Über 33 Prozent der Hochschulangehörigen leben mit Behinderungen, chronischen oder psychischen Erkrankungen. Wie wird Inklusion schon heute an der Universität Potsdam realisiert?
Menschen mit Beeinträchtigungen, chronischen oder psychischen Erkrankungen wollen diese häufig nicht offenlegen. Das hat auch mit der Sorge zu tun, dies könne Auswirkungen auf die Arbeit oder das kollegiale Miteinander haben. Viele befürchten Diskriminierung oder, auf die Beeinträchtigung reduziert zu werden. Das hat auch die Umfrage im Rahmen des Diversity Audits von 2022 gezeigt. Die Ergebnisse sind vergleichbar mit denen ähnlicher Umfragen anderer Hochschulen.
Uns als Inklusionsteam ist es zum einen besonders wichtig, dass sich die Studien- und Arbeitsbedingungen für Betroffene an der Universität verbessern. Zum anderen liegt es uns aber auch am Herzen, dass möglichst wenig Menschen überhaupt in den Bereich einer Behinderung gelangen oder langfristig chronisch beziehungsweise psychisch erkranken. Wir arbeiten deshalb eng mit dem Gesundheitsmanagement zusammen, um präventiv tätig zu sein. Außerdem kümmern wir uns um Barrierefreiheit in allen Kontexten, damit Betroffene trotz Einschränkungen ihr Potenzial in der Hochschule einbringen können, ohne dabei wortwörtlich „behindert“ zu werden.
Wo gibt es noch Raum für Verbesserung?
Eine inklusive und barrierefreie Universität ist leider noch ein Zukunftstraum. Aktuell geht es uns vor allem darum, Barrieren aufzudecken und nach und nach zu beseitigen. Natürlich gibt es bereits Beratungsangebote und Schulungen für Betroffene und Teams zum Thema. Jedoch erreichen wir bislang nur einen kleinen Teil der verschiedenen Zielgruppen. Damit Inklusion gelingen kann, brauchen wir Offenheit von allen Beteiligten. Dabei können sich Rollen auch verschieben. Betroffene können in der Rolle einer Führungskraft beispielsweise ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt sein als Studierende. Auch Nichtbetroffene erleben die Auswirkungen von inklusiven Maßnahmen. Auch diese Zielgruppen möchten wir ansprechen und unterstützen. Übersetzt heißt das: Inklusion geht alle an. Jedoch fühlen sich davon noch lange nicht alle angesprochen. Deshalb brauchen wir noch mehr Sichtbarkeit und eine Entstigmatisierung des Themas.
Die „Hingucker“-Kampagne läuft von Mai 2025 bis Ende 2026. Welche Aktionen möchten Sie in dieser Zeit umsetzen und was sind Ihre Ziele?
Wir starten am 5. Mai 2025, dem Protesttag für Menschen mit Beeinträchtigungen, mit mehreren Aktionen:
Wir laden an diesem Tag Beschäftigte zu Kaffee und Kuchen in die Mensen ein. Die Aktion „ein Stück vom Kuchen für alle“ führen wir in Zusammenarbeit mit der Stadt Potsdam durch. Es geht darum, unkompliziert und nahbar ins Gespräch zu kommen. Dabei sollen Inklusion, Beeinträchtigung, chronische und psychische Erkrankungen thematisiert und aus den verschiedenen gesellschaftlichen Rollen heraus beleuchtet werden, ohne dafür in einem Workshop zu sitzen oder langen Vorträgen zu lauschen. Es gibt kein Skript, nur authentische Begegnungen. Offenheit und Interesse sind Werte, die wir dabei gemeinsam kultivieren wollen.
In Vorbereitung auf den Kampagnenstart haben wir mit dem Kanzler der Universität Potsdam Hendrik Woithe einen Podcast zum Thema aufgenommen. Mit ihm haben wir über die Inklusionsarbeit der Universität und die Herausforderungen und Möglichkeiten im Rahmen der Hochschullandschaft gesprochen. Ein sehr hörenswerter Podcast, besonders für diejenigen, die wissen möchten, wie der Kanzler zum Thema steht.
Ein weiteres tolles Projekt, das am 5. Mai startet, ist die Aktion „Barriere Busters“ in Zusammenarbeit mit der Potsdamer Bürgerstiftung. Wir möchten gemeinsam mit allen Hochschulangehörigen unsere Campi, Wohnheime und Lieblingsorte in Potsdam auf Barrierefreiheit scannen. Jede*r ist eingeladen, das Handy zu zücken, um neue Orte mit oder ohne Barrierefreiheit in der digitalen Karte „Wheelmap Potsdam“ einzutragen. Als Dank gibt es ein cooles Uni-Shirt, das man sich im Unishop gratis abholen kann. Rampe vorhanden, Tür zu schmal, Weg zu steil – jeder Hinweis bringt uns einer barrierefreien Hochschule näher.
Ergänzt werden diese Mitmach-Aktionen durch Plakate und Ausstellungen, im Wintersemester freuen wir uns auf die Vergabe des Inklusionspreises. Außerdem stellen wir umfangreiche Beratungs- und Informationsangebote, Broschüren, Leitfäden und Handlungsempfehlungen für Betroffene, Führungskräfte, Kolleg*innen und Lehrende bereit.
„Bist du ein Hingucker?“ ist ein Titel, der aufhorchen lässt. Was ist die Geschichte hinter diesem Namen?
Hingucken ist das zentrale Thema der Kampagne. Die erste Assoziation ist natürlich das automatische Hingucken bei allem was anders ist, was nicht der Norm entspricht. Vielleicht auch das peinlich berührte Weggucken in manchen Situationen. Hingucken heißt es auch, wenn die Mehrheit der Beeinträchtigungen eben gerade nicht sichtbar ist. Der Zusatz „gemeinsam sichtbar werden!“ unterstreicht noch einmal, dass es darum geht, zusammen stark zu sein, Potenziale zu erkennen, zu fördern und zu fordern. So kann eine Gesellschaft zum Hingucker werden.
Zur Website der Kampagne: https://www.uni-potsdam.de/de/inklusive-hochschule/bist-du-ein-hingucker-gemeinsam-sichtbar-werden