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Mental gesünder mit App und Chat-Bot – Digitale Anwendungen könnten die Psychotherapie von Kindern ergänzen

Seit der Corona-Pandemie hat die Zahl psychischer Erkrankungen im Kindesalter zugenommen. Die Betroffenen müssen häufig monatelang auf einen Therapieplatz warten. Ein Projektverbund des Bundesforschungsministeriums soll nun herausfinden, inwieweit interaktive und auf Gamification basierende Technologien die psychische Gesundheit von Kindern fördern können. Die Professur für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Potsdam koordiniert das wissenschaftliche Begleitprojekt zu den insgesamt 13 Initiativen im Forschungsverbund. Isabel Fannrich-Lautenschläger sprach mit den akademischen Mitarbeitenden Maxi Woelke und Dr. Fabian Arntz, die in dem Begleitprojekt für Evaluation und Wissenschaftskommunikation zuständig sind.

Der große Forschungsverbund untersucht den Einsatz von interaktiven und gamification-basierten Technologien in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Fabian Arntz: Die 13 beteiligten Projekte untersuchen bestimmte Anwendungen für Diagnosen wie Depression, Angststörung oder Autismus. Da gibt es zum Beispiel eine App, die sich vor allem an ältere Kinder richtet. Darauf ist ein Chat-Bot – ein Sprachassistent – installiert, mit dem sie begleitend zur Psychotherapie reden können. Ein anderes Projekt versucht, dies spielerischer zu lösen, mit einem Teddybär, in den die nötige Technologie eingebaut ist. Der Teddy wird zum Ansprechpartner.

Maxi Woelke: Mithilfe der Kuscheltiere können die Kinder sich eine Art Phantasiewelt gestalten, ihre Bedürfnisse auf spielerische Weise reflektieren und formulieren. Das lässt sich auch dann schon einsetzen, wenn Kinder noch auf einen Therapieplatz warten – als Therapie vor der Therapie.

 

Kinder schauen heute täglich viele Stunden aufs Handy. Warum halten Sie die Methode für vielversprechend?

Arntz: Gerade deshalb. Der Umgang mit dem Handy gehört zum Alltag von Kindern. Psychotherapeutische Interventionen setzen normalerweise darauf, dass diese in eine Praxis kommen und mit dem Therapeuten oder der Therapeutin in Kontakt sind. Diese sind aber nicht immer verfügbar.

 

Ist die Förderung durch das Bundesforschungsministerium eine Antwort auf die gravierenden Engpässe in der psychotherapeutischen Versorgung?

Arntz: Ja. Hinzu kommt, dass die smartphone-basierte Anwendung insgesamt mehr Kinder erreicht, die sonst gar nicht eine therapeutische Praxis aufsuchen würden. Sie ermöglicht außerdem, auch im Alltag zwischen den Therapiestunden Beobachtungen zu dokumentieren und notwendige Interventionen zu starten.

 

Wie weit ist das Ganze?

Arntz: Die Technologien sind alle noch in der Entwicklung.

Woelke: Es handelt sich um „Proof-of-Concept-Studien“. Das heißt, die Forschungsinstitute und die beteiligten Unternehmen haben sich ein Konzept überlegt, das mit einer kleinen Zahl von Personen erst getestet werden muss. Pro Studie werden das maximal 30 bis 40 Kinder sein. Erst wenn sich zeigt, dass einzelne Konzepte funktionieren, werden weitere Fördergelder beantragt.

Arntz: Einige Projekte sind schon relativ weit. Die Technologie steht, die Forschenden wissen, was und wie sie es testen, und schreiben gerade den Ethik-Antrag. Im nächsten Schritt können sie die teilnehmenden Kinder, Eltern und Therapeut*innen rekrutieren.

 

Worin besteht der Part der Uni Potsdam?

Arntz: Wir sind unter anderem für die Evaluation zuständig. Wir bündeln, was die 13 Projekte in ihren jeweiligen Zielgruppen untersuchen. Und fragen: Bringt es was und wenn ja, wie viel? Dabei legen wir ein sehr allgemeines Verständnis von mentaler Gesundheit zugrunde und schauen, ob die jeweiligen Interventionen den Kindern geholfen haben. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass es in manchen Projekten nicht um eine Verbesserung geht, sondern darum, eine Verschlechterung zu verhindern.

 

Wie können Sie das messen?

Arntz:  Wir verwenden einen an der mentalen Gesundheit orientierten Fragebogen, um generelle Ausprägungen von Stress, Depressionen und impulsives Verhalten zu erfassen. Ab elf Jahren können die Kinder selbst diese Fragen beantworten, bei jüngeren befragen wir die Eltern. Wir möchten die einzelnen Projekte darum bitten, diese Tests zusätzlich einzusetzen und uns die dadurch gewonnenen Daten zur Verfügung zu stellen. Wir könnten dadurch eine größere Anzahl, etwa 450 Kinder, erreichen.

Woelke: Hintergrund ist, dass wir eigentlich das aktuelle Diagnose-System kritisieren. Ein Kind geht zum Arzt, macht einen ADHS-Test und kriegt den Stempel: „So, du hast ADHS und wirst auf eine bestimmte Art behandelt“, manchmal sogar medikamentös. Dabei kann ein extrem introvertiertes Mädchen ebenso ADHS haben wie ein Junge, der sehr extrovertiert ist. Wir versuchen, weg von den Diagnosen hin zu den konkreten Auffälligkeiten zu kommen.

 

Die Uni Potsdam ist auch für die Wissenschaftskommunikation zuständig. Was wollen Sie in die Öffentlichkeit bringen und wie?

Woelke: Wir wollen Verständnis dafür schaffen, wie unterschiedlich Kinder sich verhalten. Und dass digitale Anwendungen, wenn sie wissenschaftlich erforscht und begleitet werden, zur psychischen Gesundheit beitragen können. Dazu planen wir eine Website. Auf Instagram wollen wir uns mit Beteiligten und der Öffentlichkeit austauschen. Neben einer jährlichen Konferenz soll es zudem eine Podcast-Reihe geben.

 

Gibt es eine besondere ethische Herausforderung, weil Sie mit Kindern forschen?

Arntz: Außer dem Datenschutz ist es der Umstand, dass die Kinder mit KI-generierten Charakteren interagieren. KI ist so eine Art Blackbox. Die Projekte haben keine absolute Kontrolle über den Output, den die Kinder bekommen. Das zu navigieren, ist die größte Herausforderung.

Woelke: Hinzu kommt die Frage, in welchem Alter Kinder eine durch technische Geräte ergänzte Therapie machen dürfen. Allein die Frage, wie viel Zeit vor dem Bildschirm gesund ist, löst in der Gesellschaft riesige Diskussionen aus. Diese Zeit würde durch eine zusätzliche therapeutische Nutzung erhöht.

 

Gibt es schon erste Ergebnisse?

Arntz: Bislang nicht. KI-Technologien sind insgesamt noch in der Entwicklung.

 

Wie könnte die Anwendung der digitalen Technologie in der Psychotherapie in fünf bis zehn Jahren aussehen?

Arntz: Die Vision ist, dass wir zeigen können, dass die Anwendung für Kinder einen positiven Effekt hat und ihre mentale Gesundheit sich dadurch verbessert. Und dass wir die Technologie in ihren Alltag integrieren und bei ihrer Versorgung anwenden können, damit so viele Kinder wie möglich diese Unterstützung bekommen – die mit Therapieplatz und die auf der Warteliste. Sehr visionär wäre, dass auch Kinder das Angebot nutzen können, die in sozioökonomisch prekären Situationen oder in ländlichen Gebieten leben. Dazu müsste das Ganze in der Gesellschaft bekannt, enttabuisiert und breit verankert sein. 

 

Ihr Wunsch an Politik und Öffentlichkeit?

Arntz: Eine bessere psychotherapeutische Versorgung. Und ein offenes, ehrliches Interesse.


Fabian Arntz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Postdoc an der Professur für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Potsdam.

Maxi Woelke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Potsdam.

Zum BMFTR-Forschungsverbund „Interaktive und Gamification-basierte Technologien zur Förderung der psychischen Gesundheit im Kindesalter“ (GamKi): https://www.interaktive-technologien.de/foerderung/bekanntmachungen/gamki

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.