Zum Hauptinhalt springen

Der Computerlinguist Daniil Skorinkin antwortet auf die Frage: „Was ist Stilometrie?“

Stilometrie ist … Wörter zählen. Klingt blöd, oder? Und nicht einmal die interessanten Wörter! Wir zählen Wörter, die für ein normales Ohr bedeutungslos scheinen: Konjunktionen, Artikel oder Präpositionen wie „und“, „der“, „ein“, „von“, „oder“ … Klingt noch blöder, ich weiß. Aber was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass wir durch das Zählen dieser Wörter einen Autor entlarven könnten, der seinen Namen hinter einem Pseudonym verbirgt? Die Schriftstellerin J.K. Rowling ist ein, aber nicht das einzige berühmte Beispiel.

Man vermutet schon lange, dass sich der individuelle Stil eines Autors – der sogenannte autoriale Fingerabdruck – in einer messbaren Textstatistik widerspiegelt. Der polnische Philosoph W. Lutosławski war einer der Ersten, der die Bedeutung scheinbar unwichtiger Wörter wie Interjektionen und Präpositionen erkannte. Er war es auch, der 1890 das Wort „Stilometrie“ vorschlug. Der Durchbruch kam mit der Verbreitung von Computern, die alle Wörter selbst des dicksten Buches in Millisekunden statt in Wochen oder Monaten zählen können. Trotzdem hat auch diese Methode ihre Grenzen. Beispielsweise werde ich nie in der Lage sein, den Autor eines Tweets oder selbst eines „langen“ Facebook-Posts zu ermitteln. Doch wenn Sie einen Roman unter einem Pseudonym veröffentlichen und es andere umfangreiche Texte mit mehr als 10.000 Wörtern gibt, die Sie unter Ihrem eigenen Namen verfasst haben, wird die Stilometrie Sie entlarven.

Das funktioniert, weil wir nicht jedes Wort, jede Phrase oder jede grammatikalische Konstruktion bewusst wählen. Wir erwerben unsere Sprachkenntnisse über Jahre hinweg durch Kommunikation sowie Lesen und entwickeln viele Gewohnheiten. Manche Leute sagen „typical of“, wo andere „typical for“ verwenden würden, manche lieben Nebensätze, während andere eher Partizipialphrasen formulieren … Solche Gewohnheiten beeinflussen die Häufigkeit von Funktionswörtern in Ihren Texten und machen sie unabhängig von der konkreten Handlung oder den Themen einigermaßen ähnlich. Stilometrie hat übrigens in jeder Sprache funktioniert, in der sie bisher getestet wurde, von Altgriechisch bis Chinesisch. Ich habe es mit Armenisch ausprobiert, und das ging genauso gut.

Das bekannteste „Opfer“ der Stilometrie ist J.K. Rowling. Die Autorin von „Harry Potter“ schrieb Krimis unter dem Pseudonym Robert Galbraith. Einige Journalisten kontaktierten den amerikanischen Stilometrie-Experten P. Juola, der nachwies, dass das Buch „Der Ruf des Kuckucks“ Rowlings Werken sehr ähnlich ist. Ein anderer Fall ist Elena Ferrante, eine äußerst populäre Schriftstellerin, die Millionen von Büchern verkauft, aber gar nicht existiert. Die wahre Person hinter Elena Ferrante ist der italienische Schriftsteller Domenico Starnone, der die Romane möglicherweise mit etwas Hilfe von seiner Frau, der Übersetzerin Anita Raja, geschrieben hat.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.