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Das Staunen fördern – Die Potsdamer Kinder-Universität wird 20

Kinderaugen funkeln bei spektakulären Experimenten: Wenn Flüssigkeiten in Reagenzgläsern wie von Zauberhand die Farbe ändern, ein Miniaturvulkan im Hörsaal ausbricht oder optische Illusionen an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lassen. Als die Universität Potsdam am 30. September 2004 zum ersten Mal ihre sprichwörtlichen Pforten für Grundschulkinder öffnete, war auch das eine Art von Experiment. Die Forschungsfrage: Wie schafft man es, das Konzept eines offenen Tags für Kinder so anzupassen, dass man damit Kinder aus allen Schichten erreicht? Denn die Erfahrung anderer Universitäten in den vorangegangenen Jahren hatte gezeigt, dass in erster Linie Akademiker und besonders engagierte Eltern ihren Nachwuchs „zur Uni schicken“, wenn man diesen die Anmeldung überlässt. Geboren war das Konzept für die Kinder-Universität, bei der Schulen aus Potsdam und dem Umland ganze Klassen für Vorlesungen anmelden können. Im September 2025 findet die große Uni für die Kleinen bereits zum 20. Mal statt. 

No-Brainer und Dauerbrenner

Im September 2004 zeigte sich schnell, wie gut die Idee wirklich war: In kürzester Zeit waren die Vorlesungen, die bis heute in zwei Staffeln stattfinden, ausgebucht. Schon im ersten Jahr kamen 2300 Kinder. Der Kognitionspsychologe Prof. Dr. Reinhold Kliegl, der bei der ersten Ausgabe dabei war, erinnert sich: „Wir waren zwar nicht die erste Universität, die einen Tag an der Uni für Kinder anbot. Aber dass das eine gute Idee ist, das war ein No-Brainer, würde ich sagen.“ 

Bei seinen Vorlesungen für Grundschüler setzte Kliegl auf optische Illusionen. So zum Beispiel mit einem Video, in dem man eine kleine Gruppe Menschen sieht, die sich unterhält. Das Video blitzt in schneller Folge, wirkt ansonsten aber eher unscheinbar. Bis der Seniorprofessor auflöst: Das Geländer im Hintergrund befindet sich plötzlich an einer anderen Stelle! Das ist verblüffend, soll die Kinder aber auch auf eine wichtige Frage aufmerksam machen: „Wie funktioniert Aufmerksamkeit? Gerade das Auseinanderfallen von Wahrnehmung und Realität ist ja aktuell ein Riesenproblem mit den ganzen Verschwörungstheorien und dem Aufstieg von Künstlicher Intelligenz.“ 

Im Laufe der Jahre kamen durchschnittlich jedes Jahr 2100 Schülerinnen und Schüler auf den Campus Golm. In den letzten Jahren hat die Anzahl der angebotenen Vorlesungen zugenommen und damit auch die Zahl der verfügbaren Plätze. Im September 2025 werden zu den 22 Vorlesungen der Jubiläumsausgabe 2900 Kinder erwartet: Neuer Rekord! Seit 2012 Dauerbrenner unter den angebotenen Lehrveranstaltungen sind Steffen Ramms Vorlesungen zu Rekordhaltern, Wundern und Fleischfressern in der Pflanzenwelt. Diese sind so beliebt, dass der Gartenpädagoge des Botanischen Gartens sogar schon „Kritik“ von Lehrern geerntet hat: „‚Man kriegt ja nie Plätze bei ihren Veranstaltungen, weil die immer so schnell ausgebucht sind‘, höre ich immer wieder“, sagt er nicht ohne Stolz. In manchen Jahren waren schon nach nur sieben Minuten alle Plätze vergeben. „Das ist natürlich die beste Werbung für uns, weil wir dann auf das Grüne Klassenzimmer hier im Botanischen Garten verweisen können.“ 

Was Ramms Vorlesungen so beliebt macht, ist nicht nur seine unterhaltsame Art – er turnt auch schon mal als lebendig gewordene fleischfressende Pflanze durch den Hörsaal –, sondern auch das Anschauungsmaterial, das er stets mitbringt. Ob fleischfressende Pflanzen oder riesige Seerosenblätter: Die Geschichten, die der Gartenpädagoge unter anderem im Regenwald von Borneo gesammelt hat, erklärt er immer am Objekt. „Sobald eine Pflanze nicht nur Pflanze ist, sondern irgendwas Spezielles macht, leuchten die Augen und dann wollen sie immer weitermachen. Und in so einem großen Vorlesungssaal mit 200 Kindern, ist das schon jedes Mal was Besonderes“, sagt er. Seine Vorlesungen hinterlassen dabei einen bleibenden Eindruck: „Ich hatte schon mehrfach Schüler die im Botanischen Garten ein Praktikum machen, weil sie bei der Kinderuni waren. Die sind von der Vorlesung so begeistert gewesen, dass sie dann wirklich in der achten oder neunten Klasse bei uns angefragt haben.“ 

Von der KinderUni an die Uni

Dass die Dritt- und Viertklässler auch nach dem Ende ihres KinderUni-Wandertags noch an das Erlebte denken, beweisen zahlreiche Briefe, die den Dozierenden und den Präsident*innen der Universität über die Jahre von den Kindern geschickt wurden. Und bei manchen wurde an diesem Tag sogar die Idee „gepflanzt“, später einmal selber studieren zu wollen. So zum Beispiel bei Lotta Höpfner, die 2013 und 2014 teilgenommen hat und heute an der Universität Potsdam Deutsch und Kunst auf Lehramt studiert. Noch gut zehn Jahre danach weiß sie, dass es um Schokolade und Fledermäuse ging, also war sie vermutlich bei Prof. Dr. Marianne Vaters „Vampire und Co.“ und bei Prof. Dr. Uta Herbsts „Warum ist die Kuh lila?“. „Eine Sache, an die ich mich besonders erinnere, ist, dass sehr viele Kinder dort waren und man sich plötzlich – obwohl man so klein war – so groß gefühlt hat und stolz war, dabei zu sein“, sagt sie.  

Seit 2017 jedes Jahr dabei ist auch Dr. Martin H. Trauth, Professor für Paläoklimadynamik am Institut für Geowissenschaften. Um seine Themen möglichst anschaulich zu vermitteln, hat der Geowissenschaftler schon mal Schädel dabei oder bringt seine Pyramide aus Lego mit. Wichtig ist ihm dabei auch, die Themen an das Hier und Jetzt anzubinden, vor allem an Kernbegriffe des Klimawandels: „In einer Vorlesung habe ich ein Lineal langsam über die Tischkante geschoben. Das geht eine ganze Weile gut, bis es plötzlich herunterfällt. So vermittelt man Kipppunkte, dass es jedem Kind direkt einleuchtet.“ 

KinderUni wird digital

Als die KinderUni2020 und 2021 pandemiebedingt nicht wie gewohnt stattfinden konnte, war ein neues Konzept geboren: Die „KinderUni digital“. Das Medienzentrum der Uni Potsdam drehte mit einigen Vortragenden 15-minütige Videovorlesungen – unter anderem Steffen Ramm zu Pflanzenrekorden und Prof. Dr. Marie Schröer zu Comics –, die anschließend online gestellt wurden und so digital ins Klassenzimmer gelangten oder fürs Homeschooling eingesetzt werden konnten. Die kleinen Wissenschaftsfilme kamen so gut an, dass der rbb sie in sein Kinderprogramm und seine Mediathek aufgenommen hat. Bis heute sind alle Filme über das Videoportal der Universität verfügbar und es kommen immer noch neue hinzu, wie zuletzt der Besuch des Agrarforschers Prof. Hubert Wiggering auf einem Bauernhof der Zukunft. Aber die Kinder-Uni-Macher gingen noch weiter und boten im Herbst 2020 einige Vorlesungen als Live-Stream an. Martin Trauth, der eine der beiden ersten „Live-Übertragungen“ der KinderUni vor rund 1.200 Kindern hielt, erinnert sich an dieses besondere Erlebnis, das nicht nur datenschutztechnisch herausfordernd war: „Die Schüler*innen mussten bei Zoom ihre Kameras ausgeschaltet lassen. Ich wusste, es waren weit mehr als 1.000 Kinder an den Bildschirmen, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Aber einmal hat eine Klasse ihre Kameras kurz angemacht und gemeinsam ‚Liebe Grüße von der 5b!‘ gerufen. Das war schon rührend.“ 

KinderUni kommt zur Schule

Die digitale Version der KinderUni wurde gut angenommen, doch persönlich ist immer noch am schönsten. Darum wurde 2021 die „KinderUni unterwegs“ gegründet, die das Konzept KinderUni gewissermaßen umdreht: Referentinnen und Referenten kommen zu Schulen und Horten in der Umgebung von Potsdam – oder auch schon mal in den Park Sanssouci, wo Schafe im Auftrag der Wissenschaft weiden. Wer keinen Platz bekommen hat oder es zeitlich am letzten Freitag im September nicht einrichten konnte, der kann sich einfach melden, einen Themenwunsch angeben und bekommt Besuch aus der Uni Potsdam. Wie bei allen Versionen der KinderUni ist auch hier Anschaulichkeit zentral, weshalb auch Experimente an den Schulen möglich sind.

Mit denen kennt sich der emeritierte Professor für anorganische Chemie Hans-Jürgen Holdt besonders gut aus. Bereits vor dem Start der KinderUni 2004 brachte er farbenfrohe Experimente zum Brandenburgtag 2003 in die Potsdamer Fußgängerzone. Als er 2005 zum ersten Mal bei der KinderUni vorführte, wie Chemikalien ihre Farbe verändern oder wie man Knallgas geräuschvoll nachweist, war das ein voller Erfolg: „Die Begeisterung können Sie sich gar nicht vorstellen. Da wurde von Anfang bis Ende mitgefiebert. Aber darauf hatten wir es ja angelegt: Zu zeigen, wie schön die Chemie sein kann.“ Das Besondere: Sein Vortrag „Warum sprudelt Brause? Oder chemische Experimente aus dem Supermarkt“ enthielt vor allem einfache Versuche, die auch zuhause funktionieren. Zum Probieren war sein Beitrag auch 2015, als Prof. Holdt unter anderem chemisches Eis hergestellt hat und die Kinder verkosten ließ. 

Weitere zehn Jahre später, 2025, gibt es wieder ein buntes Programm zum Staunen und Mitmachen, zum 20. Jubiläum mit mehr Programmpunkten denn je! Wie jedes Jahr gibt es zudem ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm, Essen für alle Kinder in der Mensa und vor den Staffeln ein Aufwärmprogramm mit TomTom. Aber auch die Dozierenden nehmen bei der KinderUni immer etwas mit. So sagt Steffen Ramm, dass ihn die Fragen der Kinder auf Ideen bringen, die ihm selbst gar nicht eingefallen wären. Die KinderUni sorgt eben dafür, dass alle staunen, egal ob Groß oder Klein.