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Ein breites Portfolio – SAP-Stiftungsprofessor Stefan Stieglitz erforscht die Digitale Transformation

Stefan Stieglitz ist seit diesem Jahr SAP-Stiftungsprofessor für Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation an der Universität Potsdam.
Foto : Sandra Scholz
Stefan Stieglitz ist seit diesem Jahr SAP-Stiftungsprofessor für Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation an der Universität Potsdam.

ChatGPT, Social Media und Automatisierung in Unternehmen – Technologien haben das menschliche Zusammenleben stark beeinflusst und werden es weiterhin verändern. Doch wie genau wirkt sich die Digitale Transformation auf Individuen, Organisationen und die Gesellschaft aus? Das erforscht Stefan Stieglitz, der seit diesem Jahr den SAP-Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät innehat. Der Wissenschaftler interessiert sich besonders für die digitale Kommunikation – ein hochaktuelles Thema. Wie und warum nutzen Menschen überhaupt digitale Plattformen? Wie entstehen virtuelle Communitys im Internet? Und wie beeinflussen sich Menschen und Technik gegenseitig? Das sind Fragen, die ihn in seiner Forschung beschäftigen.

Das Besondere an Stefan Stieglitz’ Perspektive ist ihre Interdisziplinarität: Gemeinsam mit seinem Team aus Psycholog*innen, Informatiker*innen und Data Scientists erforscht er in der „Digitalvilla“ der Universität Potsdam am Hedy-Lamarr-Platz in Babelsberg das breite Feld der Digitalen Transformation. Dabei haben die Forschenden ihren Schwerpunkt im Bereich der Kommunikations- und Kollaborationssysteme. Sie untersuchen Social-Media-Plattformen wie Facebook und X (vormals Twitter), aber auch ChatGPT oder andere Kommunikationstools. Stefan Stieglitz beobachtet, wie extrem wandelbar die Sozialen Medien sind – auch was den Umgang mit Daten betrifft. Denn im Verlauf der vergangenen Jahre haben sich die Möglichkeiten, Social Media wissenschaftlich auszuwerten, verschlechtert. „Nach dem Cambridge Analytica Skandal, von dem Facebook betroffen war, haben die Betreibenden der Plattform den Zugang zu den von ihnen gesammelten Daten erschwert“, sagt Stefan Stieglitz. „Und seit Elon Musk Twitter gekauft hat, ist auch hier der Zugriff deutlich reglementiert.“ Für die Idee von Open Science ist das eine problematische Entwicklung, denn Forschung trägt dazu bei, komplexe Phänomene wie die soziale Fragmentierung besser zu verstehen: Warum driftet die Gesellschaft auseinander? Doch auch Unternehmen nutzen Social-Media-Daten zur Kundensegmentierung, Organisationen bewerten damit den Erfolg von Kommunikationsstrategien und Politiker verwenden sie zur zielgerichteten Ansprache von Wähler*innen.

„Es ist eine spannende Zeit, in der sich abzeichnet, was sich wie stark durchsetzen wird.“ Ähnlich rasant entwickeln sich die Conversational Agents wie der Bot ChatGPT: „Da hat jemand ‚über Nacht‘ das Tool online gestellt und es hatte sehr schnell 100 Millionen Nutzer. Das macht etwas mit Gesellschaften und beeinflusst alle Bereiche, beispielsweise die Bildung: Was machen wir, wenn unsere Studierenden dieses Tool nutzen – schreiben sie überhaupt noch selbst Hausarbeiten?“ Doch umgekehrt können wir solche Systeme auch sinnvoll einsetzen, sagt Stieglitz. Denn Social Bots oder Conversational Agents, also automatisierte Systeme, die mit uns kommunizieren, können in vielen Kontexten helfen: „Wir entwickeln zum Beispiel Chatbots, die in Krisensituationen Auskunft geben. Sie kommen im Gesundheitssystem bereits zum Einsatz, etwa um eine Symptomatik zu analysieren. Das positive Potenzial ist also enorm. Aber sie haben eben auch gesellschaftlich problematische Auswirkungen“, sagt der Wirtschaftsinformatiker. So nutzt ChatGPT Wikipedia als Datenquelle. Da die sogenannte „freie Enzyklopädie“ männliche Forschende und Akteure begünstigt, setzen sich die gesellschaftlichen Ungleichheiten hier fort: Der Chatbot assoziiert bestimmte Berufe mit Frauen und andere mit Männern. So bleibt die Krankenschwester ein weiblich besetzter Beruf und der Arzt ein männlicher. Dabei ist auch die Frage, wer dafür verantwortlich ist. „Da lohnt es sich, genau hinzuschauen“, meint Stefan Stieglitz. Ähnlich ist es in den Sozialen Medien: „Der Forschungsbedarf in Sachen Hate Speech und Fake News ist groß“, so Stieglitz.

In dem vom Bundesbildungsministerium geförderten Forschungsprojekt „PREVENT“, das sich zum Ziel gesetzt hat, Desinformationen zu bekämpfen, arbeiten der Wissenschaftler und sein Team mit Ethikern aus Tübingen, mit Jurist*innen aus Köln und weiteren Wirtschaftsinformatiker*innen zusammen. „Dabei lernen auch wir viel Neues, denn die Forschenden aus anderen Disziplinen denken eben ganz anders“, sagt Stieglitz. Die Ergebnisse sollen Behörden helfen, Maßnahmen zur Prävention von digitalen Desinformationskampagnen zu entwickeln.

Stefan Stieglitz möchte einen Beitrag leisten, um technologische und gesellschaftliche Zusammenhänge besser zu verstehen, und sie im Idealfall durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbessern. Dies ist auch im Sinne der SAP-Stiftungsprofessur, die er seit Februar 2023 an der Uni Potsdam innehat. Denn Stieglitz möchte sie durch seine anwendungsorientierte Perspektive prägen, das heißt Forschung und Lehre zu betreiben, „die in der wirklichen Welt konkrete Auswirkungen haben und konkrete Probleme lösen“.

Seinen Forschungsthemen ist der Wirtschaftsinformatiker bereits seit seiner Dissertation, die er an der Uni Potsdam schrieb, sehr verbunden. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Köln und Paderborn promovierte er 2008 in Potsdam zu den Themen digitale Kommunikation und virtuelle Communities, die damals noch in Kinderschuhen steckten. Bevor er zurück nach Potsdam kam, war er Juniorprofessor an der Universität Münster in der Wirtschaftsinformatik, dann Professor an der Universität Duisburg-Essen in einem fächerübergreifenden Bereich: Informatik und angewandte Kognitionswissenschaften. Die Erfahrung, mit Psycholog*innen und Kommunikationswissenschaftlern zusammenzuarbeiten, beschreibt er als sehr inspirierend.

Und der Blick nach vorn? Auch in Potsdam möchte Stefan Stieglitz interdisziplinär forschen, um besser zu verstehen, was digitale Technologien mit Menschen machen. Ein erster Schritt ist getan: Mit den Kolleginnen und Kollegen von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und dem Hasso-Plattner-Institut ist er bereits im Austausch.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2023 „Mentale Gesundheit“ (PDF).