Der Trainer kam selbst durch einen solchen Kurs auf den Geschmack. Damals war dieser noch eine Kollaboration der Berliner Rittergilde mit dem Hochschulsport, aus der 2018 die „Schildwache Potsdam e. V.“ hervorging. Während die Rittergilde den Fokus auf Schaukämpfe und authentische Kostüme legt, waren für Eickelmann und Mitgründer Martin Höppner die Rekonstruktion historischer Kampftechniken und der sportliche Aspekt letztlich interessanter. Heute lehrt und forscht er im Fachbereich Intelligente Weiche Materie in Golm und lässt den Schwertkampf auch mal in seine Seminare einfließen: „Trägheits- und Drehmoment kann man am Beispiel des Schwerts wunderbar erklären und berechnen.“
Es sind rund 20 Menschen, die an diesem Freitag den Kurs „(Seit-)schwert und Beiwaffe“ besuchen. Einige tragen wie Eickelmann die Vereinsfarben oder haben Schildwache-Trikots an. Ihre Trainingswaffen sind von echten Schwertern kaum zu unterscheiden: Nur bei näherer Betrachtung ist zu erkennen, dass die Klinge stumpf ist und die Spitze mit Gummi präpariert wurde. Nach dem gemeinsamen Aufwärmen kommt Bewegung in die Halle. Schuhe quietschen und manch ein Kampfschrei ist zu hören, als die Teilnehmenden eine Art Fechtkampf mit flacher Hand in Zweiergruppen üben.
Historisch fundiert fechten
Anschließend soll es um den Buckler gehen, ein historisches Schild mit namensgebendem Höcker in der Mitte, das zur Abwehr genutzt wird. Aber zuerst erklärt Eickelmann, dass der Buckler einst äußerst beliebt war und in London sogar zeitweilig verboten wurde. Denn deren Träger „waren auf Krawall aus“ – eine solche Schutzwaffe war kein Statussymbol, wie es etwa mit dem Schwert unter Adligen und Rittern üblich war. „Wer einen Buckler dabei hatte, der wollte kämpfen“, so der Trainer. Auch der Ausdruck „etwas im Schilde führen“ rührt daher. Denn hinter dem Buckler ließ sich leicht eine kleine Waffe, etwa ein Dolch, verbergen. Der Trainer führt vor, wie man sich mit dem Faustschild schützt und mit dem Schwert angreift, die Teilnehmenden tun es ihm gleich. Jetzt hört man zum ersten Mal an diesem Abend Metall auf Metall klirren, das Geräusch, das man erwartet, wenn man an Schwertduelle denkt.
Die vermittelten Techniken gehen auf die Zeit der Renaissance zurück, einige Lehrbücher stammen gar aus dem Spätmittelalter. Die Schildwache Potsdam bezieht sich vor allem auf die Bologneser Tradition aus dem Italien des 16. Jahrhunderts. Denn die zahlreichen erhaltenen Schriften aus dieser Epoche enthalten oft detaillierte Illustrationen und Beschreibungen. Zudem sind sie gut dokumentiert und in mehrere Sprachen übersetzt. „Frühere Manuskripte waren oft nicht für die Öffentlichkeit gedacht und sind deshalb eher kryptisch“, erklärt Stephan Eickelmann. Bei aller historischen Exaktheit ist man jedoch alles andere als altmodisch, was die Werte angeht: „Wir werden gerne als mittelalterlicher Männerverein dargestellt“, beanstandet Trainerin Melissa Kleiß. Dabei sind die Mitglieder sehr divers. Nicht umsonst hat sich die Schildwache entschieden, die Regenbogenflagge in ihr Logo aufzunehmen.
Im hinteren Teil der Turnhalle legt eine kleine Gruppe Fortgeschrittener derweil Schutzkleidung an: Helm, Körperpanzer, schwere Handschuhe. Eickelmann erklärt: „Sie bereiten sich auf ein Turnier vor. Die Schwerter sind zwar stumpf, aber wenn doch mal eins zerbricht, kann das durchaus ins Auge gehen.“ Auch die weniger Erfahrenen haben nun alle Helme und Handschuhe an und üben den Zweikampf mit Schild und Schwert. Daran zeigen sich die Unterschiede zum Sportfechten, wie man es von den Olympischen Spielen kennt. Dieses hat sich zwar, mit einigen Zwischenschritten, aus der historischen Schwertkampfkunst entwickelt, nutzt aber zum Beispiel sehr viel leichtere Degen, die Bewegungen ermöglichen, die auf dem Schlachtfeld undenkbar gewesen wären.
Bei aller Technik behalten die Sportler*innen jedoch stets die reale Kampfsituation im Hinterkopf. Co-Trainer Eike Jamrath gibt einem Kursteilnehmer, der gerade einen Treffer gelandet hat, den Tipp: „Wer trifft, sollte trotzdem immer einen Schritt zurück machen. Denk dran, der will dir Böses!“ Bei bestimmten Aspekten orientiert man sich hingegen am modernen Fechten: „Gewisses Know-how ist nicht historisch übermittelt, zum Beispiel Abstände beim Kampf oder andere Sicherheitsstandards.“ Beim Sportfechten gibt es eine lange, ungebrochene Tradition und etablierte Regeln, während man erst ab dem späten 20. Jahrhundert begann, den historischen europäischen Schwertkampf wieder systematisch zu lehren. Und dieser ist seither stetig beliebter geworden: „Wir wachsen schneller, als das olympische Fechten schrumpft“, freut sich Eickelmann.
Auch sportlich wertvoll
In der letzten Viertelstunde des Kurses wird frei gekämpft. Die Schwerter werden gegen kürzere Schaumstoffversionen ausgetauscht. Spätestens hier wird klar, dass dieser Kurs durchaus auch als Work-out taugt, denn jetzt sind Schnelligkeit und Aufmerksamkeit gefordert. Die Kämpfer umkreisen einander, schlagen zu, weichen aus, wehren ab. Zudem, erklärt Stephan Eickelmann, ist die Ausrüstung schwer und man kriegt unter der Maske weniger Luft, „fast wie bei einem Höhentraining“. Dann versammeln sich alle im Kreis für das Abschlussritual: Sie vollführen eine kreisende Bewegung mit dem Schwert und verbeugen sich leicht – so hat man es schon im 16. Jahrhundert gemacht.
Dr. Stephan Eickelmann ist akademischer Mitarbeiter an der Professur für Intelligente Weiche Materie der Universität Potsdam.
Weitere Informationen zur „Schildwache Potsdam e. V.“: https://schildwache-potsdam.de/
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2025 „Kinder“.