„Patient*innen mit CCM-3 haben mitunter schon als Kinder zahlreiche Läsionen im Gehirn“, sagt Prof. Dr. Salim Seyfried, der einige Leidensgeschichten persönlich kennt. „Die Läsionen können überall im Gehirn auftreten, auch in Bereichen, die inoperabel sind. Viele warten verzweifelt darauf, dass ein Heilmittel gegen ihre Krankheit gefunden wird.“
Dem Physiologen und seinem Team gelang vor einigen Jahren ein wichtiger Durchbruch im Kampf gegen die Erkrankung. Aus rund 6.000 chemischen Verbindungen haben sie erstmals Wirkstoffe identifiziert, die CCM-bedingte Verwachsungen in menschlichen Blutgefäßzellen möglicherweise verhindern können. „Auf industriellem Level ist dieser Prozess zum Teil schon etwas automatisiert“, sagt Postdoktorandin Claudia Rödel. „Hier haben wir das manuell gemacht.“ Ein breit angelegtes Screening, das mehrere Jahre in Anspruch nahm und der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen glich. In einer neueren Studie entdeckten die Forschenden außerdem zwei weitere vielversprechende Wirkstoffe.
Die getesteten Substanzen umfassen auch solche aus gängigen Arzneien, die gegen alle möglichen Leiden eingesetzt werden, etwa gegen Bluthochdruck oder psychische Erkrankungen. Anhand von Fischeiern, später auch menschlichen Gefäßzellen untersuchten die Biolog*innen, ob diese Verbindungen gegenüber vaskulären Anomalien eine Wirkung entfalten. In einem weiteren Schritt wurde eine engere Auswahl dieser Substanzen ganz gezielt daraufhin untersucht, ob sie auf molekularer Ebene einen Einfluss auf die Krankheitsursache von CCM nehmen.
Blutfluss: ein Sparringspartner für Gefäßzellen
Schließlich ist im Fall von CCM der Übeltäter nach jahrelangen Forschungen kein Unbekannter: der sogenannte Transkriptionsfaktor KLF2. „Dieses KLF2 ist der vielleicht am besten erforschte biomechanische Regulator“, sagt Salim Seyfried. „Aber bei CCM hatte den zunächst niemand auf dem Schirm.“
Van-Cuong Pham, Doktorand am Institut für Biologie und Biochemie, erklärt, was dabei auf molekularer Ebene passiert. „Im Prinzip reagiert KLF2 auf den Blutfluss“, erklärt Pham. „Ist dieser ausreichend hoch, wird KLF2 aktiviert und schützt die Gefäßzellen gegen den mechanischen Stress.“ Die Forschenden vermuten, dass die Scherkräfte, die auf Blutgefäße einwirken, Einfluss auf die Gefäßgesundheit haben.
„Durch unsere Forschung wissen wir, dass KLF2 nicht nur schützen, sondern auch krank machen kann.“ Denn im Erbgut von CCM-Patient*innen, die oft aus regelrechten Schlaganfall-Familien stammen, sorgen folgenschwere „Schreibfehler“ dafür, dass auch Gefäße mit geringem Blutfluss hohe Konzentrationen des Transkriptionsfaktors aufweisen. Dieser kann jedoch nicht wie bei Gesunden an die DNA der Gefäßzellen binden und sie schützen: Das Chromobox-Protein Homolog 7 (CBX7) hindert ihn daran und lässt KLF2 plötzlich Dinge tun, die den Zellen eher schaden als nützen.
„Die betroffenen Zellen teilen sich dann vermehrt, und auch die Form der Gefäße verändert sich zum Teil drastisch“, beschreibt Claudia Rödel den Blick durchs Mikroskop. In Laborversuchen konnte das Team nachweisen, dass zwei Substanzen mit den Kürzeln MS37452 und MS351 den aus dem Ruder geratenen Mechanismus unterbrechen, indem sie CBX7 blockieren.
Hoffnung auf medikamentöse Behandlung von CCM
In der Natur kommen solche CBX7-Hemmer allerdings nicht vor. „Es handelt sich um synthetische Verbindungen, die der US-amerikanische Pharmakologe Ming-Ming Zhou vom Mount Sinai Hospital entwickelt hat“, erläutert Salim Seyfried. „Wir wollen diese Wirkstoffe nun für die therapeutische Verwendung einsetzen. Ziel ist ein Medikament speziell gegen CCM.“
Diese „Pille gegen Schlaganfall“ könnte verabreicht werden, damit sich akute Gefäßwucherungen zurückbilden oder – im präventiven Einsatz – womöglich gar nicht erst entstehen. Sie würde heikle Gehirn-OPs überflüssig machen, bei denen erkrankte Blutgefäße entfernt werden, bevor sie platzen und einen Schlaganfall auslösen. Auch die MRT-Untersuchungen, die Zellwucherungen bei Risikopatient*innen aufspüren sollen, wären damit passé. Für die Betroffenen wäre ein normales Leben möglich.
Die Erkenntnisse der Potsdamer Wissenschaftler*innen gehen weit über die Entdeckung von Wirkstoffen hinaus. Denn die Erforschung der Ursachen von CCM wirft neue Fragen auf, speziell zur Strömungsdynamik des Blutes und ihren Auswirkungen auf die Zellen. Und warum tragen CCM-Patient*innen die ursächliche Genmutation in jeder Zelle ihres Körpers, entwickeln die brombeerförmigen Wucherungen aber ausschließlich im Gehirn?
Auch das Verständnis anderer Erkrankungen profitiert von der CCM-Forschung. Vielen liegt eine genetische Mutation zugrunde, die im Menschen jedoch nicht gut erforscht werden kann. Stattdessen braucht es tierische Zellen und Organismen, in denen die pathogenen Prozesse wie auch potenzielle Wirkstoffe beobachtet werden können. Besonders bei der Erstellung von Krankheitsmodellen in Zebrafischeiern hat sich das Institut im Laufe der Forschungen zu CCM viel Know-how angeeignet.
Ihrem Ziel, die tückische Erbkrankheit zu überlisten, sind die Forschenden ein gutes Stück näher gekommen. Bis ein zugelassenes Medikament gegen CCM auf den Markt gelangt, braucht es aber weitere Forschung, etwa zur Verstoffwechslung, zu möglichen Nebenwirkungen oder zur allgemeinen Verträglichkeit – und Investoren, die in der Produktion von Nischenmedikamenten eine Chance sehen. „Das kann ein Start-up sein, das ein zugelassenes Arzneimittel herstellt“, sagt Salim Seyfried.
Salim Seyfried ist seit 2014 Professor für Zoophysiologie an der Universität Potsdam.
E-Mail: salim.seyfrieduuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2025 „Kinder“.