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Extremwetter verstehen – Der neuberufene Physikprofessor Jan Härter erforscht, wie Gewitter miteinander „kommunizieren“

Prof. Dr. Jan Härter in seinem Büro.
Wetterstation im Senegal
Fünf Personen stehen vor einem weißen Transporter und verladen technische Ausrüstung auf einen Esel der einen Wagen zieht.
Foto : Kevin Ryl
Prof. Dr. Jan Härter
Foto : Jan Härter
Wetterstation im Senegal
Foto : Jan Härter
Im Dienste der Forschung: Ein Esel transportiert die technische Ausrüstung.

„Gewitterzellen organisieren sich selbst“, sagt Jan Härter. Das klingt zunächst ungewöhnlich, doch Selbstorganisation ist eines der Grundprinzipien für Strukturbildung und Wachstum in der Natur. Unter bestimmten Bedingungen können aus zunächst ungeordneten Bausteinen vielfältige Strukturen wie beispielsweise Kristalle, Zellen oder Wolkenformen entstehen. „Selbstorganisation tritt auch bei Fisch- und Vogelschwärmen auf – und eben bei Gewitterzellen, die sich in sogenannten Clustern gruppieren“, erläutert der Wissenschaftler, der seit 2023 Professor für Klimaphysik am Institut für Physik und Astronomie der Universität Potsdam ist. Zuvor leitete er Forschungsgruppen zu Extremniederschlägen am Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen und zu Komplexität & Klima am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung, in gemeinsamer Berufung mit der Constructor University Bremen. „Das Ziel unserer Forschung ist das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen – wie kommt es dazu, dass sich einzelne Gewitterzellen zu größeren Clustern verbinden?“ Das ist deswegen so relevant, da Gewittercluster in sehr kurzer Zeit extrem viel Niederschlag produzieren und damit gefährliche Sturzfluten auslösen können.

Von Gewitterzellen zu Cold Pools

Für die Betrachtung von Gewitterclustern muss man zunächst verstehen, wie eine einzelne Gewitterzelle funktioniert. Damit sich ein Gewitter zusammenbrauen kann, sind eine mit der Höhe stark abnehmende Temperatur und eine erhöhte Luftfeuchtigkeit in Bodennähe nötig. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, können feucht-warme Luftmassen mit hoher Geschwindigkeit aufsteigen. Der beim Abkühlen kondensierte Wasserdampf bildet Quellwolken und das Kondensieren setzt Wärme frei, welche die Luftmassen weiter in die Höhe treibt – bis zur Tropopause. Diese wichtige Grenzschicht der Erdatmosphäre liegt in einer Höhe von ungefähr elf Kilometern in den mittleren Breiten und 18 Kilometern in den Tropen. Dort verbreitern sich die obersten Quellwolken durch nachströmende Luft und lassen die typische Amboss-Form der Gewitterzelle entstehen. In den Tropen sind Gewitterzellen wesentlich mächtiger als in unseren Breitengraden. Das liegt an der unterschiedlichen Höhe der Tropopause und an den höheren Temperaturen, wodurch die Luft deutlich mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Niederschlag aus der Gewitterzelle bildet sich nach ungefähr 30 bis 60 Minuten, wenn die anfänglich mikroskopisch kleinen Tröpfchen durch Zusammenstöße groß genug geworden sind, um durch die Schwerkraft nach unten gezogen zu werden. Ein Teil des Niederschlags verdunstet jedoch auf dem Weg wieder, sodass nicht alle Tropfen am Erdboden ankommen. Die Verdunstung kühlt die Luft unter der Gewitterwolke ab, ähnlich wie Schweiß die Haut kühlt, wenn er verdunstet. Diese abgekühlten Luftmassen unter Gewitterwolken bezeichnet man als Cold Pools – sie bilden den Kern von Härters Forschungsarbeiten.

Im Cold Pool sinkt die kühle, schwere Luft ab, breitet sich am Boden aus und hebt dabei die wärmere, leichtere Luft rundherum an. „Zwischen zwei Cold Pools werden durch die im Randbereich entstehenden Verwirbelungen und die aufsteigende Luft neue Gewitterzellen initiiert“, erklärt Härter. Diese Art der Wechselwirkung von Gewitterzellen untereinander macht ihre Selbstorganisation aus. Sie ist von großer Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung von Gewitterclustern: Während eine einzelne Gewitterzelle typischerweise weniger als eine Stunde existiert, können Gewittercluster bis zu 100 Kilometer Durchmesser haben und bis zu zwölf Stunden bestehen bleiben. „Der Zufall spielt bei diesen komplexen Systemen in der Erdatmosphäre eine entscheidende Rolle und es gibt eine starke Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen“, ergänzt er.

Atmosphärenmodelle und Messstationen

Die Entwicklung von Gewitterclustern simulieren Jan Härter und sein Team mit numerischen Methoden. „Wir benutzen Klimamodelle, um die zugrundeliegenden Atmosphärenprozesse besser zu verstehen“, sagt er. „Die Kalkulationen für unsere Modelle werden am Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg auf Hochleistungsrechnern durchgeführt, was mehrere Stunden, manchmal sogar Wochen dauert.“ Dabei arbeiten sie mit Computercodes, die über Jahrzehnte hinweg wachsen und durch verschiedene Arbeitsgruppen immer wieder angepasst und verändert werden.

Um die Computermodelle evaluieren zu können, benötigt man eine gute Statistik der komplexen Extremereignisse aus hochaufgelösten Messdaten. Dafür baut Jan Härter seit Ende 2023 Wetterstationen im Senegal (Westafrika) auf, wo in der Regenzeit regelmäßig besonders große Gewittercluster vorkommen. „Wir arbeiten mit der Universität Dakar zusammen und hoffen, dass wir mit Beginn der nächsten Regenzeit ab Juni 2024 die Cold Pools minutengenau messen können.“ Zehn Stationen stehen bereits, zwölf sollen es entlang einer 100-Kilometer-Strecke insgesamt werden. Ziel ist es, die Statistik der aufgezeichneten Cluster tageweise und über die gesamte Regenzeit mit der Statistik der computersimulierten Cluster zu vergleichen, um ihre Selbstorganisation besser zu verstehen. Die Ergebnisse können dabei helfen, zukünftig Gefahren durch gewitterinduzierte Sturzfluten genauer abzuschätzen.

 

Dieser Text erscheint im Universitätsmagazin Portal - Eins 2024 „Welt retten“.