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Die Revolution steht vor der Tür – Die Humboldt-Professorin Ariel Dora Stern forscht an den Schnittstellen von Medizin und Ökonomie

Prof. Dr. Ariel Dora Stern
Foto : Sandra Scholz
Prof. Dr. Ariel Dora Stern

Ursache ist nur eine kleine Veränderung im Erbgut, die Folgen sind dramatisch: Bei der Erbkrankheit Beta-Thalassämie produzieren die betroffenen Patienten zu wenig bis gar keinen roten Blutfarbstoff   oder bauen ihn zu schnell ab. Schon im Säuglingsalter bricht die Krankheit aus. Die Kinder haben Wachstumsstörungen, Knochenveränderungen und Anämie, ihre Milz und Leber sind vergrößert. „Es ist eine sehr schwere Krankheit, die mit Bluttransfusionen und Stammzelltransplantation behandelt wird. Das kostet bis zu 100.000 Euro pro Jahr und Person“, erklärt die Wissenschaftlerin Ariel Dora Stern. Die kleinen Patienten müssen regelmäßig viel Zeit im Krankenhaus verbringen.

Seit Kurzem gibt es aber Hoffnung auf Heilung: dank einer neuen Gentherapie. Die fehlerhaften Gene in den Knochenmark-Stammzellen sollen mit der Genschere CRISPR-Cas9 „repariert“ werden. Die Therapie ist aufwendig und sehr teuer, verspricht aber lebenslange Heilung. Für die Betroffenen ein Segen, der dem Gesundheitswesen auf lange Sicht hohe Kosten erspart.

Das Problem: Solche Fälle sind im Bezahlungssystem unseres Gesundheitswesens derzeit nicht vorgesehen. „Die Krankenkassen wissen teilweise gar nicht, wie sie damit umgehen sollen“, erklärt die Gesundheitsökonomin, die seit April als Humboldt-Professorin an der gemeinsamen Digital Engineering Fakultät der Universität Potsdam und des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) lehrt und forscht. Gentherapien sind nur ein Ausschnitt aus dem großen Bild eines sich wandelnden Gesundheitssystems. Wenn es Schritt halten will mit den medizinischen und technologischen Fortschritten, muss es sich anpassen und alte Strukturen hinter sich lassen.

Zum Wohle der Patienten

Gentherapien, personalisierte Medizin und Präzisionsmedizin, neue Diagnosemethoden mithilfe von KI-Algorithmen oder Monitoring von chronisch Erkrankten mit Smartwatches und anderen digitalen Sensoren in Echtzeit – all das und noch viel mehr gehört zu diesem Fortschritt, der allerdings auf Institutionen trifft, die noch nach den Regeln des vergangenen Jahrhunderts funktionieren. Wie Krankenhäuser organisiert, Dienstleistungen im Gesundheitsbereich vergütet oder medizinische Produkte reguliert werden, sei noch nicht auf die neuen Möglichkeiten zugeschnitten, betont Stern.

In diesem spannenden Forschungsfeld – an den Schnittstellen zwischen Naturwissenschaften, Medizin, Innovationen und Wirtschaft – arbeitet Ariel Dora Stern, die zuvor als Associate Professor an der Harvard Business School sowie als Faculty im Harvard-MIT Center for Regulatory Science lehrte und forschte. Wie wird das Gesundheitssystem fit für die Zukunft? Welche Anreize für Innovationen gibt es? Wie kann künstliche Intelligenz zum Wohle der Patientinnen und Patienten genutzt werden? Ariel Dora Sterns Forschung dreht sich um alle diese Fragen. Besonders wichtig ist der Ökonomin dabei, welche Anreize notwendig und erfolgversprechend sind, um Kliniken und Praxen ins digitale Zeitalter zu führen. Welche Softwareprodukte etwa nutzen an welchen Stellen und was wird benötigt, um sie zu etablieren? „Es gibt schon jetzt wahnsinnig gute Tools, die vielen helfen könnten. Aber wie wir diese Anwendungen sicher einführen, optimal zum Patientenwohl einsetzen und angemessen vergüten, müssen wir erst noch herausfinden“, erklärt sie.

„Schicke Ideen müssen auf den Markt gebracht werden“, sagt die Wissenschaftlerin und baut dafür auch den Kontakt zur Startup-Szene auf. Denn gerade von jungen Unternehmen kämen oft die besten Ideen für neue Technologien im Gesundheitswesen. Potsdam bietet dafür ideale Voraussetzungen, denn in der Region sei das Startup-Ökosystem im Bereich Digital Health sehr stark und wächst, an Uni und HPI werden mit dem Masterprogramm Digital Health Studierende sehr gut ausgebildet und durch weiterführende Programme auch unternehmerisch gefördert. Wichtig ist für Ariel Dora Stern der enge Kontakt zur Gesundheitspolitik. In Berlin werden schließlich die Regeln und Gesetze aufgestellt, nach denen ein künftiges Gesundheitssystem arbeiten soll.

Erfolgreiche Geschäftsideen

Als Professorin will sie ihren Studierenden vermitteln, dass die Chancen für gute Businessmodelle im Gesundheitswesen besonders groß sind, es für eine erfolgreiche Geschäftsidee im Digital-Health-Bereich aber auch einiges zu beachten gilt: „Man muss das System verstehen, wissen, wie es reguliert ist und wer was bezahlt. Wem hilft das Produkt weiter, das ich entwickelt habe? Um das zu verstehen und sinnvolle Produkte zu entwickeln, muss man interdisziplinär und mit Medizinern, Krankenhäusern, Krankenkassen, Innovatoren und etablierten Firmen zusammenarbeiten.“

Wenn Ariel Dora Stern den Kopf freikriegen muss, geht sie gern aufs Eis: Beim Pirouetten drehen, Springen und Rückwärtslaufen kann sich die zweimalige US-Universitäts-Meisterin bestens entspannen und den geistigen Akku aufladen. Ab und an steht sie auch auf dem Snowboard, läuft einen Halbmarathon, macht Yoga und fährt Fahrrad. „Sport ist für mich tatsächlich ein sehr wichtiger Ausgleich.“ Was braucht sie noch, um gut arbeiten zu können? „Viel Kaffee“, sagt sie lachend. „Und ein großes Team um mich herum. Allein im Büro hinter geschlossenen Türen zu sitzen, ist nicht mein Ding.“ Die Revolution im Gesundheitswesen, davon ist die Forscherin überzeugt, steht ganz am Anfang. „Wir beginnen gerade erst zu entdecken, was alles möglich sein wird. Aber das ist auch das Spannende daran.“

 

Dieser Text erscheint im Universitätsmagazin Portal - Eins 2024 „Welt retten“.