Um die Ursachen der globalen Verteilung von Unterwasser-Canyons zu untersuchen, nutzten die Forschenden ein räumlich-statistisches Modell auf Basis von über 2.000 Canyons weltweit. Sie analysierten den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Canyons und 16 geowissenschaftlichen Einflussgrößen, darunter tektonische, geomorphologische und klimatische Faktoren. Mithilfe moderner Punktmusteranalyse zeigten sie, dass die Hangneigung des Meeresbodens mit Abstand der wichtigste Prädiktor ist – deutlich vor anderen Faktoren wie die Nähe zu Flussmündungen, Sedimentfracht oder seismischer Aktivität.
„Unsere Analyse zeigt, dass tektonische und thermische Prozesse, die die Hangneigung des Ozeanbodens formen, letztlich bestimmen, wo Canyons sich besonders häufig bilden“, sagt die Erstautorin der Studie Prof. Dr. Anne Bernhardt. „Diese tiefen unterseeischen Täler sind zentrale Transportwege für Sediment und Kohlenstoff in die Ozeantiefen – ein Prozess, der über geologische Zeiträume das Klima der Erde mitgestaltet.“
Die Studie zeigt außerdem: Sobald ein Canyon bis in den Kontinentalschelf hinein erodiert ist, beginnt er mit küstennahen Prozessen zu interagieren – insbesondere mit der Sedimentzufuhr durch Flüsse oder Küstenströmungen. Dabei entsteht eine Art Konkurrenzsituation: Ein Canyon, der einmal in eine vorteilhafte Position gelangt ist, kann umliegende Canyons regelrecht „ausbremsen“, indem er bevorzugt Sediment aufnimmt. Küstennahe Prozesse wie die Beschaffenheit des Untergrundgesteins oder die Wassermenge aus Flüssen gewinnen ab diesem Punkt an Bedeutung – vor allem, wenn sich Canyons bei niedrigem Meeresspiegel bis zur damaligen Küstenlinie ausdehnen und somit direkten Kontakt zu terrestrischen Sedimentquellen hatten.
„Die physikalischen Prozesse und deren Interaktion finden auf geologischen Zeitskalen statt und sind ziemlich komplex. Und dass sie zudem weit unterhalb der Meeresoberfläche ablaufen, macht die Beobachtung nicht gerade einfacher,“ sagt Dr. Wolfgang Schwanghart. „Die Verwendung eines statistischen Modells war aus diesem Grund ein Ansatz, um auf Basis umfangreicher globaler Daten die Entstehung von Unterwasser-Canyons besser zu verstehen“.
Die Ergebnisse widerlegen die bisher verbreitete Annahme, dass auch vor allem Flüsse und deren Sedimentfracht für die Entstehung von Unterwasser-Canyons verantwortlich sind. Stattdessen zeigen sie: Je steiler der Meeresboden, desto wahrscheinlicher ist die Bildung solcher Schluchten – ein Prozess, der größtenteils durch tektonische Hebung, thermische Abkühlung und Hanginstabilität gesteuert wird. Damit liefert die Studie grundlegende Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen der Geodynamik der Erdkruste und dem globalen Kohlenstoffkreislauf – und schafft eine wichtige Grundlage, um die Rolle der Ozeane als langfristige Kohlenstoffsenke besser zu verstehen.
Die neuen Erkenntnisse haben Bedeutung über die Geowissenschaften hinaus: Unterwasser-Canyons transportieren organischen Kohlenstoff in die Tiefsee und tragen so zur langfristigen Klimaregulierung bei. Indem die Studie zeigt, wo und warum sich solche Canyons bevorzugt bilden, verbessert sie unser Verständnis der globalen Kohlenstoffsenken.
„Unsere Ergebnisse helfen, Regionen zu identifizieren, in denen Kohlenstoff besonders effizient in die Tiefe gelangt“, sagt Anne Bernhardt. „Das ist wichtig, um Erdsystemmodelle und Prognosen zur Stabilität natürlicher Kohlenstoffspeicher zu verbessern.“
Link zur Publikation: Anne Bernhardt, Wolfgang Schwanghart, Seafloor slopes control submarine canyon distribution: A global analysis.Sci. Adv.11, eadv3942 (2025). https://doi.org/10.1126/sciadv.adv3942