. Nichtsdestotrotz führte sie zu einem Zufluss, einer Vermengung und einer Assimilation französischer und deutscher Sprache, die sich auch heute noch in der
Sprachlandschaft Brandenburgs erfahren lässt.

 

Literaturverzeichnis


Hartweg, Frédéric (1985): Sie kamen wie gerufen: Berlins Adoptivkinder, die Hugenotten. In: German Studies Review, Vol. 8, No. 3, S. 421–448.

Heimann, Heinz-Dieter (2000): Brandenburger Toleranz zwischen Anspruch, Mythos und Dementi. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Vol. 52, No. 2, S. 115–125.
-Wolf, Gerhard Philipp (1987): Die Widerrufung des Edikts von Nantes. In:
Theologische Rundschau, Vol. 52, No. 3, S. 286–315.

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