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Alles offen oder was? – Was Open Science bringt und wo sie an der Universität Potsdam bereits Realität ist

Zwei Hände vor einem Laptop mit visualisierten Daten.
Auf dem Bild ist Prof. Dr. Barbara Höhle zu sehen.
Auf dem Bild ist Matthias Kühling zu sehen.
Auf dem Bild ist Dr. Peter Kostädt zu sehen.
Auf dem Bild sind Peter Kostädt, Matthias Kühling und Barbara Höhle zu sehen.
Foto : AdobeStock/Pcess609
Foto : Nura van Dongen
Prof. Dr. Barbara Höhle
Foto : Nura van Dongen
Dr. Matthias Kühling
Foto : Nura van Dongen
Dr. Peter Kostädt
Foto : Nura van Dongen

Open Science ist das Gebot der Stunde: Wissenschaft und ihre Erkenntnisse frei zugänglich, transparenter und kollaborativer machen. Aber wie funktioniert das eigentlich? Was bringt es? Und wie weit ist die Universität Potsdam in Sachen Open Science? Im Interview mit Matthias Zimmermann sprechen Prof. Dr. Barbara Höhle, Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftliche Qualifizierungsphase und Chancengleichheit, Dr. Peter Kostädt, Chief Information Officer, und Dr. Matthias Kühling, Referent der Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftliche Qualifizierungsphase und Chancengleichheit, über Sinn und Wert von Open Science sowie OS-Aktivitäten an der Universität Potsdam.

Warum brauchen wir Open Science?

Barbara Höhle: Hauptfokus ist, wissenschaftliche Arbeit und ihre Ergebnisse möglichst allen zugänglich zu machen. Wie wichtig das ist, wurde in meinem Fach, der Psycholinguistik, im Kontext der sogenannten Reproduzierbarkeitskrise deutlich. Dabei zeigte sich, dass Studienergebnisse nicht immer repliziert werden konnten, also bei einer erneuten Durchführung einer Studie nicht die gleichen Ergebnisse gefunden wurden. Daraus entstand die Forderung, offener mit dem gesamten Forschungsprozess umzugehen, nicht nur die erhobenen Daten zu veröffentlichen, sondern bereits die Planungen für eine Studie mit der Fachöffentlichkeit zu teilen. Zu Open-Access-Publikationen muss man sagen: Arbeiten, die mit öffentlichen Mitteln entstehen, müssen auch öffentlich zugänglich sein. Das ist nicht zuletzt für Forschende wichtig, die keinen privilegierten Zugang zu Print-Publikationen haben.

Peter Kostädt: Die Diskussion darüber, ob wir Open Science brauchen, ist schon länger mit einem klaren Ja beantwortet. Inzwischen geht es eher um die Frage des Wie: Wie kriegen wir die Methoden und Werkzeuge von Open Science in die Fläche? Im Herbst 2021 haben über 190 Länder die „Empfehlungen zur Offenen Wissenschaft (Open Science)“ der UNESCO unterzeichnet und sind damit eine Selbstverpflichtung eingegangen. Das muss nun in die Institutionen, in die Fächer und Fakultäten getragen werden, auch bei uns.


Was macht Open Science aus?

Höhle: Die Implementierung der verschiedenen Facetten von Open Science ist zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen sehr unterschiedlich vorangeschritten und muss den Bedarfen der Fächer entsprechen. Open Access findet eine sehr breite, fächerübergreifende Anwendung, während zum Beispiel Open Research Software bislang vor allem in experimentellen Bereichen relevant ist. Unser Ziel ist aber eine flächendeckende Integration von Open Science – natürlich unter Mitwirkung der Fakultäten.

Kostädt: Der Entwicklungsstand in den einzelnen Säulen von Open Science ist recht unterschiedlich ausgeprägt. Das hat mit den dafür notwendigen technologischen Grundlagen zu tun, denn viele sind ein Stück weit an die Entwicklung des Internets gekoppelt. Mit ihm entstanden neue technologische Möglichkeiten, Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als Physiker habe ich beispielsweise die Anfänge der Open Access-Bewegung schon Anfang der 1990er Jahre während der Arbeit an meiner Diplomarbeit miterlebt. Damals waren erste textbasierte Browser im Einsatz, mit deren Hilfe sich die Forschenden auf Basis des am CERN entwickelten Word Wide Web ihre Preprints und Publikationen gegenseitig zugänglich gemacht haben. Die Wissenschaftscommunity hat die vielfältigen Vorteile des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Erkenntnissen sehr schnell erkannt. Die „Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ von 2003 formuliert zwar Kernaussagen für Open Access, beschreibt aber im Grunde schon das, was die jetzt aufblühende Open-Science-Bewegung bezweckt: Alle Bestandteile des Forschungsprozesses - Laborbücher, Daten usw. – ohne Barrieren über das Internet zugänglich und nachnutzbar zu machen.


Mal ehrlich: Kann Open Science funktionieren? Forschende und Institutionen stehen doch in Konkurrenz zueinander …

Matthias Kühling: Oberstes Prinzip von Open Science ist Freiwilligkeit. Niemand kann und sollte verpflichtet werden, seine Forschungsdaten der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.

Kostädt: Open Science heißt nicht, dass tatsächlich alles vollständig und für jeden frei zugänglich sein muss. Die Grundidee ist, Transparenz über den Forschungsprozess und seine Ergebnisse herzustellen: Woher stammen die Daten? Welche Methoden und Verfahren kamen zu Einsatz? Wie lassen sich die Ergebnisse reproduzieren? Die Forschenden weisen ihre Daten nach und geben sie frei oder entscheiden auf Anfrage individuell über die Nach- und Weiternutzung. Das spiegelt sich in den FAIR-Prinzipien von Open Science wider: Findable, Accessible, Interoperable und Reusable. Das heißt, Forschungsdaten, Forschungssoftware und auch Lehrmaterialien sind auffindbar, zugänglich, interoperabel und können grundsätzlich nachgenutzt werden.

Höhle: Für den Erfolg von Open Science ist ein auch Umdenken bei der Bewertung von wissenschaftlicher Leistung nötig: Es darf nicht mehr nur darum gehen, wie viele Zitationen jemand vorzuweisen hat und in welchen Journalen die Forschenden publizieren. Auch Beiträge im Rahmen von Open Science müssen als Leistung Anerkennung finden.

Kühling: Langfristig müssen wir von Impact-Zählungen und Publikationszahlen wegkommen. Davon bin ich überzeugt. Wenn wir die Beteiligung am Forschungsprozess differenzierter wertschätzen, schafft das auch mehr Gerechtigkeit. Bislang bekommen viele, die in der Feldarbeit wichtige Beiträge liefern, aber dann keine Zeit oder Gelegenheit haben, die Ergebnisse in hochrangigen Publikationen zu veröffentlichen, nur wenig Anerkennung.

Höhle: Ich bin zuversichtlich, was diesen Wandel angeht: Ich sehe bei vielen jungen Forschenden, dass die Idee, die eigene wissenschaftliche Arbeit offener zu gestalten, immer stärker ausgeprägt ist.


Hat Open Science auch Nachteile?

Kühling: Missbrauch ist immer möglich. Mit einem Hammer kann man ein Haus bauen, aber auch einreißen. Insofern dürfen Daten, die in irgendeiner Form sicherheitsrelevant sind, auch nicht allen offenstehen.

Höhle: Neben sicherheitsrelevanten Einschränkungen setzt natürlich auch der Datenschutz der Veröffentlichung von Forschungsdaten Grenzen. Aber das schränkt die grundsätzliche Idee von Open Science nicht ein.


Was muss sich ändern, damit wir echte Open Science bekommen?

Kostädt: Wir müssen Anreize und die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. In einigen Bereichen sind wir schon recht weit, vor allem bei der ältesten Säule von Open Science – Open Access: 80 Prozent der von UP-Angehörigen publizierten Zeitschriftenaufsätze sind frei zugänglich. Mit dieser Quote sind wir deutschlandweit ganz vorn dabei. In den anderen Bereichen ist der Transformationsprozess in vollem Gange.


Was wird an der UP dafür getan?

Kostädt: Schon kurz nach der Berliner Erklärung vor 20 Jahren hat der Senat der Uni Potsdam die Forschenden per Resolution dazu ermutigt, offen zu publizieren. Parallel wurden von der Universitätsbibliothek (UB) Publikationsinfrastrukturen aufgebaut und spezielle Verlagsvereinbarungen geschlossen. Nicht vergessen darf man den DFG-geförderten Publikationsfonds, der unsere Forschenden seit 2015 dabei unterstützt, open access zu publizieren.

Seit 2017 arbeiten wir an der zweiten wichtigen Säule, dem Forschungsdatenmanagement (FDM): Nach der Erarbeitung einer Forschungsdaten-Policy und entsprechenden Handlungsempfehlungen geht es vor allem darum, vor Ort die notwendigen Kompetenzen, Werkzeuge und Supportstrukturen aufzubauen. Wir wollen damit das Dienste-Portfolio der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) ergänzen, nicht lokal nachbilden. Dafür haben UB und ZIM ein gemeinsames FDM-Team aufgebaut, das einrichtungsübergreifend agiert und darüber hinaus gemeinsam mit der Fachhochschule Potsdam die Landesinitiative Forschungsdatenmanagement in Brandenburg koordiniert. Die Aktivitäten sind eingebettet in das Zentrum der Brandenburgischen Hochschulen für Digitale Transformation (ZDT), das ein „modernes Portfolio an IT-Diensten für alle Hochschulen“ bereitstellen will.

Kühling: Bemühungen um eine Stärkung von Open Educational Resources (OER) gibt es in unserem föderalen System vor allem auf Landesebene. Zum Beispiel mehr und mehr digitale Materialien und Ressourcen für Schulen und Lehrkräfte.

Kostädt: Der Föderalismus verhindert den Aufbau eines zentralen, deutschlandweiten OER-Repositoriums. Andere Bundesländer sind im Bereich OER sicher schon weiter als Brandenburg, aber das ZDT ist zumindest für die Hochschulbildung auch in diesem Feld aktiv., auch wenn es uns noch nicht gelungen ist, ein landesweites OER-Projekt zu starten.

Kühling: Nicht vergessen dürfen wir das Feld „Citizen Science“, bei dem es darum geht, Menschen, die außerhalb der Forschung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen stehen, zu beteiligen. Wir bilden jedes Jahr Tausende Menschen aus, von denen nur wenige nach ihrem Abschluss in der Forschung bleiben. Wenn es gelingt, deren Expertise und Interesse für die Forschung nutzbar zu machen, würde das ein großes Potenzial erschließen. Selbstverständlich ist es hierbei wichtig, Mechanismen zur Qualitätssicherung mitzudenken. Wenn bei einer Vogelzählung eine Gnu-Herde auftaucht, spricht das nicht für die Qualität der Daten …


Was muss noch gemacht werden?

Kostädt: Software, die im Rahmen der Forschung entwickelt wird, sollte nach Möglichkeit als Open Research Software veröffentlicht werden. Hierzu bietet das ZIM mit Git.UP ein zentrales Softwaremanagement- und Versionsverwaltungstool an, es gibt aber an der UP bislang keine Beratungsangebote zu dem Thema. Wir müssen daher die Akteure in den Fakultäten besser vernetzen..

Kühling: In Potsdam wird beispielsweise sehr viel modelliert, etwa bei den Erd- und Umweltwissenschaften, aber auch in anderen Disziplinen. Diese Modelle werden schon jetzt geteilt und von Arbeitsgruppen überall auf der Welt verwendet und laufend verbessert. Solche gemeinsame Nutzung von Forschungssoftware wollen wir unterstützen.

Höhle: Genau. Aktuell stehen wir da aber noch am Anfang. Wir haben als ersten Schritt die Open Science Leitlinien für die Uni Potsdam entwickelt, die im Mai 2023 vom Senat verabschiedet wurden. Jetzt holen wir alle Fakultäten an einen Tisch, wir wollen einen Austausch anstoßen – über Vorhandenes, Ideen, und Bedarfe. Wer braucht welche Unterstützung?

Kühling: Das Thema muss – und wird – noch Fahrt aufnehmen. Ähnlich war das vor zehn Jahren bei Open Access auch. Damals gab es viele Bedenken hinsichtlich der reinen Open-Access-Zeitschriften im Stile von „Die nimmt doch keiner ernst …“ Inzwischen sind viele von ihnen hoch anerkannt.

Höhle: Dieser Kulturwandel war wichtig und sollte auf die anderen Bereiche von Open Science übergreifen!

Danke!
 

Weitere Informationen zu Open Science an der Universität Potsdam:

https://www.uni-potsdam.de/openscience/  

Die Open Science Leitlinien:

https://doi.org/10.25932/publishup-59489