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Weniger ist mehr – Warum Konsumverzicht nachhaltig ist und glücklich macht

Ingo Balderjahn
Foto : Karla Fritze
Ingo Balderjahn

Die Wirtschaft brummt, der Konsum auch. Dass es uns als Gesellschaft gut geht, wird gern daran gemessen, wie viel wir kaufen und verbrauchen. Aber ist das richtig? Hat die Maxime „immer mehr“ noch eine Zukunft? Immerhin verbrauchen wir weit mehr, als die Erde uns – nachhaltig – zur Verfügung stellen kann. Der EarthOvershootDay, also der Tag im Jahr, an dem die Ressourcen, die langfristig jährlich zur Verfügung stehen, war 2023 der 2. August. Den Rest des Jahres haben wir „auf Pump“ gelebt. Zeit umzudenken, sagt Ingo Balderjahn. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Seniorprofessor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing. Sein Steckenpferd ist die Konsumforschung. Er sagt: Wir sollten weniger konsumieren. Das wäre nicht nur ressourcenschonender, sondern macht auch noch glücklich. Matthias Zimmermann sprach mit ihm über Ursachen und Folgen unseres Konsums – wie man ihn ganz konkret ändert. Am 25. April stellt er in seiner Abschiedsvorlesung sein aktuelles Buch zum Thema vor: „Lust auf Verzicht: Eine andere, oft verkannte Perspektive auf den Kampf gegen den globalen Klimawandel“.

Wofür haben Sie zuletzt viel Geld ausgegeben?

Im November letzten Jahres habe ich mir einen richtig teuren Wintermantel gekauft. Er wurde unter Einhaltung ökologischer Standards hergestellt und ist sehr haltbar. Ich habe eine lebenslange Garantie auf diesen Mantel bekommen, ohne dass ich den Bon vorzeigen muss. Soll ich Ihnen die Marke sagen?

Konsumieren Sie selbst weniger als früher?

Das ist schwer zu sagen, da ich nie darüber Buch geführt habe. In meiner Ausbildungs- und Studienzeit hat mich die finanzielle Situation davon abgehalten, viel zu konsumieren. Es war trotzdem eine sehr schöne und glückliche Zeit. Heute verfüge ich als Professor über relativ viel Geld, kaufe aber bewusst viel weniger, als ich es mir finanziell leisten könnte. Also, weniger als früher konsumiere ich wohl heute nicht. Aber auch nicht viel mehr.

Konsum, was ist das?

Im ökonomischen Sinne umfasst Konsum alle Güter und Dienstleistungen, die Menschen gegen Bezahlung kaufen oder nutzen. Persönlicher Konsum kann sich darauf beschränken, das Nötigste zum Leben zu kaufen. Allerdings konsumieren heute, insbesondere in den reichen Industrieländern, die Menschen weit mehr, als zum Leben notwendig ist. Und dieser Überkonsum ist die Hauptursache für den globalen Klimawandel.

Macht Konsum süchtig?

Üblicherweise wird von einer Sucht gesprochen, wenn sie stofflich gebunden ist. Beispielsweise eine Nikotin-, Alkohol- oder Drogensucht. Es gibt aber auch nichtstoffliche verursachte Süchte, die ein zwanghaftes Verlangen nach einem bestimmten Gefühlszustand oder Erlebnis erzeugen. Am bekanntesten ist wohl die Spielsucht. Aber auch Konsum kann süchtig machen. Dazu gibt es Studien. Bekannt sind Konsumsüchte bei Hüten, Taschen und Schuhen. Genau schätzen kann man den Anteil von Konsumsüchtigen in der Bevölkerung nicht. Er wird relativ gering sein. Für die Umwelt und das Klima stellen deshalb Konsumsüchtige eine deutlich geringere Gefahr dar als die Bevölkerungsmehrheit derjenigen, die gewohnheitsmäßig viel zu viel konsumieren.

Sollten wir alle weniger konsumieren?

Fast alle, das wäre sehr gut für das Klima und für uns selbst. Wer gerade mal so mit dem Geld über die Runden kommt, ist natürlich nicht angesprochen. Alle anderen schon. Der Konsum ist eine der Hauptursachen für den globalen Klimawandel. Denn mit dem Verbrauch von Ressourcen, insbesondere von fossilen Brennsoffen wie Erdöl und Erdgas, werden schädliche Treibhausgase freigesetzt. Mit der Herstellung und dem Konsum von Gütern entstehen immer Treibhausgase, die das Klima weiter aufheizen. Weniger zu konsumieren, tut nicht nur dem Klima gut, sondern auch uns persönlich. Denn es stärkt Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und macht Menschen dabei glücklich. Viele, die weniger konsumieren, als sie sich finanziell leisten könnten, sind mit ihrem Leben oft sehr zufrieden und vermissen nichts.

Wie geht nachhaltiger Konsum?

Nachhaltig konsumiert, wer ökologische und soziale Aspekte sowie die persönliche finanzielle Belastbarkeit beim Einkaufen berücksichtigt. Nachhaltig ist beispielsweise der Kauf von Bio-Lebensmitteln, fair gehandeltem Kaffee und der Verzicht auf entbehrliche und nur kurzlebige Produkte. Im Hinblick auf den ökologischen Fußabdruck, also den zusammengefassten Ressourcenverbrauch und die Emissionen von Treibhausgasen weltweit eines Jahres, ist der Konsum dann nachhaltig, wenn die dafür verbrauchten Rohstoffe von der Bio-Kapazität jährlich regenerierbar wieder bereitgestellt werden können. Das ist aktuell nicht der Fall. Augenblicklich ist zur Deckung des Verbrauchs an natürlichen Rohstoffen eine Fläche von 1,7 Erden notwendig. Würden alle Menschen auf der Erde so maßlos konsumieren wie in Deutschland, dann wären sogar drei Erden nötig, um diese Nachfrage zu decken. Wir sind also weit davon entfernt, nachhaltig mit unseren Rohstoffen umzugehen.

Ist das im Kapitalismus, der auf Wachstum angelegt ist, überhaupt machbar?

Nein, denn unbegrenztes Wirtschaftswachstum ist in einer Welt begrenzter Ressourcen nicht möglich. Wir haben nur diesen einen Planeten. Nicht nachhaltiger Verbrauch von Rohstoffen durch Ausbeutung und Raubbau führt letztlich zur Vernichtung menschlicher Lebensgrundlagen. Allerdings ist der Kapitalismus weniger daran beteiligt, als viele denken. Das Streben von Unternehmen nach Effizienz hat beispielsweise bewirkt, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Öko-Effizienz von Produkten deutlich verbessert hat. Je hergestellter Leistungseinheit werden immer weniger Ressourcen benötigt. Allerdings haben damit verbundene Preissenkungen von Produkten zu deutlichen Mehrverbräuchen geführt und so die Gewinne bei der Öko-Effizienz wieder zunichtegemacht (Rebound-Effekt).

Wie bringt man Menschen dazu, weniger zu verbrauchen bzw. zu kaufen?

Indem man ihren Willen nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, die Einschätzung hoher Selbstwirksamkeit, Verantwortungsübernahme und Empowerment stärkt.

Wie erforscht man Konsumverhalten?

Genau genommen heißt diese wissenschaftliche Disziplin „Konsumentenverhalten bzw. Consumer Behavior“. Ihr Ziel ist es, das Verhalten von Menschen in ihrer Rolle als Konsumenten umfassend erklären und prognostizieren zu können. Es geht dabei beispielsweise darum, die Wahrnehmung von Produkten, Marken und Werbung zu erklären. Auch wird untersucht, wie sich Produktwissen im Gedächtnis bildet und welche Wirkungen dieses Wissen beim Kauf von Produkten hat. Die Studien sind überwiegend empirisch angelegt. Es werden zuerst Forschungsfragen definiert, aus Theorien heraus Hypothesen formuliert und dann mithilfe von Stichprobendaten auf Evidenz geprüft.

Sie haben Anfang 2024 ein Sachbuch mit dem Titel „Lust auf Verzicht“ veröffentlicht. Worum geht es in diesem Buch und was soll es bewirken?

Das Buch ist ein Plädoyer an alle Bürgerinnen und Bürger, freiwillig auf entbehrliche, unnötige und kurzlebige Produkte zu verzichten, um damit einen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Freiwilliger Verzicht bedeutet einfach gesagt, weniger zu konsumieren, als es die persönliche finanzielle Lage ermöglicht. Politisches Handeln und technologische Innovationen werden offensichtlich nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. In Verantwortung und Selbstbestimmung könnte (fast) jeder etwas zum Klimaschutz beitragen. Je mehr Menschen freiwillig weniger konsumieren, desto stärker die klimaschonende Wirkung. Die Studien zeigen deutlich, dass freiwilliger Konsumverzicht nicht als Verlust, Opfer oder Askese empfunden wird. Denn wer bewusst auf verschwenderischen Konsum verzichtet, stärkt Gefühle der Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Unabhängigkeit. Das wiederum führt dazu, dass diese Menschen glücklich und zufrieden mit ihrem genügsamen Leben sind.

Ihre 5 Tipps für Menschen, die weniger konsumieren wollen?
(1) Stärken Sie Ihre Fähigkeiten, gute Kaufentscheidungen zu treffen und Ihre Interessen gegenüber Herstellern und Handel durchzusetzen (Empowerment). (2) Erkennen Sie, dass der eigene Konsum schädliche Konsequenzen auf Umwelt und Klima hat und dass weniger Konsum hilft, die Lebensgrundlagen der Menschen auch in Zukunft zu erhalten. (3) Erkennen Sie Ihre persönliche Verantwortung für den Klimaschutz an und rechtfertigen Sie eigene Untätigkeit nicht damit, dass Sie andere, die Politik und die Wirtschaft, dafür verantwortlich machen. (4) Machen Sie sich frei von den Konsumzwängen und Konsumnormen in diesem Land. Lassen Sie sich nicht von anderen sagen, was Sie kaufen sollen. Entscheiden Sie selbst. (5) Probieren Sie es einfach mal aus, weniger zu konsumieren. Sie werden schnell merken, dass es Ihnen guttut.

Am 25. April stellt Ingo Balderjahn in seiner Abschiedsvorlesung sein aktuelles Buch zum Thema vor: „Lust auf Verzicht: Eine andere, oft verkannte Perspektive auf den Kampf gegen den globalen Klimawandel“.
Mehr Informationen: https://www.uni-potsdam.de/de/veranstaltungen/detail/2024-04-25-abschiedsvorlesung-von-herrn-prof-dr-balderjahn

Mehr zu Prof. Dr. Ingo Balderjahn: https://www.uni-potsdam.de/de/marketing-ls/team/balderjahn