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„Wenn Fakten nicht mehr kommuniziert werden, ist das sehr gefährlich“ – Der Scicomm-Support hilft bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation

Illustration: Ein Mann mit einem langen weißen Kittel hält eine große Glühbirne in der Hand. Um ihn herum sind Arme die Mikrofone auf ihn gerichtet halten.
Julia Wandt von der Universität Freiburg
Kristin Küter
Foto : AdobeStock/PCH.Vector
Die Kommunikation von Forschungsergebnissen ist essenziell – nicht erst seit der Corona-Pandemie.
Foto : Universität Freiburg/Sandra Meyndt
Julia Wandt von der Universität Freiburg
Foto : Kristin Küter, Wissenschaft im Dialog
Kristin Küter

Seit 2023 berät der Scicomm-Support Personen, die aufgrund ihres Engagements in der Wissenschaftskommunikation Angriffe und unsachliche Kritik erfahren. Julia Wandt vom Rektorat der Universität Freiburg und Kristin Küter von der Organisation „Wissenschaft im Dialog“ sind zwei der drei Verantwortlichen der bundesweiten Anlaufstelle. Im Interview berichten die beiden Kommunikationsexpertinnen von ersten Erfahrungen aus der Beratung, informieren über wichtige Schritte im Fall von Hass und erklären, welche Personen besonders betroffen sind.

Haben Anfeindungen auf die Wissenschaft in den vergangenen Jahren zugenommen?

Julia Wandt: Ja, das ist unser Eindruck. Das liegt aber nur zum Teil daran, dass Wissenschaftler*innen in der Corona-Pandemie öffentlich sichtbarer geworden sind. Schon seit mehreren Jahren beobachten wir Anfeindungen, wenn es um Tierversuchsforschung oder Themen wie Klimawandel, Gender und Diversity geht. Deswegen haben wir uns im Herbst 2021 entschlossen, beim Bundesverband Hochschulkommunikation eine Anlaufstelle für Betroffene zusammen mit Wissenschaft im Dialog aufzubauen. Wir hatten dann relativ schnell die Hochschulrektorenkonferenz und die Deutsche Forschungsgemeinschaft als Partner an Bord und im Juli 2023 konnte das Angebot starten. Wir beraten nicht nur Forschende, sondern auch Kommunikator*innen, denn an Hochschulen gab es in den vergangenen Jahren häufig Vorfälle, bei denen den Kolleginnen und Kollegen aus den Kommunikationsabteilungen eine unabhängige Anlaufstelle fehlte.

Kristin Küter: Die Corona-Pandemie war bestimmt ein Beschleuniger, was Anfeindungen von Forschenden betrifft. Und sie haben nicht abgenommen, denn die Krisen sind nicht verschwunden. Für die deutsche Wissenschaftslandschaft gab es bisher keine belastbaren Zahlen dazu. Der Scicomm-Support ist in das Forschungsprojekt „Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit“ eingebunden, das Anfang 2024 erste Zahlen zur Häufigkeit von Angriffen auf Forschende veröffentlichen wird. Wir haben dann fundierte Erkenntnisse über das, was wir spüren: Wenn es um Themen geht, die gesellschaftliche Implikationen haben, mehren sich Hassrede, Bedrohungen und Beleidigungen.

Warum genau sind Angriffe im Wissenschaftsbetrieb eigentlich ein Problem?

Küter: Eine Anfeindung hat meist zum Ziel, Personen zum Verstummen zu bringen, die etwas sagen, das anderen nicht gefällt – Stichwort „Silencing“. Wenn Fakten nicht mehr kommuniziert werden, ist das für die Forschung jedoch sehr gefährlich. Deswegen ist es wichtig, Resilienz im Wissenschaftssystem zu schaffen und Menschen, die Forschungsergebnisse nach außen tragen, den Rücken zu stärken. Die Studie „Hass auf Knopfdruck“ zeigt die Effekte am Beispiel rechtsextremer Hasskampagnen: Als Folge solcher Kampagnen überlegen sich Menschen zweimal, ob sie sich weiterhin äußern. Natürlich gehört Dissens zur Demokratie, aber auf respektvolle Weise, ohne Hass und Anfeindungen.

Wandt: In der Beratung merken wir, dass Anfeindungen auch persönlich belastend sind. Viele Menschen möchten aber weiterhin ihre Meinung äußern, weil ihnen diese Form der Beteiligung am demokratischen Diskurs wichtig ist.

Von wem gehen die Anfeindungen aus?

Küter: Wir können das in unserer persönlichen Beratung bislang nicht ausmachen, noch erkennen wir keine Muster. Doch es gibt Fälle, in denen konzertierte Kampagnen dahinterzustehen scheinen, teilweise von einschlägigen Medien oder Publizisten. Für die Betroffenen ist es hilfreich, die strukturelle Komponente zu erkennen: Es geht weniger um Einzelpersonen, die nach Feierabend einen Kommentar absetzen, als um gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Bestimmte Gruppen wollen verhindern, dass gewisse Themen verbreitet werden. Und da versuchen wir, die Menschen, die bei uns anrufen, zu unterstützen: Oft sind sie nicht als Person gemeint, sondern es geht um das, wofür sie stehen und was sie kommunizieren. Sie sind Projektionsfläche.

Welchen Zulauf haben Sie seit dem Projektstart und wie genau unterstützen Sie Betroffene?

Wandt: Das Angebot wird sehr gut angenommen, wir haben an manchen Tagen mehrere Anrufe. Anfangs hätten wir vor allem Vorfälle im Bereich Social Media erwartet, doch wir haben es keineswegs nur mit Online-Anfeindungen zu tun. Es geht genauso um Angriffe via Telefon, E-Mail, aber auch auf der Straße oder bei öffentlichen Veranstaltungen. An uns wenden sich bekannte Forscherinnen und Forscher genauso wie unbekannte, die zu einem Thema gearbeitet haben, das zum Beispiel durch einen politischen Anlass Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Auch was die Fächer betrifft, lässt sich bisher keine Regel oder Systematik erkennen – wir haben Anfragen aus allen Fachdisziplinen. Und auch die Prävention schwierig. Wir möchten keinesfalls davon abraten, zu bestimmten Themen zu forschen – und das möchten auch die Wissenschaftler*innen nicht. So etwas wäre fatal. Bisher kamen auch keine Menschen zu uns, die aufgrund ihres Geschlechts angegriffen wurden. Insgesamt sind wir froh, ein großes Netzwerk an Partnern zu haben, wie zum Beispiel das Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Hate-Aid, die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin und viele weitere.

Wie funktioniert so eine Beratung konkret?

Wandt: Die Beratung ist in jedem Fall vertraulich und unabhängig, wer möchte, kann sich auch anonym bei uns melden. Wir unterstützen in allen Kommunikationsbelangen und bieten in Zusammenarbeit mit einer renommierten Kanzlei auch Rechtsberatung an. So prüfen wir zum Beispiel, ob es Sinn macht, gegen eine Kampagne eines Presseorgans auch juristisch vorzugehen oder ob es zivilrechtliche oder strafrechtliche Möglichkeiten gibt, die Angriffe und unsachlichen Konflikte zu beenden. Außerdem ist immer ein wenig psychologische Beratung dabei – allein durchs Zuhören und Beraten können wir oft schon beruhigen. Falls weiterführende psychologische Hilfe benötigt wird, verweisen wir an Psychologinnen und Psychologen. In jedem Fall entscheiden die Betroffenen selbst, ob sie sich mit einem Vorfall melden möchten oder nicht – das ist rein subjektiv und wir nehmen alle Fälle mit Bezug zur Wissenschaftskommunikation an. Zudem verstehen wir uns als Ergänzung zur Beratung an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Haben Sie Tipps zur ersten Hilfe für Betroffene?

Küter: Die ersten Schritte sind natürlich individuell. Aber es gibt Fragen, die ich mir zunächst immer stellen sollte: Gibt es eine konkrete Bedrohung? Wie viel weiß man über mich bzw. kann man über Suchmaschinen über mich erfahren? Kennt man meinen Wohnort oder kann ihn leicht herausfinden? Anschließend sollten Betroffene das eigene berufliche und ggf. persönliche Umfeld informieren. Kann ich Unterstützung von meiner Institution, von Kolleg*innen oder Freund*innen bekommen? Gut zu wissen ist außerdem, dass jede und jeder beim Melderegister meine Adresse erfragen kann. Unter Umständen ist es dann ratsam, einen Antrag auf Auskunftssperre zu stellen. Nicht zuletzt sollte ich mich fragen, wie mich die Situation auch emotional betrifft.

Wer arbeitet im Projekt und wie teilen Sie sich die Arbeit auf?

Wandt: Im Team arbeiten ehrenamtlich über 25 erfahrene Hochschulkommunikator*innen. Wir sind immer wochenweise zu zweit im Dienst, damit wir Erreichbarkeit garantieren und uns untereinander über Fälle abstimmen können. Jeder Anruf wird in unserer Datenbank dokumentiert, sodass alle im Team die Informationen nachlesen können. Da wir einen Mandatsauftrag haben, können wir unsere kooperierende Kanzlei jederzeit kontaktieren. Und oft hilft Betroffenen schon der Leitfaden auf unserer Website. Außerdem haben wir ein Beratungs- und Schulungsangebot aufgebaut, mit dem wir unser Wissen an die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen tragen wollen.

Und was wünschen sie sich für die Zukunft des Scicomm-Supports?

Wandt: Wir sehen uns als eine dauerhafte Einrichtung, auch wenn es natürlich besser wäre, es bräuchte uns gar nicht. Wir würden uns freuen, wenn wir vielen Menschen helfen und dazu beitragen können, dass sie sich nicht aus der Wissenschaftskommunikation zurückziehen und im schlimmsten Fall bestimmte Themen gar nicht mehr erforschen. Wichtig ist für uns natürlich auch die fortlaufende finanzielle Unterstützung, gerade vor dem Hintergrund der rechtlichen Beratung und länger andauernder Gerichtsverfahren.

Küter: Dem kann ich mich nur anschließen und hoffe, dass wir durch die Anlaufstelle auch den wissenschaftlichen Diskurs stärken können.

 

Der Scicomm-Support ist von 7 bis 22 Uhr, 365 Tage im Jahr, zu erreichen unter: +49 15792344804. Zum Angebot: https://scicomm-support.de/

Zum CAPAZ-Projekt des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG): https://www.hiig.de/project/wissenschaftsfeindlichkeit-capaz

Informationen zur Unterstützung an der Universität Potsdam finden Sie im Intranet: https://z-wiki.uni-potsdam.de/display/intranetTuP/Digitale+Gewalt+im+Wissenschaftssystem oder wenden Sie sich per E-Mail an scienceaiduni-potsdamde