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Im Kampf um Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit – Studierende entwickeln eine Ausstellung zur jüngsten Geschichte der Ukraine

Eine neue Ausstellung von Studierenden der Universität Potsdam zeigt Bilder aus der Revolution der Würde 2013/14 in der Ukraine.
Seminarleiter Danylo Poliluev-Schmidt
Student Noah MacKay
Foto : Thomas Roese
Eine neue Ausstellung von Studierenden der Universität Potsdam zeigt Bilder aus der Revolution der Würde 2013/14 in der Ukraine.
Foto : Thomas Roese
Seminarleiter Danylo Poliluev-Schmidt
Foto : Thomas Roese
Student Noah MacKay

Ein kleines rotes Haus namens „Slowo“ ist mit rotem Garn auf Danylo Poliluev-Schmidts schwarzes Hemd gestickt. Das Wyschywanka, das der Student trägt, greift die traditionellen ostslawischen Stickmuster auf und trägt sie in die Gegenwart eines Landes im Krieg. „Die Bewohnerinnen und Bewohner des Literatenhauses ‚Slowo‘ wurden 1937 fast alle von der kommunistischen Regierung unter Stalin getötet“, berichtet Poliluev-Schmidt. Für die ukrainische Nationalidentität hat es als Zeichen der Unabhängigkeit heute erneut eine große Bedeutung.

Zusammen mit Yevhenii Surniaiev gibt Danylo Poliluev-Schmidt in StudiumPlus das Seminar „Die bewaffnete Wahrheit – Bilder der ukrainischen Medien“. „Unsere Zielgruppe sind nicht-ukrainische Studierende, die mehr über das Land erfahren wollen“, sagt der Kursleiter. „Sie lernen die Geschichte der Ukraine aus der Perspektive der Medien kennen.“ Dabei sammeln die Teilnehmenden auch ganz praktische Erfahrungen und entwickeln eine Ausstellung und Veranstaltungen. Sie tauschen sich mit Stiftungen ebenso wie mit Journalistinnen und Journalisten aus der Ukraine, Polen und Deutschland aus und erfahren, wie diese unter meist gefährlichen Bedingungen aus dem Land berichten.

Medienkompetenz fördern

„Unser Seminar erkundet den Kampf der Menschen für Pressefreiheit und Demokratie in den vergangenen Jahrzehnten, und zwar aus der Perspektive von Fotografinnen und Fotografen“, sagt der Seminarleiter. Von der „Revolution auf Granit“ 1990, als vor allem Studierende für die Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion auf die Straße gingen, über die „Orange Revolution“ nach den Präsidentschaftswahlen 2004, die wegen des Verdachts auf Wahlfälschungen schließlich wiederholt wurde, bis hin zur „Revolution der Würde“, die am 21. November 2013 begann und nach 93 Tagen endete. Nicht zuletzt geht es um die jüngsten Ereignisse, die Annexion der Krim und den Krieg Russlands im Osten der Ukraine. Ziel ist es dabei auch, die Medienkompetenz der Studierenden zu fördern. „Ein Hauptthema sind Fake News. Die Studierenden lernen, verdrehte Informationen zu erkennen, teilweise auch in deutschen oder britischen Medien“, sagt Poliluev-Schmidt.

Das Seminar läuft bereits zum zweiten Mal. Im Wintersemester 2022/23 entwickelten die Teilnehmenden eine Ausstellung mit Bildern aus der Zeit von 1990 bis 2022. Dafür arbeiteten sie mit der Ukrainian Association of Professional Photographers (UAPP) zusammen, einer Dachorganisation ukrainischer Fotografinnen und Fotografen. Aktuell präsentieren die Studierenden eine neue Ausstellung mit 30 Bildern aus der Revolution der Würde. Sie wird nicht nur an der Universität Potsdam, sondern auch im Potsdamer Nikolaisaal und in Berlin zu sehen sein. Danylo Poliluev-Schmidt hat zum Interview drei der Fotografien mitgebracht: Sie zeigen die Polizeigewalt der ukrainischen Spezialeinheit Berkut gegen Demonstrierende auf dem Majdan-Platz in Kyiv. Die Bilder stammen von den Fotografen Alexey Furman und Wladyslaw Muslienko, die auch bei einer von den Studierenden organisierten Podiumsdiskussion im „Café Kyiv“ im Februar 2024 erklären werden, wie die Fotografien entstanden sind. Der dritte Fotograf, Macs Levin, wurde inzwischen im Krieg getötet.

Einer der Seminarteilnehmer ist Noah MacKay. „Als Amerikaner ist es mir wichtig, mehr über die Ukraine und ihre Geschichte zu erfahren“, sagt der Student, der enge Freunde aus dem Land hat. „In den USA fehlt diese Perspektive in der Berichterstattung, da geht es nur um Schlachten und aktuelle Schlagzeilen, nicht um die Vorgeschichte des Krieges.“ In den USA studierte Noah MacKay Germanistik und Physik an der East Carolina University. In Potsdam absolviert er jetzt einen Master in Germanistik. Vor einigen Wochen nahm er an einer Veranstaltung in Wildau über wissenschaftliche Verbindungen zwischen der Ukraine und Deutschland teil: „Diese Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine zu schaffen, ist mir wichtig.“ Mit seinem Wissen aus dem Seminar möchte er die Geschichte der Ukraine in Zukunft auch anderen Amerikaner*innen näherbringen.

Die Demokratie verteidigen

„Die Revolution der Würde ist jetzt genau zehn Jahre her“, sagt Poliluev-Schmidt, der seit 2019 in Deutschland wohnt und in Potsdam Biochemie und Molekularbiologie studiert. „In Deutschland und auch anderswo wurde sie übersehen. Und als berichtet wurde, sprach man zunächst entweder von einem Putsch oder einem Aufruhr von Rechtsradikalen.“ Erst später seien die Ereignisse als Revolution bezeichnet worden. Danylo Poliluev-Schmidt stammt aus der Ukraine und hat auch polnische Wurzeln. Während der Revolution der Würde 2013/14 studierte er in Lwiw. „Als ich hörte, dass der Präsident Wiktor Janukowytsch das Abkommen zum Beitritt der Ukraine nicht unterschreiben wird, hatte ich das Gefühl, jemand habe meine Zukunft gestohlen. Ich bin 1996 in der unabhängigen Ukraine geboren und wuchs mit der Idee auf, dass wir ein Teil der EU und der NATO werden – so wie Polen, Litauen, Lettland und Estland.“ Der Student reiste nach Kiew und ging dort mit Tausenden Menschen auf die Straße. „Als die militärische Polizeiabteilung mit Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten vorging, haben wir verstanden, dass uns diese Regierung nur unterdrücken wird.“ Die Mehrheit der Protestierenden waren Studierende. „An manchen Tagen waren unzählige Menschen auch bei minus 20 Grad auf dem Majdan. Wir standen so dicht, dass wir nicht froren, und sangen die Nationalhymne: ‚Wir werden unseren Körper und unsere Seele für unsere Freiheit geben.‘“ Viele Menschen wurden damals verletzt, bei einer Demonstration am 20.2.2014 wurden über 100 Menschen erschossen. Bis heute ist unklar, wer für ihren Tod verantwortlich ist. „Es ging damals um mehr als den EU-Beitritt, nämlich um die Demokratie und unsere Meinungsfreiheit. Diese Ereignisse haben der Ukraine geholfen, weiterzukämpfen und ihre Würde, ihre Demokratie zu verteidigen, nicht nur auf dem Papier“, sagt Danylo Poliluev-Schmidt.

Im Sommer 2024 wird er das Seminar wieder anbieten. Danach will er sein Studium abschließen. Damit das Projekt dennoch am Leben bleibt, hat er schon eine Idee: Er möchte mit interessierten Seminarteilnehmenden einen Verein zur medialen Kultur des Landes gründen.

Weitere Informationen zur Veranstaltung „Café Kyiv“ der Konrad-Adenauer-Stiftung im Urania Berlin am 19.2.2024: www.kas.de/de/veranstaltungen/detail/-/content/cafe-kyiv-2024

Die Ausstellung ist an folgenden Terminen zu sehen:
12.01.–18.01.2024, Visionary Berlin GmBH, Reinhardtstraße 12, 10117 Berlin
26.01.–14.02.2024, Universität Potsdam, Campus Griebnitzsee, Haus 6, Raum 0.36
14.03.–28.03.2024, Freie Ukrainische Uni, München

Zur Ukrainian Association of Professional Photographers (UAPP): www.ukrainianphotographers.com/en
Zur Initiative für Wissensaustausch, Empowerment und Kultur e.V. (IWEK), die die Ausstellung unterstützt: http://iwekev.de
Zu Aktivitäten an der TH Wildau zu den deutsch-ukrainischen Wissenschaftsbeziehungen: www.th-wildau.de/hochschule/aktuelles/solidaritywithukraine/ausstellung-ukrainische-akademie/