Die Universität Potsdam war in diesem Prozess Vorreiterin. Seit über einem Jahrzehnt bilden die Postkolonialen Studien schon einen besonderen Fokus des hiesigen Instituts für Anglistik und Amerikanistik. Ebenso lange ist das Modul „Postkoloniale Kultur und Literatur“ fester Bestandteil des Bachelors „Anglistik und Amerikanistik“ und der Masterstudiengang „Anglophone Modernities in Literature and Culture“ erfreut sich seit Jahren internationaler Beliebtheit: „Bei diesem Master kommen über 80 Prozent der Bewerbungen aus dem globalen Süden. Die Perspektiven, die dadurch in die Lehre eingehen, sind extrem bereichernd“, erklärt Lars Eckstein, Professor für Anglophone Literaturen und Kulturen außerhalb Großbritanniens und der USA.
Nun soll diese besondere Ausrichtung mit einem Potenzialbereich gewürdigt und weiter ausgebaut werden. „Die Uni fördert Forschungsbereiche finanziell, die sie als besonders innovativ oder stark empfindet“, erläutert Nicole Waller, Professorin für Amerikanische Literatur und Kultur. Geplant sind unter anderem ein Graduiertenkolleg mit der University of Melbourne und ein neuer Bachelorstudiengang.
Von Haus aus interdisziplinär
Ein erklärtes Ziel des „Postcolonial Studies Collective“ ist Interdisziplinarität. Denn nicht nur in der Anglistik und Amerikanistik forscht man zu postkolonialen Themen: „Bisher involviert sind die Schwerpunkte Global History, Osteuropastudien und Slavistik, Romanistik und Klassische Philologie. Grundsätzlich sind wir aber offen für alle, die zu diesen Themen forschen“, versichert Waller. Dabei ergeben sich immer wieder interessante Schnittmengen, wie Eckstein ausführt: „Die Karibik ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit interdisziplinärer Ansätze in den Postkolonialen Studien. Aus der Karibik und ihrer Diaspora heraus entstanden viele der spannendsten philosophischen Schriften des 20. und 21. Jahrhunderts. Publiziert wurden sie jedoch, aufgrund der Kolonialgeschichte der Karibik, in verschiedenen Sprachen: auf Englisch, aber auch auf Spanisch, Französisch und Niederländisch. Diese Traditionen in der Forschung besser zu vernetzen, bleibt ein wichtiges Desiderat.“
Doch nicht nur in der akademischen Welt möchte das Studienkollektiv verbindend wirken. Man will auch neue Wege finden, die eigene Forschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für diese Aufgabe konnte der Potenzialbereich Anna von Rath gewinnen, die die Öffentlichkeitsarbeit übernimmt und dabei sowohl von ihrer akademischen Erfahrung als auch ihrer Arbeit als freie Autorin und Übersetzerin profitiert. „Wir möchten auf Social Media zeigen, was es eigentlich bedeutet, akademisch zu arbeiten. Dafür stellen wir jeden Monat Kollektivbeteiligte vor“, sagt von Rath. „Zusätzlich nehmen wir uns konkrete Themen aus der Forschung und zeigen anhand einer kleinen Geschichte, wie diese Forschung in unser aller Leben eine relevante Rolle spielt.“ Ein Beispiel für ein solches Thema ist der Reisepass. Wie ist dieser eigentlich entstanden? Und wie viel Macht hat er wirklich? Mit einigen Reisepässen – etwa dem Deutschen – kann man ohne Visa in die meisten Länder einreisen, während sich diese Zahl bei den Schlusslichtern der Liste wie Irak, Syrien oder Afghanistan auf um die 30 reduziert. Reisefreiheit ist also ungleich verteilt.
Darüber hinaus sind größere Projekte in der Planung, „eventuell eine Ausstellung oder eine Graphic Novel“, sagt von Rath. Auf jeden Fall ist es das Ziel, neue Wege zu gehen: „Wir wissen alle, wie man akademische Aufsätze schreibt und in etablierten Zeitschriften unterbringt. Aber damit erreichen wir vor allem unsere eigene akademische Bubble. Wir möchten künftig unsere Forschung besser übersetzen und in andere Öffentlichkeiten tragen“, so Eckstein.
Kritik konstruktiv kontern
Zuletzt waren die Postcolonial Studies immer wieder auch Zielscheibe von Kritik – die Kehrseite ihrer Popularität. Zunächst vor allem von Rechtsaußen, wird das Projekt nun selbst aus der bürgerlichen Mitte heraus attackiert. Die Forschenden sind sich jedoch einig, dass man diese oft sehr vereinfachenden und diffamierenden Anwürfe am besten mit positiven Ideen und konstruktiven Projekten kontert, um so das schräge Bild geradezurücken. Etwa mit der für das Wintersemester 2025/26 geplanten Ringvorlesung „What Can Postcolonial Studies Do?“. Diese soll auch als Vernetzungsangebot dienen, um auf den Potenzialbereich aufmerksam zu machen und neue Kollaborationen zu bilden. Außerdem ist ein weiterer Bachelorstudiengang in Planung, der „Anglophone Postcolonial Studies“ heißen soll. Dieser wird nicht nur der erste Bachelor an der Uni Potsdam sein, den man komplett auf Englisch studieren kann, sondern auch inhaltlich der erste seiner Art in ganz Deutschland. „Wir möchten damit einerseits an den Erfolg des Masterstudiengangs ‚Anglophone Modernities‘ anknüpfen und andererseits erreichen, dass das Ganze eine runde Sache wird: dass man bei uns mit einer postkolonialen Ausrichtung im Bachelor und im Master auf Englisch studieren kann“, sagt Waller mit hörbarer Begeisterung. Die Forscher*innen hoffen auch, damit Menschen aufzufangen, die etwa in den USA oder Großbritannien in ähnlichen Studiengängen eingeschrieben sind und aktuell politisch sowie ökonomisch unter Druck geraten.
Momentan arbeiten die Forschenden an der Beantragung eines Graduiertenkollegs mit der University of Melbourne zum Thema „Repair“. Das Kolleg, initiiert von der Potsdamer Professorin Anja Schwarz und ihren Kolleg*innen in Melbourne, soll Promovierenden mit postkolonialer Ausrichtung aus Potsdam und Melbourne die Gelegenheit zum intensiven Austausch geben. Das Reparieren bezieht sich dabei auf ganz unterschiedliche Dinge, wie Eckstein erläutert: „Wie können wir – im Kontext von Umwelt – den ‚Broken Planet‘ reparieren, ohne die Zeit zurückdrehen zu wollen in eine vermeintlich intakte Vergangenheit? Wie können wir Beziehungen heilen, zum Beispiel mit Blick auf Museen, Black oder Indigenous Studies? Oder in den Literatur- und Kulturwissenschaften: Wie kommen wir weg vom sogenannten paranoiden Lesen, das dekonstruieren und entlarven will, hin zu einem konstruktiven Lesen, das Gemeinschaften stärkt, besonders marginalisierte?“ Es gehe nicht nur darum, Statuen zu stürzen, wie der Vorwurf häufig laute, sondern auch um Visionen für eine bessere, gemeinschaftliche Zukunft. „Wir spielen mit dem Gedanken, es ‚Repairing the Future‘ zu nennen“, sagt Nicole Waller.
Nicole Waller ist Professorin für Amerikanische Kultur und Literatur an der Universität Potsdam.
Lars Eckstein ist Professor für Anglophone Literaturen und Kulturen außerhalb Großbritanniens und der USA.
Anna von Rath ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam und für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation des Potenzialbereichs zuständig.
Der Potenzialbereich „Potsdam Postcolonial Studies Collective“ ist ein interdisziplinäres Netzwerk von Forschenden der Universität Potsdam, die sich kritisch mit Kolonialismus, Neokolonialismus und deren Folgen auseinandersetzen.
Mehr Informationen finden Sie hier: https://www.uni-potsdam.de/en/postcolonialstudies
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.



