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„Eine Kultur, die weniger misogyn ist, nutzt allen an der Hochschule“ – Christina Wolff über den langen Weg zur Gleichberechtigung an Hochschulen

Christina Wolff, zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Koordinationsbüros für Chancengleichheit an der Universität Potsdam.
Christina Wolff, zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Koordinationsbüros für Chancengleichheit an der Universität Potsdam.
Politikerin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin
Foto : Sandra Scholz
Christina Wolff, zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Koordinationsbüros für Chancengleichheit an der Universität Potsdam.
Foto : Sandra Scholz
Christina Wolff, zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Koordinationsbüros für Chancengleichheit an der Universität Potsdam.
Foto : Wikimedia/gemeinfrei
Den ersten Internationalen Frauentag initiierte die Politikerin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin (1857-1933).

Seit über 100 Jahren wird im März der Internationale Frauentag begangen. Er hat seine Wurzeln in der Arbeiterinnenbewegung um die Politikerin Clara Zetkin. Am „Frauenkampftag“ gingen Frauen für ihr Wahlrecht, für Gleichberechtigung, höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gegen Diskriminierung auf die Straße. Aus diesem Anlass blickt Christina Wolff zurück auf ihre bisherige Zeit im Amt als Zentrale Gleichstellungsbeauftragte, spricht über die Situation von Frauen an der Universität Potsdam und verrät, ob sie sich über Blumen am 8. März freut.

Freuen Sie sich über einen Blumenstrauß am 8. März?

Der 8. März ist ein Tag, an dem wir Frauen feiern. Jedes Jahr erhalte ich viele E-Mails von Hochschulangehörigen, warum ich ihn „feministischen Kampftag“ nenne. Ich finde den Tag wichtig, um an Kämpfe und Errungenschaften von Frauen zu erinnern, aber es gibt noch viel zu tun: Überall auf der Welt sind Frauen Gewalt ausgesetzt, aber ebenso vom Gender Pay und Care Gap betroffen. Ich benutze bewusst den Ausdruck „feministischer Kampftag“, um auch Menschen, die sich nicht als Frau identifizieren und die Klassismus, Ableismus, Rassismus und andere Formen von Diskriminierung erleben, einzuschließen. „Frauen“ sind schließlich keine homogene Gruppe. Der Ausdruck geht zurück auf die Arbeiterinnenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie sprach vom „Frauenkampftag“. Es ging ihr darum, Frauen aus unterschiedlichsten Schichten zu vereinen, von der Fabrikarbeiterin bis zur bürgerlichen Hausfrau. Ich finde es noch heute wichtig, den solidarischen Gedanken zu betonen. Deswegen ist mein Motto für dieses Jahr „Verbündet euch!“: Wir müssen alle zusammen Ungleichheiten angehen, wir brauchen auch Männer für diesen Kampf.
Insofern verstehe ich die Metapher mit den Blumen nicht ganz. Wofür gibt es die Blumen? Dafür, dass ich schlechter bezahlt werde, nicht in Führungspositionen komme, mehr Sorgearbeit leiste? Blumen nehme ich gerne an einem anderen Tag entgegen. Besser ist es, am Frauentag gemeinsam auf die Straße zu gehen.

Sie sind nun seit fast sechs Jahren zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität Potsdam. Was war die größte Herausforderung, die Sie in dieser Zeit zu stemmen hatten?

Ich bin nicht nur zentrale Gleichstellungsbeauftragte, sondern leite gleichzeitig das Koordinationsbüro für Chancengleichheit (KfC). Außerdem arbeite ich eng mit den dezentralen Gleichstellungsbeauftragten an den Fakultäten, den zentralen und wissenschaftlichen Einrichtungen, der Zentralen Universitätsverwaltung und der Universitätsbibliothek zusammen. Diese Menschen sind meine größte Ressource: Je mehr wir sind, desto mehr können wir zusammenhalten. Eine Herausforderung ist es aber, in so einem großen Team Wissen weiterzutragen und alle zu motivieren. Und die verschiedenen Rollen auszuüben, ist ein Balanceakt: Als Gleichstellungsbeauftragte habe ich den klaren gesetzlichen Auftrag, den Präsidenten zu beraten. Gleichzeitig habe ich das Ohr an der Basis und erfahre in der Einzelfallberatung, wie es Hochschulangehörigen geht. Und ich arbeite auch sehr strategisch als Teil der Verwaltung. Es gilt, immer wieder besonnene Entscheidungen zu treffen, aber niemals das Ziel aus dem Auge zu verlieren, wenn man auf Widerstände stößt.
Wenn es um Projekte geht, war wohl die größte Herausforderung die Antidiskriminierungsrichtlinie, die wir 2022, nach zwei Jahren Arbeit, verabschiedet haben. Sie entstand aus dem Bedürfnis heraus, Beschwerdestrukturen, insbesondere für Studierende, zu schaffen. Für Betroffene war vorher überhaupt nicht klar, wohin sie sich bei sexueller Belästigung, rassistischer Diskriminierung oder Machtmissbrauch wenden können. Wir mussten diese Begriffe erst einmal definieren, dafür sorgen, dass Menschen die Richtlinie finden und darauf vertrauen, dass sie funktioniert. Es ist immer noch ein Prozess.

Worauf sind Sie stolz?

Eigentlich auf ganz viel. Am meisten darauf, dass unsere Arbeit für Chancengleichheit an der UP so sichtbar ist. Ich beobachte, dass wir als Büro sehr bekannt sind, auch bei den Studierenden; dass wir in der Hochschulleitung sehr viel Akzeptanz erfahren und wir den Frauenanteil bei den Professuren so steigern und bisher auch halten können. Und ich bin stolz, dass wir es geschafft haben, eine gute Diversitäts- und Antidiskriminierungsarbeit aufzubauen. Für mich ist es wie ein Puzzle, bei dem wir immer mehr Teile ins große Ganze einfügen. Anders als an vielen amerikanischen Universitäten, wo in Sachen Diskriminierung eine Sanktionspolitik herrscht, gehe ich eher den Weg des Kulturwandels: „Sensibilisieren, informieren und bearbeiten“, das ist der Dreiklang meiner Arbeit. Ich glaube, dass eine sensible Hochschulkultur auf Dauer verhindern kann, dass es an der Universität sexistische Witze, rassistische Übergriffe oder Grenzüberschreitungen durch Professor*innen gibt. Ich bekomme immer häufiger Anrufe von Menschen, die zum Beispiel Vorfälle von sexueller Belästigung beobachten und mich fragen, was sie tun können. Das ist doch toll! Sie schaffen eine Kultur, in der Missbrauch und Diskriminierung weniger stattfinden können. Ich denke, dass auch die medial sehr aufgewirbelten Fälle von Machtmissbrauch oder sexuellen Übergriffen in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass sich etwas verändert.

Inzwischen liegt der Frauenanteil unter den Professuren bei 41 Prozent – das ist bundesweit Spitze. Brauchen wir in Potsdam überhaupt noch Gleichstellungsarbeit?

Es geht darum, dass wir hier nicht wieder zurückfallen, sondern diesen Anteil noch erhöhen. Und wir müssen in einzelne Fachbereiche gucken: In MINT-Studiengängen starten nicht so viele Frauen, das sollte sich ändern. In anderen Fächern wiederum sollten wir auch junge Männer erreichen, also Parität im binären Sinne schaffen. Wenn in einem Fach über 50 Prozent der Studierenden Frauen sind, sollte sich das bis in die höchste Besoldungsgruppe W3 unter den Professuren durchziehen. Dem ist aber in der Regel nicht so. Warum gehen die Frauen auf dem Weg verloren? Ich habe schon viele Berufungskommissionen begleitet und beobachtet, wie Lebenswege bewertet werden. Viele Frauen verlassen die Wissenschaft nach der Promotion bzw. in der Postdocphase. Das liegt an Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeitsfragen oder eingeschränkter Mobilität. Im Lebenslauf führt das oft zu „langweiligeren“, geradlinigen Karrierewegen: weniger Auslandsaufenthalte, zu spezialisiert, zu wenig spezialisiert. Deswegen sind die Open-Topic-Professuren sehr interessant, weil sich hier an der UP viele Frauen durchsetzen konnten. Auch das Tenure-Track-Programm ist sehr erfolgreich, was die Frauenförderung betrifft.
Es gilt also, immer wieder grundsätzlich zu fragen, auf welche Bedürfnisse unser Wissenschaftssystem eingestellt ist. Was ist die normale wissenschaftliche Karriere? Und wie kann man Auswahlverfahren diverser gestalten? Frauen als Führungspersonen wird immer noch in der Wissenschaft häufig die Kompetenz abgeschrieben. An der UP haben wir zum Beispiel unter den gemeinsamen Berufungen sehr wenige Frauen, denn diese sind oft verbunden mit Leitungspositionen in außeruniversitären Einrichtungen. Ebenso gibt es an der UP, wie auch bundesweit, sehr wenige Dekaninnen. Im wissenschaftsunterstützenden Bereich wiederum müssen wir genauer hinschauen, wie eigentlich eingruppiert wird, wie Arbeit bewertet wird und wie die Arbeitsbedingungen sind. Wenn wir bei den Beschäftigten in Technik und Verwaltung viele Frauen und TIN* Personen haben, sollten wir zusehen, dass sie bleiben – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Wenn wir eine Ankommens- und Bleibekultur haben, die weniger misogyn ist, nutzt das allen Hochschulangehörigen, denn auch Männer leiden teilweise unter Stereotypen und Erwartungsdruck. Für alle wäre die Wissenschaft ein besserer Ort. Und: Für mich gehen Exzellenz und Chancengleichheit Hand in Hand. Eine Universität kann kein exzellenter Ort sein, wenn sie nicht chancengleich ist.

Sie sind seit 2021 im Vorstand der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof). Was können Sie dort, vielleicht auch für die UP, erreichen?

Ich erhalte dort Einblicke in die Bundespolitik. Wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung neue Förderprogramme aufsetzen, bin an der Quelle. Über die bukof, die vergleichbar mit der Hochschulrektorenkonferenz ist, bekomme ich außerdem die gegenwärtigen Herausforderungen, wie zum Beispiel den erstarkenden Antifeminismus, die Kürzung von Mitteln oder die Einstellung von Förderlinien mit, erhalte also ein „Gefühl für Gegenwind“. Auch die geschlechtersensible Sprache ist ein großes Thema: In einigen Bundesländern wie etwa Hessen wurde in Koalitionsverträgen beschlossen, geschlechtergerechte Sprache zu verbieten. In Kürze wird die Sprachempfehlung des KfC für die UP veröffentlicht, sie ist ein wichtiges Positionspapier – auch gegenüber der Landesregierung. Ich verfolge über die bukof zudem die Novelle um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, und auf Bundesebene wird gerade über eine Weiterentwicklung des Entgelttransparenzgesetzes diskutiert. Hier gibt es erste Ideen, das Gesetz auszuweiten, damit es für Tarifverträge an Hochschulen genutzt werden kann. Das wäre relevant für Assistenzen oder Professor*innen, aber auch grundsätzlich ließe sich über die Bewertung von Arbeit an den Hochschulen diskutieren und mehr Entgeltgleichheit fordern.

Fragen der Gleichstellung polarisieren heutzutage die Gemüter, mit ihnen wird auch in Brandenburg Wahlkampf gemacht. Wie gehen Sie damit um – fahren Sie hin und wieder aus der Haut oder bleiben Sie in Diskussionen stets gelassen?

Mein Job ist einer, der an unterschiedlichen Stellen die Gemüter erhitzt, weil das Thema ein sehr persönliches ist: Alle Menschen haben ein Geschlecht, haben eine Haltung zu Fragen von Ungleichheit und Diskriminierung. Dadurch fühlen sich Menschen häufiger davon getroffen. In unserer Zeit erstarkt der Rechtspopulismus und die AfD nutzt häufig Themen, die ich bearbeite. Gerade zu geschlechtergerechter Sprache gehen die Meinungen weit auseinander. Da braucht es Fingerspitzengefühl, um im Dialog zu bleiben. Ich finde schön, wenn man unterschiedliche Ansichten wertschätzt, und finde es wichtig, im Austausch zu bleiben – solange Meinungen nicht menschenverachtend oder demokratiefeindlich sind. Ich gehe nicht immer happy nach Hause, aber in der Regel bin ich zufrieden, wenn ich wenigstens zum Nachdenken angeregt und Perspektiven eröffnen könnte, denn die Reflexion eigener Privilegien ist meist schon der erste Schritt.

Bereiten Ihnen die Wahlen dieses Jahr in Brandenburg Sorgen, was die Gleichstellungsarbeit betrifft?

Ja, ich habe Sorge, dass es einen Rechtsruck geben könnte und damit antifeministische Tendenzen erstarken. Das könnte unterem anderem dazu führen, dass es weniger Geld für Gleichstellung und Diversitätsarbeit an den Hochschulen gibt. Deswegen wollen wir jetzt auch noch schnell die Qualitätsstandards für Familienorientierung und Geschlechtergerechtigkeit verabschieden, sie sind handlungsleitend für das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Wir arbeiten außerdem viel mit Landesakteur*innen zusammen, zum Beispiel dem frauenpolitischen Rat, um die Bevölkerung und Hochschulangehörige aufzuklären, was es für Diskriminierungsschutz und Chancengleichheit bedeuten würde, wenn wir eine rechte Regierung in Brandenburg hätten.

Im Juni stehen die Wahlen der dezentralen Gleichstellungsbeauftragten an. Was sind die Aufgaben der Kolleginnen und wie arbeiten Sie zusammen?

Die dezentralen Gleichstellungsbeauftragten sind knapp 30 Frauen, die mich unterstützen, und alle zwei Jahre gewählt werden. Sie beraten, schreiben Gleichstellungspläne und begleiten Auswahlverfahren. Das sind die Kolleginnen, die für den hohen Frauenanteil unter den Professuren gesorgt haben! Wir haben gemeinsame Weiterbildungen und kollegiale Beratungen und ich unterstütze Veranstaltungsformate, wie „Women in Science“ oder den „Coffee to Care“. Im Sommer werden die dezentralen Gleichstellungsbeauftragten wieder gewählt und wir freuen uns, wenn Mitarbeiterinnen aus der Verwaltung oder der Wissenschaft in unserem Team mitwirken wollen. In den Fakultäten brauche ich dringend Unterstützung: Drei Fakultäten haben derzeit gar keine Gleichstellungsbeauftragten!

 

Wollen Sie sich als dezentrale Gleichstellungsbeauftragte zur Wahl stellen? Hierfinden Sie weitere Informationen.

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