Zum Hauptinhalt springen

Wertschätzung statt Unzufriedenheit

Die Psychologin Nicole Behrend über Körperbilder

Haben Sie sich heute schon verglichen? Ob Straßenreklame, TV-Zeitschrift oder soziale Medien: Bilder von Körpern sind allgegenwärtig und wir sind leicht versucht, uns an ihnen zu messen. Dr. Nicole Behrend ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Beratungspsychologie an der Universität Potsdam und forscht unter anderem zu positivem Körperbild und intuitivem Essverhalten. Die angehende Psychotherapeutin erklärt im Interview, wie Gesellschaft und Familie das Verhältnis zu unserem Körper beeinflussen und wie wir zu mehr Zufriedenheit finden können.

Was verstehen Sie als Psychologin unter dem „Körperbild“?

Es beschreibt das innere Bild, das eine Person von sich hat. Da geht es erstens um die Art und Weise, wie wir unseren Körper wahrnehmen – und das ist nicht immer ein perfektes Abbild der Realität. Zum Beispiel schätzen Menschen ihre Nase größer oder die Hüfte breiter ein, als sie tatsächlich sind. Zum Körperbild zählen aber auch die Gedanken und Gefühle – wie Angst oder Scham –, die wir in Bezug auf unseren Körper haben. Studien zeigen, dass 72 Prozent der Bevölkerung schon einmal mit ihrem Körper unzufrieden waren oder es sind. Drittens geht es um unser Verhalten: Treiben wir exzessiv Sport oder verfolgen wir strikte Diätpläne? Vermeiden wir es, ins Schwimmbad zu gehen, weil wir befürchten, negativ bewertet zu werden? Schauen wir ständig in den Spiegel oder wiegen uns? Wählen wir Kleidung so, dass sie unliebsame Stellen verdeckt, oder retuschieren Selfies, bevor wir sie posten? Solche Verhaltensweisen bezeichnen wir als „maladaptiv“, sie können ebenfalls Ausdruck eines negativen Körperbildes sein.

Personen mit einem positiven Körperbild hingegen begegnen ihrem Körper mit Wertschätzung, Liebe und Akzeptanz. Sie schätzen seine Funktionalität, gehen achtsam mit ihm um, zeigen häufig ein intuitives Essverhalten und filtern körperbezogene Informationen auf eine selbstschützende Weise.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Heranwachsende heute, was ihre Körperlichkeit betrifft?

Jugendliche sind eine besonders vulnerable Gruppe. Die körperlichen Veränderungen während der Pubertät – wie Gewichtszunahme oder veränderte Körperformen – gehen mit der Suche nach Identität und Zugehörigkeit einher. Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, in der Aussehen stark bewertet wird und soziale Vorteile mit einem als attraktiv wahrgenommenen Erscheinungsbild verbunden sind. So entsteht ein subjektiv wahrgenommener Druck, gesellschaftlichen Schönheitsidealen zu entsprechen – bei Mädchen und jungen Frauen meist einem sehr schlanken, „fitten“ Körperideal, bei Jungen und jungen Männern einem muskulösen, fettarmen Körper.

Sie haben gesellschaftliche Normen angesprochen. Welche Rolle spielen denn die sozialen Medien dabei?

Soziale Medien tragen dazu bei, dass gesellschaftliche Ideale verbreitet und zur Norm werden. Auf der Videoplattform TikTok gibt es etwa den Trend „SkinnyTok“, wo extrem schlanke Körper propagiert werden. Diese Bilder sind häufig bearbeitet. Zudem zeigen Algorithmen bevorzugt idealisierte Körper und wenn die Nutzenden einmal im Rabbit Hole sind, sehen sie nichts anderes mehr. Das kann zur Internalisierung von Schönheitsidealen, Körperunzufriedenheit und dem Wunsch nach Veränderung beitragen, was wiederum ungesundes Essverhalten begünstigt und die Bereitschaft für kosmetische Eingriffe erhöht. Durch die Filter, die soziale Netzwerke bereitstellen, um das eigene Aussehen zu verändern, entsteht außerdem ein virtuelles Ich-Ideal, das vom eigenen Selbst abweicht. Auch offline kann es dann das Bedürfnis geben, dem Online-Ich zu entsprechen. Das ständige Optimieren durch Filter und Retusche kann langfristig die Unzufriedenheit verstärken. Ebenso erhöhen Likes und Kommentare den Druck, Geld und Zeit in das eigene Aussehen zu investieren.

War das nicht früher ähnlich, etwa im Zeitalter des Fernsehens?

Soziale Medien sind sehr niedrigschwellig und anders als Fernsehen oder Printmedien omnipräsent. Das Smartphone haben wir immer parat. Hinzu kommt, dass Nutzerinnen und Nutzer Inhalte nicht nur passiv konsumieren, sondern ihr eigenes Aussehen aktiv inszenieren und bearbeiten können. Das kann Selbstüberwachung – also „Body Surveillance“ – triggern und sich auf das Körperbild der Person auswirken.

Können sogenannte „Schönheitsoperationen“ auch hilfreich für den Selbstwert sein?

Studien zeigen, dass kosmetische Eingriffe tatsächlich vorübergehend den Selbstwert stärken können. Der langfristige Nutzen ist jedoch fraglich. Gesellschaftliche Ideale und der Konsum von sozialen Medien hängen mit der Bereitschaft zu kosmetischen Eingriffen zusammen. Sie sind aber mit Risiken verbunden und der Gesundheit nicht zuträglich. Sehr viele Menschen bereichern sich daran, dass es diese gesellschaftlichen Ideale gibt und wir bereit sind, Geld und Zeit zu investieren, um ihnen näher zu kommen. Viel sinnvoller wäre es, Körperunzufriedenheit abzubauen, die eigentlich nicht nötig ist.

Apropos Gesundheit: Wie hängt sie mit dem Körperbild zusammen?

In unserer Gesellschaft ist ein schlanker Körper automatisch auch ein gesunder. Dabei ist Gesundheit ein wahnsinnig komplexer Bereich, bei dem es um mehr als Größe und Gewicht geht. Als Gesundheitspsychologin beschäftige ich mich damit, wie Menschen ein gesundes Verhältnis zu ihrem Körper entwickeln können, und wie wir daran arbeiten können, dass Personen mit riskantem Verhalten nicht in eine Essstörung rutschen.

Was sind die Ursachen solcher Störungen?

Körperunzufriedenheit ist ein wichtiger Risikofaktor für Essstörungen. Für deren Entstehung sind aber auch weitere Faktoren relevant, zum Beispiel die genetische Disposition, ein hoher Perfektionismus und Leistungsanspruch oder ein geringer Selbstwert.

Hat die Familie etwas damit zu tun, welches Körperbild Kinder und Jugendliche entwickeln?

Familie ist hier ein zentraler Faktor. Über Sprache und Verhalten vermittelt sie Ideale. Wenn ein Familienmitglied sagt: „Seitdem du abgenommen hast, siehst du super aus“, kann das langfristig Einfluss auf das Körperbild nehmen, indem es den Eindruck vermittelt, dass Wert und Akzeptanz am Körpergewicht gemessen werden. Auch indirekt prägt die Familie Kinder und Jugendliche: Sie übernehmen oft die Verhaltensweisen ihrer Eltern, zum Beispiel Diäten oder selbstabwertende Kommentare über den eigenen Körper wie: „Das Dessert geht bei mir direkt auf die Hüften.“ Solche Einflüsse geschehen häufig unbewusst, stehen aber insbesondere bei Müttern mit einem negativen Köperbild ihrer Töchter in Verbindung. Die Rolle von Vätern und Geschwistern ist bislang weniger gut erforscht.

Sie sind Psychotherapeutin in Ausbildung. Wie gehen Sie in einer Psychotherapie bei Menschen mit einem negativen Körperbild vor?

In einer Psychotherapie wird ein persönliches Störungsmodell erarbeitet: Wie kam es zur Störung? Wie war das Körperbild im familiären Kontext? Außerdem geht es darum, negative Emotionen festzustellen, hinderliche Gedanken zu hinterfragen und sich kritisch mit gesellschaftlich vorherrschenden Schlankheitsidealen auseinanderzusetzen. Zudem sind Expositionsübungen mit Video und Spiegel üblich, um unter anderem Vermeidungsverhalten abzubauen und den Fokus auf positiv bewertete Körperteile zu lenken.

Können wir auch selbst etwas für ein „gutes Körpergefühl“ tun?

Ein positives Körperbild geht mit Liebe, Wertschätzung und Akzeptanz einher. Wir sprechen hier von „Body Appreciation“. Dabei geht es nicht darum, gesellschaftlichen Schönheitsidealen zu entsprechen, sondern den Körper unabhängig vom Aussehen dafür zu schätzen, wie er ist und was er kann – etwa gehen, tanzen oder atmen. Zum positiven Körperbild gehört auch, Schönheit in ihrer Vielfalt wahrzunehmen und anzuerkennen, dass sie in der Individualität und Authentizität einer Person liegt. Auch Medienkompetenz ist wichtig, damit ich schädliche äußere Einflüsse etwa auf Social Media filtern kann und sie aktiv reflektiere. Studien zeigen, dass ein positives Körperbild für ein größeres Wohlbefinden sorgt. Es ist ein Schutzfaktor gegen Essstörungen und geht oftmals mit einem intuitiven Essverhalten einher: also der Fähigkeit, auf innere Körpersignale von Hunger und Sättigung zu achten, statt Diätregeln zu befolgen oder über Essen negative Emotionen zu kontrollieren oder zu verarbeiten.

Eine einfache Übung ist es, jeden Tag zehn Minuten aufzuschreiben, wofür man seinem Körper dankbar ist: etwa dafür, dass wir morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, dass wir Essen schmecken oder Musik hören können. Wie langweilig wäre das Leben ohne all dies!