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Wenn die Pipeline mal ein Leck hat – Wasserstoff soll ein entscheidender Baustein für das postfossile Zeitalter werden

Pipeline
Dr. Ingo Gersonde (links) und Dr. Toni Haubitz im Labor.
Foto : AdobeStock/malp
Künftig soll auch Wasserstoff mithilfe von Pipelines dorthin geleitet werden, wo er gebraucht wird.
Foto : Tobias Hopfgarten
Dr. Ingo Gersonde (links) und Dr. Toni Haubitz im Labor.

„Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ Diese Worte sind fast 150 Jahre alt. Jules Verne, der große Autor und Visionär, hat sie seinem Protagonisten Cyrus Smith in dem Roman „Die geheimnisvolle Insel“ aus dem Jahr 1874 in den Mund gelegt. Was Jules Verne dort beschreibt, ist keine Fiktion, sondern eine Technologie, mit deren Hilfe die Energiewende gelingen soll. Die Grundsteine dafür werden gerade geschaffen.

Wasser lässt sich tatsächlich mithilfe von Energie in seine Bestandteile zerlegen. Der so entstehende Wasserstoff ist ein wahres Multitalent: Er kann als chemischer Energiespeicher, als Brennstoff für Motoren oder in Brennstoffzellen zur Energie- und Wärmegewinnung eingesetzt werden. Wird für seine Herstellung Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind oder Sonne verwendet, wird der gewonnene Wasserstoff als „Grüner Wasserstoff“ klassifiziert. Dieser kommt klimaneutral ganz ohne CO2-Emissionen aus. In den kommenden Jahrzehnten soll Wasserstoff flächendeckend und in großen Mengen eingesetzt werden und die Energiewende vorantreiben.

Gasleckagen werden mit Lasern aufgespürt

„Das ist ein Langzeitprojekt“, sagt Dr. Ingo Gersonde über die geplante Nutzung von Wasserstoff im großen Maßstab. Damit aus Wasserstoff tatsächlich der Energieträger der Zukunft wird, muss noch viel geforscht werden. Der Physiker Ingo Gersonde und der Chemiker Toni Haubitz arbeiten in den Laboren der Universität Potsdam an einem kleinen, aber wichtigen Puzzleteil einer künftigen Wasserstoffwirtschaft. Unter dem Dach des Leitprojekts TransHyDE, das Transporttechnologien für Wasserstoff weiterentwickeln, bewerten und demonstrieren soll, widmen sich die beiden Forscher im Teilprojekt GetH2 der Frage, wie Wasserstoffpipelines aus der Luft überwacht werden können, um etwa Gasleckagen aufzuspüren. TransHyDE ist eines von drei Leitprojekten, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert, um den Aufbau und Start einer Wasserstoffwirtschaft zu unterstützen.

Bisher können solche Lecks in Erdgasleitungen mithilfe eines lasergestützten Messsystems ermittelt werden. Ein Helikopter überfliegt dazu die Leitungen und richtet einen Laserstrahl auf den Boden. Gibt es ein Leck, gelangt Methan aus dem Erdreich nach oben. „Methan hat charakteristische Absorptionslinien im Infrarotlicht“, erklärt Ingo Gersonde. Trifft Infrarotlicht aus dem Laser auf eine Methanwolke am Boden, wird ein Teil von den Molekülen aufgenommen und schwächt das Licht dieser Wellenlänge messbar ab. Die beiden Forscher wollen ein ähnliches System für den Nachweis von Wasserstoff entwickeln und werden dabei von zwei Industriepartnern unterstützt. Die Firma Adlares aus Teltow, die das Überwachungssystem für Erdgaspipelines entwickelt hat, und Open Grid Europe – ein Unternehmen aus Essen, das das größte Ferngasnetz in Deutschland mit einer Gesamtlänge von 12.000 Kilometern betreibt und den Überwachungsservice auch für andere Pipelinebetreiber anbietet. Beide Praxispartner arbeiten mit den Forschenden an der Entwicklung des neuen Messsystems und können etwa wertvolle Hinweise dafür liefern, welche Anforderungen es erfüllen muss.

Wasserstoff ist viel schwerer messbar

Das bekannte und bewährte Verfahren für Erdgas lässt sich nicht so einfach auf Wasserstoff übertragen. „Wasserstoff hat eine extrem geringe Absorption und ist sehr schwer zu messen“, erklärt Ingo Gersonde. Stattdessen nutzen die Forscher eine andere Wechselwirkung zwischen Molekülen und Licht: den sogenannten Raman-Effekt. „Wir schicken einen Laserstrahl mit einer bestimmten Wellenlänge auf den Wasserstoff. Dieser streut Licht mit einer etwas geringeren Energie zurück“, beschreibt Toni Haubitz das Prinzip. Die Unterschiede sind messbar und ein Indiz für die Menge des Wasserstoffs. Mit diesem Verfahren wollen die beiden Forscher am Ende eine luftgestützte Pipeline-Überwachung für Wasserstoff entwickeln – so, wie es derzeit für Methan bereits Routine ist.

Was so einfach klingt, ist jedoch in der Realität ziemlich kompliziert. Bevor es in die Praxis geht, muss sich das System erst einmal im Labor bewähren. Dafür durchdenken und berechnen Ingo Gersonde und Toni Haubitz die geplanten Versuche akribisch, diskutieren mögliche geeignete Wellenlängen, wägen Vor- und Nachteile der gewählten Parameter ab und müssen manche Planungen auch wieder verwerfen. Für den ursprünglich vorgesehenen Kryptonfluorid- Laser, der eine ganz bestimmte, für das Verfahren optimale Wellenlänge abdeckt, gab es auf einmal kein Gasgemisch auf dem Markt mehr, das für dessen Betrieb notwendig ist. „Wegen des Krieges in der Ukraine herrscht weltweit Mangel an Neon. Deshalb mussten wir auf einen anderen Lasertyp umschwenken“, erklärt der Physiker.

Nach den theoretischen Berechnungen prüfen die Forscher ihre Annahmen im Labor. Für ihre Versuche schicken sie einen Laserstrahl durch ein Metallrohr mit zwei optischen Fenstern – eine sogenannte Gasmesszelle. In dieser befindet sich ein Luft-Wasserstoff- Gemisch, auf das der Laserstrahl trifft. Wenn das gestreute Licht aus der Gasmesszelle austritt, wird es von einem Spektrometer aufgefangen, analysiert und ausgewertet. Geht alles glatt, erhält das Team ein klares Messsignal für Wasserstoff und hätte damit den Grundstein für das künftige luftgestützte Messkonzept gelegt.

Pflanzen und Boden sorgen für Störungen

Doch im Labor herrschen ganz andere Bedingungen als in der Landschaft, wo sich das System letztlich bewähren muss. „Es gibt große Unsicherheiten“, sagt Ingo Gersonde. Der Boden oder die Vegetation können Fluoreszenzsignale zurückwerfen und die Messergebnisse verfälschen. Auch das testet das Team im Labor – mithilfe von Bodenproben, Blättern und Gräsern. Der Wasserdampf in der Atmosphäre könnte die Signale ebenfalls beeinflussen. Es muss viel ausprobiert und gemessen werden, um Störquellen so gut wie möglich auszuschließen. „Wir haben sehr hohe Anforderungen an die Optik und an die Sensitivität unseres Detektors“, betont Toni Haubitz. Gleichzeitig müssen die Forscher die Laserleistung so begrenzen, dass von ihm keine Gefahr ausgeht. Denn während der Messungen mit dem Helikopter könnte jemand von unten in den Laserstrahl schauen.

Am Ende soll der Plan für ein Messsystem stehen, das in einen Hubschrauber passt. Das Gesamtsystemwird wohl 300.000 bis 400.000 Euro kosten und darf höchstens 100 Kilogramm schwer sein. Es sind viele Merkmale und Details, die letztlich darüber bestimmen, wie rasch die Vision einer Wasserstoffwirtschaft umgesetzt werden kann. Die Sicherheit der Pipelines ist nur ein kleines, aber wichtiges Puzzleteil im Gesamtkonzept. Und es gibt viele weitere Fragen, die geklärt werden müssen. Können Erdgaspipelines einfach auf Wasserstoff umgerüstet werden? Funktionieren die bisher genutzten Technologien für die Wartung und Überwachung der Pipelines, für den Transport des Gases und seine Verdichtung? Halten die herkömmlichen Materialien dem Wasserstoff stand? „Wasserstoff ist aggressiver als Erdgas, das hauptsächlich aus Methan besteht“, erklärt Ingo Gersonde. „Er kann Metalle angreifen und bestimme Stahlsorten spröde machen.“ Muss die bestehende Infrastruktur also umgerüstet werden, bevor Wasserstoff durch die Leitungen fließen kann?

Derweil drängt die Zeit: Um die Klimaziele zu erreichen und die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssen die weltweiten CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 halbiert werden – auch mithilfe von Wasserstoff. Die Pläne für ein europäisches Wasserstoffnetz sind gesetzt: Bis zum Jahr 2030 sollen bis zu 20 Millionen Tonnen Wasserstoff innerhalb der EU transportiert werden. Und bis 2040 wollen europäische Gasnetzbetreiber 53.000 Kilometer Pipeline für den Wasserstofftransport zur Verfügung stellen. Bis der klimaneutrale Energieträger fester Bestandteil des Energiealltags sein wird, dauert es aber noch etwas. „Auf jeden Fall noch mindestens zehn Jahre“, schätzt Toni Haubitz. Wichtige Weichen für die Finanzierung, die Umstellung der Technologien und die Produktion von grünem Wasserstoff werden aber schon jetzt gestellt.

Das Projekt

Das Leitprojekt TransHyDE will die Wasserstoffinfrastruktur vorantreiben und die Energiewende möglich machen. Beteiligt sind Unternehmen, Kommunen und wissenschaftliche Institutionen. In mehreren Projekten arbeiten die Partner der Initiative daran, Technologien zu Erzeugung, Transport, Speicherung und Abnahme von grünem Wasserstoff zu entwickeln. Das Projekt GetH2 ist unter dem Dach des Wasserstoffleitprojekts TransHyDE angesiedelt.

Im Arbeitspaket 5 entwickeln Forschende der Universität Potsdam gemeinsam mit Industriepartnern
ein neues Messkonzept für die Überwachung der Pipelines.

Laufzeit: 2021–2025
Beteiligt: Universitat Potsdam, Adlares GmbH, Open Grid Europe GmbH

www.wasserstoff-leitprojekte.de/leitprojekte/transhyde

Wasserstoff-Leitprojekte der Bundesregierung

Mit drei großen industriegeführten Leitprojekten und einem Fördervolumen von etwa 700 Millionen Euro setzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie um und bereitet Deutschland auf den Eintritt in die Wasserstoffwirtschaft vor. Wirtschaft und Wissenschaft entwickeln gemeinsam Lösungen, um Hurden auszuräumen, die eine deutsche Wasserstoffwirtschaft noch behindern.

Die Leitprojekte und ihre Ziele:
1. H2Giga – Elektrolyseure in die Serienfertigung bringen
2. H2Mare –Wasserstoff ohne Netzanbindung auf hoher See erzeugen
3. TransHyDE – Technologien für den Transport von Wasserstoff entwickeln

www.wasserstoff-leitprojekte.de

Die Forscher

Dr. Ingo Gersonde studierte Physik in Berlin und ist seit 2017 Wissenschaftler am Institut für Chemie der Universität Potsdam.
E-Mail: ingo.gersondeuni-potsdamde

Dr. Toni Haubitz studierte Chemie in Potsdam und ist jetzt Postdoc in der Physikalischen Chemie mit dem Forschungsschwerpunkt Laserspektroskopie.
E-Mail: toni.haubitzuni-potsdamde


Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2023 „Lernen“ (PDF).