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Blick nach vorn – Lena Sonntag studiert Patholinguistik und ist Leistungssportlerin im Gehen

Es ist einer der heißen Tage im Juli, 17 Uhr. Am Strand des Templiner Sees drängen sich Kinder und Erwachsene. Für Lena Sonntag spielen die 35 Grad, die das Thermometer heute anzeigt, keine große Rolle, das tägliche Training findet nur wenig später statt als sonst. Sie zieht sich am Uferweg das Sport-Top an, reicht dem Trainer ihren kleinen Rucksack und geht nach ein paar Dehnübungen los. Die 21-Jährige bereitet sich auf den nächsten Wettbewerb vor.

Disziplinierter Tagesablauf

Die gebürtige Lauchhammerin hat bereits mehrere Medaillen beim Gehen auf der Bahn und auf der Straße geholt. Und sie studiert an der Universität Potsdam Patholinguistik, ein theoretisch und praktisch ausgerichtetes Fach zur Behandlung von Sprach- und Entwicklungsstörungen. Um beidem, dem Leistungssport und dem Studium, gerecht zu werden, ist ein äußerst disziplinierter Tagesablauf nötig.

Damit hat Lena Sonntag keine Probleme. Sie konzentriert sich auf das, was gerade ansteht. „Heute machen wir ein Tempo-Programm.“ Das bedeutet, im Wechsel mal zwei Kilometer, mal einen Kilometer schnell gehen, sodass sie auf insgesamt zehn Kilometer kommt. „Dazwischen gibt es 90 Sekunden Pause – oder weniger, wenn es anstrengender sein soll.“ Ein- oder zweimal die Woche gehört das zu ihrem Training am Potsdamer Luftschiffhafen. Zum Leistungssport gelangte Lena Sonntag erst als Jugendliche. Vorher war sie mit ihrer Zwillingsschwester in der Leichtathletik beim SC Potsdam aktiv. Von da kam sie zufällig zu den Gehern – und fand Gefallen daran: „Man macht am Anfang schnell Fortschritte, und die Konkurrenz ist nicht so groß. Ich stand öfters oben auf dem ersten Platz.“ Der Sport eigne sich gut für eine Frau von 1,60 Metern Größe, sagt sie lachend: „Mit kurzen Beinen schafft man eine hohe Schrittfrequenz.“ Die Herausforderung liege in der richtigen Technik, erklärt Sonntag: Wer schummelt, die Knie falsch bewegt und den Boden nicht berührt, bekommt im Wettkampf vom Schiedsrichter die Kelle oder eine Rote Karte gezeigt – und manchmal auch eine Zeitstrafe. Bei ihr bestehe da keine Gefahr: „Ich habe eine sehr saubere Technik, und wir trainieren sie auch gezielt.“

Prioritäten setzen

Schon als Lena Sonntag die Oberstufe am Potsdamer Humboldt-Gymnasium besuchte, drehte sie täglich ihre Runden. „Ich hatte meistens bis 14 oder 16 Uhr Schule, dann trainieren, zu Hause kurz Schulaufgaben machen, essen und fünf Stunden schlafen“, erzählt sie. „Ich weiß gar nicht mehr, wie ich das durchgehalten habe. Aber ich wollte an der leistungsorientierten Schule gut mithalten.“

Und feiern gehen? Erst neulich musste sie die Geburtstagseinladung einer Freundin absagen: „Man muss Prioritäten setzen. Am Ende würde ich mich ärgern, wenn ich jeden Tag trainiere, mir aber durch Alkohol und wenig Schlaf selbst ein Bein stelle“, betont die Sportlerin. „Da ich schon lange so lebe, vermisse ich es gar nicht, bis in die Morgenstunden unterwegs zu sein. Ich war dafür immer viel zu kaputt.“ Umso wichtiger sei es ihr deshalb, auf dem Golmer Campus Menschen zu treffen, die mit Sport gar nichts zu tun haben. Dass sie Geherin sei, darauf würden manche positiv überrascht reagieren. „Allerdings werde ich, wenn ich draußen trainiere, immer angeschaut, weil viele es gar nicht kennen. Manche machen sich sogar lustig“, bedauert sie. Leider sei auch in der deutschen Leichtathletik das Gehen nicht so angesehen und inzwischen nicht mehr Teil der Jugendmeisterschaften.

Mittlerweile hat sich der sportliche Einsatz auf zehn bis zwölf wöchentliche Trainingseinheiten erhöht. Nur am Donnerstag- und Sonntagnachmittag ist frei. Dass sich die vielen Stunden mit dem Studium vereinbaren lassen, dafür sorgen Betreuer des Olympiastützpunkts. „Wir haben an der Uni einen Nachteilsausgleich vereinbart und das erste Studienjahr auf zwei Jahre aufgeteilt.“ Eine richtige Entscheidung: „Erst einmal ankommen, ein bisschen zeitlichen Puffer haben und verhindern, dass man die Hälfte der Kurse nicht besteht.“

Eine längere Strecke, die ist für Lena Sonntag auch im Sport von Vorteil. „Mein Trainer sagt immer, dass ich wie ein Diesel bin. Der muss erst mal warm werden, bis es dann richtig läuft.“ Je älter sie wurde, desto mehr habe sie sich gefreut, nicht mehr nur drei oder fünf Kilometer zu machen, sondern zehn oder 20.

Die Gesundheit steht an erster Stelle

Mit Erfolg: Nach nur einem Jahr Training holte sie 2019 bei der Deutschen Jugendmeisterschaft der U16 den Titel: „15 Minuten und sechs Sekunden für 3.000 Meter“, das weiß sie noch genau. „Ich war zwei Minuten schneller als der beste Junge. Das war cool – auch wenn er heute schneller ist als ich.“ Auch in den drei Jahren danach holte sie Gold: „Ich habe mich mit jedem Wettkampf steigern können.“ International ist sie ebenfalls dabei und belegte etwa bei der U20-Weltmeisterschaft im kolumbianischen Cali im 10.000-Meter-Bahn-Gehen Platz 23.

In diesem Jahr hatte die Leistungssportlerin erstmals Probleme wegen einer Zyste in der Kniekehle. Sie war dadurch eineinhalb Monate außer Gefecht, konnte aber nach drei Wochen Training an den Deutschen Meisterschaften teilnehmen. „Dann kam das Nächste. Ich hatte Hüftprobleme, die sich hinzogen.“ Jetzt höre sie mehr auf ihren Körper: „Sobald etwas weh tut, sage ich, die Gesundheit ist wichtiger als weiterzumachen.“

Um 17:30 Uhr ist es am Templiner See noch kein Grad kühler geworden. Auf dem Fahrrad fährt der Trainer neben Lena Sonntag her, achtet auf die Schritte und spricht mit der Sportlerin. Längst hat sie das richtige Tempo gefunden und geht – Runde um Runde – an den Badenden vorbei, den Blick nach vorn.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin  Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.