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Klimawende für Millionen – Forschende untersuchen, welche Verwaltungsstrukturen Metropolen brauchen und wie Beteiligungsformate erfolgreich sein können

Prof. Fabian Schuppert und Janina Walkenhorst
Grüne Stadt
Foto : Sandra Scholz
Prof. Fabian Schuppert und Janina Walkenhorst
Foto : AdobeStock/yamonstro
Können die Städte von morgen dank Bürgerbeteiligung grüner werden?

Berlin wird heiß. Der Sommer 2022 war deutschlandweit nirgendwo so warm wie in der Hauptstadt: 20,6° Celsius im Mittel bedeuteten anderthalb Grad mehr als der bundesweite Durchschnitt. Dazu gesellten sich im Juni und Juli gleich mehrere Unwetter mit Starkregen, die die Stadt sprichwörtlich unter Wasser setzten. Gerade dicht bebaute Metropolen wie Berlin ächzen unter den Folgen der Erderwärmung. Eine effektive Klimapolitik ist dringend nötig – kurzfristig, um die Folgen abzumildern, auf lange Sicht, um eine echte Wende herbeizuführen. Gleichzeitig gilt es, die Bevölkerung „mitzunehmen“, denn diese Politik dürfte von allen Opfer verlangen. Aber wie kann das gelingen? Forschende der Potsdamer Politik- und Verwaltungswissenschaften untersuchen, welche Strukturen in Metropolen und Metropolregionen für eine effektive Klimapolitik nötig sind. Gleichzeitig sind sie der Frage nachgegangen, ob die schon vielerorts initiierten Formate der Bürgerbeteiligung das richtige Mittel sind, um Klimapolitik sozialverträglich zu gestalten.

„Formate zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger sind aktuell schwer in Mode“, sagt Fabian Schuppert, Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam. Man erhoffe sich von ihnen, dass sie gleich drei Aufgaben auf einmal erfüllen: „Indem meist repräsentative Gruppen einbezogen sind, wird das politische Handeln gewissermaßen demokratisch legitimiert. Eine verlockende Vorstellung angesichts der zuletzt immer wieder angestellten Vermutung, die Demokratie befinde sich in der Krise.“ Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern solle zudem für eine breite Akzeptanz der politischen Maßnahmen sorgen – auch wenn sie gar nicht in den Formaten entstehen, sondern dort vielleicht nur vorgestellt und bestenfalls diskutiert werden. Nicht zuletzt könnten jene, die sich beteiligten, Vorschläge einbringen, die letztlich für eine bessere und effizientere Klimapolitik sorgen. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass diese Formate all das wirklich leisten können – und am besten auch noch gleichzeitig? „Dazu gibt es bislang wenige Untersuchungen“, so der Forscher.

Mit der Verwaltungswissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Kuhlmann hat Schuppert ein Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, das analysiert, wie Metropolregionen Klimapolitik entwickeln und umsetzen. Sabine Kuhlmann nimmt dabei die administrative Governance in den Blick. „Wir müssen untersuchen, wie Politiken tatsächlich produziert und ausgeführt werden, welche Akteure die jeweiligen Prozesse gestalten und welche Art von institutionellen Strukturen die Politikgestaltung erleichtern oder behindern können“, so die Wissenschaftlerin.

Mitbestimmung, aber wie?

Fabian Schuppert wiederum widmet sich der partizipatorischen Governance. „Beteiligendes Regieren zielt darauf ab, Legitimität und Akzeptanz der ergriffenen politischen Maßnahmen zu schaffen, sei es in moralischer, sozialer oder verfahrenstechnischer Hinsicht“, so der Forscher. Dies sei gerade für Metropolregionen wichtig, weil hier die Klimapolitik zweifellos gewisse Einbußen mit sich bringen dürfte: „Die Mobilitätswende, notwendige Einsparungen beim Energieverbrauch oder auch Verordnungen zu baulichen Veränderungen – das sind Eingriffe, für die es Verständnis braucht“, erklärt Schuppert. „Und das kommt nicht von selbst.“ So zeigten Umfragen, dass zwar 97 Prozent der Menschen der Meinung sind, man müsse etwas gegen den Klimawandel tun. Aber die Bereitschaft, dabei entstehende Kosten zu tragen, sei nur gering.

Das bedeutet, dass eine Politik, die Lösungen für den Klimawandel bieten will, nicht nur effektiv sein muss, sondern auch Legitimität und soziale Akzeptanz genießen muss. „Es zeigt sich, dass deshalb immer mehr Städte Beteiligungsformate nutzen, wenn es um die Ausgestaltung und Vermittlung ihrer Klimapolitik geht“, so Schuppert.

Nicht immer sei dabei aber ersichtlich, welche Ziele sie verfolgen und ob sie diese auch erreichen. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Janina Walkenhorst hat er drei Städte und ihre partizipativen Ansätze in der Klimapolitik unter die Lupe genommen. Mit Buenos Aires, Paris und Berlin haben sie drei Metropolen ausgewählt, die durchaus ähnliche Probleme bewältigen müssen, dafür aber unterschiedliche Ansätze verfolgen. „Wir haben geschaut, wie die Beteiligungsformate ablaufen – und welchen Einfluss sie auf die Entscheidungsprozesse haben“, so die Wissenschaftlerin. Dafür sprachen die beiden vor allem mit Akteuren, die in der Verwaltung für die Klimaschutzstrategien oder die Bürgerbeteiligung zuständig sind. Mithilfe qualitativer Interviews wollten sie herausfinden, mit welchen Absichten die Beteiligungsformate überhaupt auf den Weg gebracht wurden. Wer wurde dazu eingeladen? Bestimmte Gruppen oder ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung? Was war das Ziel: über städtische Klimapolitik zu informieren oder neue Ideen dafür zu sammeln? Was wollten die Verwaltungen mit den Ergebnissen anfangen? Und nicht zuletzt: Wie haben sie all das gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ihrer Stadt kommuniziert?

Berliner Modell

In Berlin etwa wurde ab 2015 das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) entwickelt und 2018 vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Es legt die Strategie fest, mit der Berlin seine Klimaziele erreichen will. Erarbeitet wurde es im Wesentlichen von einem Projektkonsortium auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise. Dabei gab es neben Fachforen, Workshops und öffentlichen Veranstaltungen auch zwei Phasen der Online-Beteiligung für Bürgerinnen und Bürger. Auf einer Plattform konnten diese Wünsche äußern und Vorschläge einreichen. Eine Expertenkommission sollte diese prüfen und „bei entsprechender Eignung“ in das Programm aufnehmen. Zwar soll das BEK 2030 „unter Berücksichtigung neuer Klimaziele, wissenschaftlicher Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen fortgeschrieben werden“, wie die Senatsverwaltung schreibt. Im Wesentlichen war die politische Strategie für die kommenden Jahre damit aber festgelegt. Dennoch wurde 2021 ein Berliner Klimabürger:innenrat ins Leben gerufen – „eine Art Miniatur-Berlin, per Los aus der Stadtbevölkerung ausgewählt“. Er soll Empfehlungen erarbeiten, die „in die zukünftige klimapolitische Arbeit des Senats und des Abgeordnetenhauses einfließen“. Doch funktioniert das?

Das Fazit von Fabian Schuppert fällt durchwachsen aus: „In Berlin laufen viele partizipative Prozesse. Leider nicht immer koordiniert. Unklar bleibt, wie die Ergebnisse in die politischen Entscheidungen einfließen, was der wahrgenommenen demokratischen Legitimität schadet.“ Ziel des Projekts war es deshalb, im Vergleich mit den anderen Metropolen Best Practices zu identifizieren, „um Lösungen für Berlin zu finden, die jetzt funktionieren“, so die Forschenden. Gelungen ist ihnen das nur zum Teil, resümiert Schuppert. „Einen Best Practice-Baukasten, wie er uns vielleicht vorschwebte, geben die Ergebnisse bislang nicht her. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, noch Amsterdam und Budapest in die Untersuchung aufzunehmen.“ Dafür konnten die beiden zeigen, wie unterschiedlich das Vorgehen und die Ziele der partizipatorischen Governance in den Städten sind.

Berlin hat mit Onlineplattform und Bürger:innenrat – als Stadt im Kleinen – versucht, alle „mitzunehmen“. Auch in Paris zielte die Beteiligungsstrategie darauf ab, die gesamte Stadt abzuholen, erklärt Schuppert. Buenos Aires hingegen fokussierte sich auf bestimmte Gruppen, die von Klimawandel und -politik besonders betroffen sind: alte und sozial Benachteiligte beispielsweise, aber auch Wirtschaftsakteure. „Es hat sich aber gezeigt, dass es gar nicht gelungen ist, alle zu erreichen. Die Menschen in den Slums etwa blieben außen vor“, sagt Janina Walkenhorst. Der Amsterdamer Verwaltung sei es – durchaus mit Erfolg – darum gegangen, vor allem junge Menschen zu beteiligen. „Ganz nach dem Motto: Die Jungen leben noch länger hier und sollen sich deshalb stärker einbringen können.“

Suche nach Best Practices

Schon in der Auswahl der Formate lässt sich meist erkennen, zu welchem Zweck die Städte partizipative Instrumente einsetzen. Die Workshops in Buenos Aires etwa hatten erklärtermaßen das Ziel, über die Politik der Stadt zu informieren. Die Teilnehmenden sollten sie also keineswegs aktiv beeinflussen. „Vielen Verwaltungen geht es vor allem darum, ein Bewusstsein und Akzeptanz für notwendige Klimaschutzmaßnahmen zu schaffen“, erklärt Janina Walkenhorst. „Und sie wollen schauen, inwieweit die Bevölkerung bereit ist, diese mitzutragen.“

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie die Städte mit den Ergebnissen von Workshops, Diskussionen und Umfragen umgehen, die darauf abzielen die Klimapolitik mitzugestalten. In Paris etwa waren die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, die Klimastrategie mitzuschreiben. Gleichwohl ist das nicht ganz unproblematisch, wie Janina Walkenhorst zu bedenken gibt. „Die Klimakrise sorgt für einen Handlungszwang: Letztlich muss die Klimapolitik effizient sein und uns helfen, die Ziele zu erreichen, sonst nützt die beste Bürgerbeteiligung nichts. Und das bedeutet, ihre Grundlage muss Expertenwissen sein.“ Die Rolle von Bürger:innen bestehe in diesem Fall vielmehr darin, zu diskutieren, wie alltagstauglich spezifische Maßnahmen sind, wie eine Einbettung in die Lebenswelt gelingen kann und wo spezifische Herausforderungen bestehen. „Zudem können sie ihre Perspektive als Betroffene einbringen, wenn es um wichtige Verteilungsfragen und Belastungen geht.“ Trotzdem liege immer noch ein starker Fokus auf der Entwicklung technischer Klimalösungen. Weil diese aber anderswo entstehen, seien viele Vorschläge aus der Bevölkerung eher allgemein, unkonkret und unverbindlich. Wie in Berlin. „Worauf sich alle schnell einigen konnten, war die Forderung nach einer sozial gerechten Klimapolitik“, so die Forscherin. Was das bedeutet und wie sie umgesetzt werden könnte, fehlt jedoch. „Wenn das nicht weiter definiert wird, bleibt es leer und folgenlos. Dabei kann erfolgreiche Klimaanpassung nur dann geschehen, wenn die Gerechtigkeit nicht hinten runter fällt“, ergänzt Schuppert. Wenn eine auf wissenschaftlicher Expertise beruhende Klimapolitik letztlich alternativlos ist, sei möglicherweise ein anderer Weg ihrer Vermittlung angebracht. „Unsere Forschung zeigt, dass man soziale Akzeptanz für politische Maßnahmen nicht nur durch Beteiligungsformate herstellen kann. Es gibt ganz unterschiedliche Arten, mit den Bürger*innen gemeinsam Co-Kreation zu betreiben.“

Ohnehin fällt die eigentliche Bilanz bei allen untersuchten Städten ernüchternd aus, was den direkten Einfluss der einbezogenen Bürgerschaft angeht. „Wenn wir uns die Klimastrategie der Städte anschauen, können wir wenig Inputwirkung durch Beteiligung nachweisen“, sagt Fabian Schuppert. „Am ehesten haben wir sie noch in Paris gefunden, aber selbst dort ist das Ganze eher ein nettes Narrativ als wirklich handlungsleitend.“

Kommunikation der Ziele ist essenziell

Besonders problematisch ist, dass in vielen Fällen unklar bleibt, welche Ziele die Städte mit ihren Beteiligungsformaten verfolgen. „Wer es versäumt, deutlich zu kommunizieren, was er mit den Ergebnissen machen will und wie sie in den politischen Prozess eingespeist werden, verliert viel mehr, als er denkt“, sagt Janina Walkenhorst. Denn dann geht der Schuss vollends nach hinten los und die partizipative Governance erfüllt am Ende keine der drei in sie gesetzten Hoffnungen. Keine demokratische Legitimität, keine Akzeptanz der Klimapolitik, keine echte Mitbestimmung. Am besten gelungen sei das noch in Amsterdam. „Hier wurde von Beginn an erklärt, dass ab einer bestimmten Quote der Mitbestimmung deren Ergebnisse in die politische Diskussion aufgenommen werden. Dieses Erwartungsmanagement ist enorm wichtig.“

Auffällig sei übrigens auch, so Fabian Schuppert, dass die Verwaltungen der Millionenmetropolen es meist versäumen, auf ihren politischen Kurs jene mitzunehmen, auf die sie doch selbst angewiesen sind: die umliegenden Regionen. „Berlin stimmt sich zu wenig mit Brandenburg bzw. den Kommunen im Umland ab“, sagt Janina Walkenhorst. „Dabei lassen sich die ehrgeizigsten Ziele bei der Mobilitäts- oder der Energiewende nicht erreichen, wenn man sich nicht zum ÖPNV oder dem gemeinsamen Ausbau erneuerbarer Energien abspricht.“ Hierbei stehe Berlin sogar noch schlechter da als die anderen untersuchten Städte. In Paris etwa gebe es durchaus Stellen, die übergreifende Aufgaben koordinieren und Akteure vernetzen. „Dort, wo etwas mehr Koordinierungswille existiert, gibt es auch besser ineinandergreifende Policy Tools“, so Schuppert.

Diese Erkenntnis sollte die Grundlage für die Auswahl geeigneter Beteiligungsformate sein, sagt der Wissenschaftler. Denn es komme nicht darauf an, möglichst viele partizipative Elemente auf den Weg zu bringen. Viel wichtiger sei es, die richtigen auszuwählen. „Nur dann dürfte es gelingen, die Klimapolitik im Einklang mit den Bevölkerungsgruppen zu entwickeln, die für deren Umsetzung wichtig und verantwortlich sind.“ Es bleibt also dabei: Jene, die gemeinsam etwas bewegen wollen, sollten miteinander reden und sagen, was sie voneinander wollen.

Das Projekt

Climate Policy Governance from a City-Comparative Perspective: Identifying legitimate and successful Climate policy processes for metropolitan areas

Beteiligt: Prof. Dr. Sabine Kuhlmann, Prof. Dr. Fabian Schuppert, Janina Walkenhorst, Franziska Oehlert, Tomas Vellani
Förderung: Climate Change Center Berlin Brandenburg und der Präsident der Universität Potsdam
Laufzeit: bis Ende 2024, mit möglicher Anschlussfinanzierung

Die Forschenden

Prof. Dr. Sabine Kuhlmann studierte Sozialwissenschaften. Seit 2013 ist sie Professorin für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation in Potsdam.
E-Mail: sabine.kuhlmannuni-potsdamde

Prof. Dr. Fabian Schuppert studierte Politik, Philosophie und Geschichte an der Universität Göttingen sowie European Culture in Glasgow. Nach Stationen in Helsinki, Belfast und Zürich ist er seit 2020 Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam.
E-Mail: Sabine.Eichleruni-potsdamde (Sekretariat)

Janina Walkenhorst, M.A. studierte Politikwissenschaft und Geschichte an der Technischen Universität Dresden und der Universität Potsdam. Seit März 2020 ist sie akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie.
E-Mail: janina.walkenhorstuni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2023 „Lernen“ (PDF).