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„Im ökonomischen Handeln gibt es kein Schwarz und Weiß“ – Wirtschaftspädagogin Christin Siegfried will ökonomische Bildung besser machen

Vom Taschengeld bis zum Hauskauf: Wir alle hantieren unser Leben lang mit Geld. Ob wir mit Hebelprodukten am Finanzmarkt jonglieren, einen neuen Riesen-TV per Sofortkredit zwischenfinanzieren oder im Eisladen die Centstücke auf die Theke zählen, alles setzt ein gewisses ökonomisches Grundwissen voraus. „Financial Literacy“ heißt diese finanzielle Allgemeinbildung in der Wissenschaft. Wer sie hat, kann sich das nötige Wissen aneignen, um in monetären Angelegenheiten eigenverantwortlich und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Statt Spezialwissen aus dem Forschungslabor braucht es vielmehr einen Führerschein für den Umgang mit Geld. Und den sollten am besten alle haben, findet Christin Siegfried. Seit März 2025 ist sie Professorin für Wirtschaftspädagogik für das berufliche Lehramt an der Universität Potsdam. Ihre Mission ist es, dafür zu sorgen, dass ökonomische Bildung ankommt – zunächst in den Curricula der Hochschulen, wo sie lange keine Rolle spielte, und dann endlich auch in den Klassenräumen. In Zeiten von Online-Banking und -Shopping soll die Finanzbildung außerdem die Möglichkeiten digitalen Lernens ausschöpfen.

„Früher oder später sind wir alle als Verbraucherinnen und Verbraucher tätig“, sagt die Wirtschaftspädagogin. „Also sollten wir auch das dafür nötige Wissen haben.“ Sein Geld gut zu verwalten bedeute jedoch nicht, „darauf zu sitzen“, sondern es bewusst auszugeben. Und mitunter seien sogar Schulden sinnvoll: „Ökonomisch gesehen ist es manchmal günstiger, auf Fremdkapital zurückzugreifen, also einen Kredit aufzunehmen, wenn die Bedingungen günstig – sprich: die Zinsen niedrig – sind.“

Ökonomische Bildung habe es lange schwer gehabt in Deutschland, beklagt Christin Siegfried. Aber das ändere sich seit der Jahrtausendwende: „Ökonomische Kompetenz wird zunehmend als integraler Bestandteil von Allgemeinbildung angesehen.“ In Berufsschulen ist Wirtschaft für kaufmännische Ausbildungsberufe Pflicht. In den anderen weiterführenden Schulen gehört es zumeist zur Politischen Bildung, einige Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen haben es aber sogar schon „ausgekoppelt“. Darüber, wie viel Platz Wirtschaftsunterricht in der Schule haben sollte, wird heiß diskutiert. Immerhin müssen für jedes neue Fach etablierte Fächer zurückstecken.

Mehr als gelerntes Wissen

Christin Siegfried widmet sich indes lieber der Qualität von wirtschaftlicher Bildung. Diese kann sie – anders als bildungspolitische Debatten – beeinflussen und mit ihrer Forschung verbessern. Denn wirkliche ökonomische Kompetenz sei mehr als gelerntes Wissen, so die Wissenschaftlerin. Sie sei erst erreicht, „wenn Lernende in der Lage sind, die Perspektiven und verbundenen Interessen, Motive und Einstellungen anderer Beteiligter in ihrer Wirtschaftsentscheidung zu berücksichtigen“. So komplex wie die Wirtschaft selbst müsse auch ihre Vermittlung sein. Im ökonomischen Handeln gebe es kein Schwarz und Weiß, alles habe stets Vor- und Nachteile für die eine oder andere Seite: „Das zu vermitteln, reflektierte Entscheidungen zu ermöglichen, ist die Aufgabe wirtschaftlicher Bildung – und dafür sind Austausch und qualifizierte Diskussionen enorm wichtig.“
Aber wie gelingen Diskussionen über Finanzinstrumente, Steuern und Rentenmodelle? Wie verstehen Schülerinnen und Schüler die Argumente anderer als reale Alternativen und nicht nur als konkurrierende Meinungen? Und welche Formate helfen einem guten Wirtschaftsunterricht wirklich? Wann braucht es ein Rollenspiel, wann Erklärvideos, interaktive Datensammlungen und Onlineshop-Simulationen?

Diesen Fragen geht Christin Siegfried nach, seit sie 2013 ihr Masterstudium an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main beendet hat. Damals steckte die ökonomische Bildung – zumindest in Hessen – sowohl bei den Lernenden als auch bei den Lehrpersonen noch in den Kinderschuhen. „Ich habe als Doktorandin Kurse für die künftigen Wirtschaftslehrkräfte entwickelt, gegeben und zugleich wissenschaftlich evaluiert. Ich konnte zeigen, dass es uns gelungen ist, ihnen das nötige Handwerkszeug, sogenanntes Professionswissen, mit auf den Weg zu geben.“ Seitdem jagt ein Projekt das nächste, wie sie selbst sagt: „Nach der Promotion habe ich mich gleich in das nächste Forschungsvorhaben gestürzt.“ Nach den Lehrenden waren die Schülerinnen und Schüler dran: Wie können digitale Geräte und Formate dabei helfen, den Wirtschaftsunterricht zu verbessern? Um diese Frage zu klären, ging Christin Siegfried – lange vor der Corona-Pandemie und der notgeborenen Digitalisierung der Schulen – ins Klassenzimmer und testete es aus. „Wir sind zu viert losgezogen, mit einem Satz Tablets und Videokameras zur Dokumentation, und haben ausprobiert, was den Unterricht besser macht.“

Wirtschaftsunterricht digital

Mit Erfolg. Ihre Forschungsarbeit brachte der Wirtschaftspädagogin 2022 nicht nur die Habilitation, sondern auch den „New Horizon-Preis des Präsidenten“ der Goethe-Universität, für ihren „wichtigen Beitrag zur Entwicklung des mündigen Wirtschaftsbürgers“. Für sie selbst bildeten die Erkenntnisse vor allem eines: den Ausgangspunkt für weitere Forschung. „Digitale Instrumente ermöglichen es unter anderem, sehr niedrigschwellige Lernangebote zu unterbreiten“, erklärt sie. „Und helfen damit auch denen, die Lernschwierigkeiten haben.“ Wirtschaftliche Zusammenhänge und Abläufe digital zu simulieren, mache sie oft verständlicher, als dies ein Text vermag. Darüber hinaus bringe die Digitalisierung die Forschung selbst voran: „Dank digitaler Tests und Experimente lassen sich beispielsweise die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln sehr realitätsnah gestalten und Financial Literacy sehr gut testen.“

Christin Siegfried geht zielstrebig ihren Weg, so scheint es. Auf ein duales Studium der „International Business Administration“ an der accadis Hochschule Bad Homburg sowie der Northumbria University in Newcastle folgte der Master in Wirtschaftspädagogik in Frankfurt, wo sie auch promovierte und habilitierte. „Zahlen und Mathe waren schon immer meins. Aber es hätte auch ganz anders kommen können.“ Ursprünglich habe sie Wirtschaftsmathematik studieren wollen, aber dann kam das Angebot für das duale Studium. Letztlich eine gute Entscheidung, wie sie findet. „Das Studium war sehr fordernd. Doch ich wusste schnell, dass mir die Arbeit in einem Unternehmen zu eng werden würde. Ich wollte mein eigener Chef sein – etwas, was mir die Wissenschaft bot.“ Deshalb habe sie nach dem Bachelorabschluss gezielt nach einem Masterstudiengang gesucht, der ihr größere Chancen bot, später einmal Professorin zu werden. In Frankfurt wurde sie fündig – und aus dem Studium heraus entwickelte sich eine wissenschaftliche Leidenschaft.

Nach Stationen in Göttingen und Weingarten ist Christin Siegfried seit Anfang 2025 in Potsdam und hat sich Hals über Kopf in die Gestaltung des neuen Studiengangs für das Berufsschullehramt gestürzt, der zum Wintersemester 2024/25 startete. Zugleich hat sie einige neue Projekte angeschoben. So sind Siegfried und ihr Team Teil eines Forschungsnetzwerks, das digitale Kompetenztests für Financial Literacy entwickelt. Diese seien besser, weil sie nicht nur ökonomisches Wissen abfragten, sondern dessen Anwendung in Testsituationen erprobten. Zudem sollen sie direkt im Anschluss Ergebnisse liefern, um den Lernprozess zu unterstützen. „Wir sind in Potsdam dafür zuständig, dass die schriftlichen und mündlichen Antworten automatisch ausgewertet werden, so können die Lernenden unmittelbar Feedback erhalten“, erklärt sie.

Präsenz, digital oder hybrid?

In einem zweiten Vorhaben widmet sich die Forscherin den Lehrerinnen und Lehrern. „Nicht nur die Schülerinnen und Schüler brauchen eine finanzielle Grundbildung, sondern auch die Lehrenden“, so die Wirtschaftspädagogin. Wie kann man ihnen helfen, selbst eine so gute Financial Literacy aufzubauen, dass sie diese auch sicher vermitteln können? „Wir entwickeln Materialien für alle Lehrenden und Lernenden, evaluieren sie fortlaufend und erhalten so einen Pool von Instrumenten, die wir im besten Fall in eine App ‚gießen‘ wollen, die frei zur Verfügung steht.“

Last but not least trägt Christin Siegfried die Frage nach dem richtigen Maß an Digitalisierung inzwischen aus dem Klassenzimmer auch wieder zurück an die Universität. Denn in einem dritten Projekt untersucht sie, welche Seminartypen sich für welche Zwecke eignen. „Präsenz, Digital oder hybrid? Wir schauen, wie die Lehrprozesse in den unterschiedlichen Veranstaltungsformen ablaufen“, erklärt sie. „Und im Idealfall nehmen wir das Beste aus allen Welten mit in die Zukunft.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.