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Landtag horizontal und vertikal – Wie Oke Seliger Studierenden die brandenburgische Landespolitik näherbringt

Vertreten Landespolitiker*innen auch unabhängig von Parteilinien die Interessen ihrer Wähler*innen? Gab es während der Covid-Pandemie einen brandenburgischen Sonderweg? Versucht die AfD, landespolitische Standards auszuhöhlen? Fragen wie diesen widmet sich Oke Seliger, Doktorand an der Professur für Politik und Regieren in Deutschland. Zum einen in seiner Forschung, zum anderen im Bachelor-Seminar „Der Landtag Brandenburg und empirische Dynamiken der Landespolitik“ – und zwar ganz nah an der Praxis, mit Gästen aus der Politik sowie einem Besuch im Landtag.

Vom Seminarraum im ersten Stock von Haus 6 auf dem Campus Griebnitzsee schaut man auf einen kleinen, aber dichten Hain. Hier findet ein Seminar statt, dessen Ziel es ist, Studierenden zu zeigen, wie sie sich im Wald aus Parteien, Mandaten, Gesetzesentwürfen, kleinen und großen Anfragen zurechtfinden können. Dabei geht es Seliger nicht nur darum, den Teilnehmenden Arbeitsweise und Struktur des Landtags zu vermitteln. Einen besonderen Fokus legt er darauf, tagesaktuelle Fragen aus der Politik aufzugreifen. „Ein Teil der Prüfungsleistung ist eine Gruppenarbeit, bei der sich die Teilnehmenden mit konkreten Thema des Landtags befassen und am Ende des Semesters ihre Ergebnisse vorstellen“, erklärt der Dozent.

Politik aus nächster Nähe

Ausgangspunkt dafür ist ein Ausflug in den Landtag im Potsdamer Stadtschloss, der eindrucksvoll unterstreicht, wie praxisnah Seligers Seminar ist. Der Termin wurde in mehreren Sitzungen zu Föderalismus, den Regierungssystemen der Bundesländer und der Parteipolitik im Landtag Brandenburg gründlich vorbereitet. Vor Ort gab es zunächst eine Führung durch das Gebäude und anschließend ein Gespräch mit Referent*innen für Innenpolitik der SPD im Landtag. „Die Studierenden haben eine Menge Fragen gestellt. Einerseits mit Bezug zu ihren Gruppenarbeiten, andererseits aus persönlichem Interesse. Dabei waren auch kontroverse Fragen, vor allem zur Rolle der AfD im Landtag“, sagt Seliger sichtlich zufrieden.

Später im Semester kam Brandenburgs Bundesratskoordinator Thomas Hainz nach Griebnitzsee und sprach über seine Erfahrungen bei der Vermittlung der Landesinteressen auf Bundesebene. Dass Doktorand Oke Seliger so gute Verbindungen in die Politik besitzt, liegt daran, dass er schon als Student der Politikwissenschaften im Bundestag gearbeitet hat. Zuerst als Praktikant im damaligen Bundestagsbüro von Ministerin Manja Schüle, später als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei ihrer Nachfolgerin Sylvia Lehmann. Neben seiner Promotion erforscht er im Projekt „State-DNA“, wie sich Regierungsstrukturen mit der Zeit verändern: „Als ehemaliger Mitarbeiter des Bundestags interessiert mich besonders das Zusammenspiel exekutiver und legislativer Akteure bei der Koordination von Regierungspolitik“, sagt Seliger. Auch in seiner Forschung sind Praxis und Theorie unauflöslich verbunden.

„Die Politikwissenschaften unterscheiden zwischen horizontaler und vertikaler Kooperation: Vertikal meint die Vertretung von Landesinteressen auf Bundesebene und innerhalb der EU, horizontal hingegen die Zusammenarbeit der Länder untereinander“, fasst Oke Seliger zu Beginn des heutigen Seminars zusammen. Jede Sitzung beginnt mit einer kurzen Wiederholung und Zeit für Fragen. Der Kurs ist mit acht angemeldeten Teilnehmenden relativ klein, doch die Motivation dafür umso größer. Das merkt man daran, dass die Studierenden die Nachrichten zur Landespolitik aufmerksam verfolgen, angeregt über ihr Gruppenarbeitsthema diskutieren, dass alle Anwesenden die Sitzungsliteratur gelesen zu haben scheinen und aktiv mitarbeiten. Gegenstand heute: „Landespolitik in der Krise“. Dafür suchen die Studierenden online im Dokumentationssystem des Landtags nach Anträgen und Debatten rund um Covid und werten diese quantitativ und qualitativ aus. Generell hat Seliger ein erfrischend offenes Verhältnis zu elektronischen Werkzeugen in den Sozialwissenschaften, auch zu Künstlicher Intelligenz.

Keine Angst vor KI

So finden sich im Lehrplan des Kurses Hinweise zur Nutzung digitaler Hilfsmittel. Doch statt Verboten gibt es Tipps, welche Werkzeuge sich wofür eignen – und wofür nicht. „Künstliche Intelligenz kann nützlich sein, aber sie kann nicht alle Probleme lösen. Wer seine Hausarbeit von ChatGPT schreiben lässt, kann keine sehr gute Note erwarten“, erläutert Seliger seine Meinung zu dem kontroversen Thema. Nützlich sind solche Tools eher bei der Literaturrecherche, Ideenfindung, dem Abbau von Berührungsängsten mit statistischer Software und bei der Bewältigung großer Datenmengen. Zudem ist es schwer, KI-Nutzung rechtsfest nachzuweisen: „Darum möchte ich einem lieber gutes Forschungsdesign und den Aufbau eines Papers als solide Grundlage vermitteln. Dann können die Studierenden später selber einschätzen, wo der Einsatz von KI für ihre Forschungsprojekte Sinn ergibt.“

Für seine Doktorarbeit nutzt Seliger Methoden der Computational Social Science, bei der Computerprogramme große Datenmengen analysieren und daraus zum Beispiel Muster bei Entscheidungsfindungen ableiten. In seinem Fall geht es um informellen Austausch zwischen Politiker*innen und wie dieser deren Entscheidungen beeinflusst. Dass dieser Prozess die Demokratie aushöhlen könnte, bereitet ihm keine Sorgen: „Dass wir so viele Parteien haben, macht Entscheidungen schwerer und kann auf eine Politik des minimalen Konsens hinauslaufen. Aber durch institutionelle Verschränkungen sind wir dafür zugleich weniger gefährdet, in die Autokratie abzurutschen. Darum finde ich, wir haben schon ein solides Regierungssystem. Trotzdem sollten wir in dieser krisengeprägten Zeit nicht aufhören, über die Resilienz unserer Demokratie nachzudenken.“

Oke Seliger brennt für die Politikwissenschaft. Das ist es letztlich auch, was seinen Unterricht so anschaulich macht und seinen Studierenden Orientierung im Wald der Landespolitik gibt.


Oke Seliger ist seit 2024 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Politik und Regieren in Deutschland der Universität Potsdam.

Die Forschungsgruppe State-DNA an der Professur von Julia Fleischer untersucht, wie sich Regierungen seit dem 19. Jahrhundert verändert haben.
Erfahren Sie hier mehr: https://www.uni-potsdam.de/en/state-dna

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin  Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.