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Den richtigen Ton treffen – Was Prosodie mit den Grenzen sprachlicher Vielfalt zu tun hat

Porträt einer Frau im Gespräch
Zwei Kästchen mit je drei Strichmännchen
Wissenschaftliche Grafik, die erklärt, wie Prosodie funktioniert
Foto : Karla Fritze
Prof. Dr. Isabell Wartenburger
Foto : Isabell Wartenburger
Beispiel dafür, wie Prosodie eingesetzt wird. Links: „(Mona und Lili und Nina.)“ - Rechts: „(Mona und Lili) und Nina.“
Foto : Isabell Wartenburger
Oszillogramm (oben), Spektrogramm (mitte) und Laut-Transkription (unten) des Satzes „(Mona und Lili) und Nina.“.

Sprache kann erstaunlich viel, nicht zuletzt, weil sie so ungeheuer wandelbar ist. Doch auch die sprachliche Flexibilität hat Grenzen. Und gerade diese Grenzen sind für Sprachwissenschaftler*innen besonders interessant. Denn sie stellen sicher, dass wir mehr oder weniger die gleiche Sprache sprechen. Im Sonderforschungsbereich (SFB) „Die Grenzen der Variabilität in der Sprache“ (1287) sind Potsdamer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit 2017 über Disziplingrenzen hinweg auf der Suche nach diesen Limitierungen. Eine der Forscherinnen im SFB1287 ist Prof. Dr. Isabell Wartenburger. In einem der Teilprojekte geht sie der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen jüngere und ältere Menschen Prosodie einsetzen. Matthias Zimmermann sprach mit ihr über die Rolle der Prosodie, die wie man sie erforscht und erste Ergebnisse des SFB.

In Ihrem Teilprojekt des SFB 1287 geht es um Prosodie. Was ist das und wofür ist sie wichtig?

Prosodie ist im Grunde die „Sprachmelodie“ der gesprochenen Sprache. Dazu gehören die Tonhöhe und wie einzelne Laute gedehnt oder verlängert werden, außerdem das Einfügen von Pausen oder die Veränderung der Lautstärke. Zum Beispiel können wir mithilfe von Prosodie signalisieren, ob wir eine Frage stellen oder eine Aussage treffen. In einem Aussagesatz wie „Katharina liest ein Buch.“ bleibt die Stimme am Ende tief, während wir im selben Satz als Frage „Katharina liest ein Buch?“ am Ende mit der Stimme hoch gehen. Ein anderes Beispiel wäre die Antwort auf die Frage „Wer liest ein Buch?“. Hier würden wir in der Antwort den Namen betonen, also: „KATHARINA liest ein Buch.“ Oder auf die Frage „Was liest Katharina?“ antworten wir: „Katharina liest ein BUCH.“ In aller Regel setzen wir die Prosodie ganz automatisch ein. Sie wird von unserem Gegenüber automatisch wahrgenommen und unmittelbar für das Verständnis der Sprache genutzt. Die Prosodie ist also wichtig für eine erfolgreiche Kommunikation.

 

Was genau erforschen Sie?

Unser Projekt, das sind drei Projektleiterinnen und drei Doktorandinnen, und wir arbeiten gemeinsam an drei verschiedenen Arbeitspaketen. Wir untersuchen, wie und unter welchen Bedingungen jüngere und ältere Menschen Prosodie einsetzen. Dazu nutzen wir Sätze, die exakt die gleichen Worte enthalten, aber unterschiedliche Bedeutungen haben, ja nachdem, wie die unterschiedlichen Satzteile gruppiert werden – also wie man die Prosodie einsetzt. Die ersten Studien in diesem Bereich haben mit mathematischen Gleichungen gearbeitet. Die Sprecher*innen mussten ihrem Gegenüber mathematische Aufgaben diktieren, wie „2+3*4“ – und die Hörer*innen mussten anhand der Prosodie erkennen, ob das Ergebnis 20 (also „(2+3)*4“) oder 14 („2+3*4“) ist. Wir arbeiten ähnlich, allerdings mit Sätzen wie „(Mona und Lili und Nina.)“ im Gegensatz zu „(Mona und Lili) und Nina.“. Im ersten Fall sind alle drei Personen zusammen und im zweiten Fall sind zwei Personen zusammen und eine Person alleine gemeint (siehe Abbildung). Außerdem wollen wir herausfinden, ob Menschen, die die Prosodie in ihrer Aussprache besonders gut oder deutlich einsetzen, auch besonders gut darin sind, prosodische Signale für das Sprachverständnis zu nutzen. Wir wissen, dass ein solcher Zusammenhang für Produktion und Verständnis einzelner Laute existiert, und wir erwarten, ihn auch auf der Ebene der Prosodie zu finden. Diese Studien helfen uns, die Repräsentation von Sprache im Gehirn besser zu verstehen. Daran arbeiten wir auch in dem zweiten Arbeitspaket. Hier untersuchen wir allerdings, wie Menschen mit einer Sprachstörung nach einem Schlaganfall, einer Aphasie, Prosodie für das Sprachverständnis nutzen können. Uns interessiert insbesondere, ob diese Menschen eher Probleme mit der Verarbeitung der Tonhöhe oder der Dehnung haben.

 

Mit welchen Mitteln arbeiten Sie? Wie funktioniert die Forschung konkret?

Das kann ich am besten an unserem dritten Arbeitspaket erläutern. Dort untersuchen wir, wie Prosodie eingesetzt wird, wenn zwei Menschen miteinander sprachlich interagieren. Im Experiment dazu sitzen zwei Versuchsteilnehmer*innen in einem Raum. Die Sprecher*in soll einen Satz, den sie mit Bildern auf ihrem Monitor sieht, so aussprechen, dass ihr Gegenüber entscheiden kann, was sie auf dem Monitor sieht. Wenn der Hörer*in das aber nicht gelingt, sie sich also „verhört“, muss die Sprecher*in den Satz nochmal wiederholen. Wir erwarten, dass die Sprecher*in den Satz dann prosodisch besonders betont (sog. „clear speech“). Neu ist dabei, dass wir uns nicht nur die einzelnen Laute, sondern das gesamte prosodische Muster ansehen.

 

Gibt es Thesen – oder gar erste Ergebnisse?

In der ersten Phase des SFB von 2017 bis 2021 haben wir zeigen können, dass unsere Sprecher*innen die Prosodie sehr konsistent eingesetzt haben. Es war dabei egal, ob sie zu einem Kind, einer erwachsenen Person, einer Nicht-Muttersprachler*in oder einer älteren Person sprechen. Besonders interessant war, dass der Einsatz von Prosodie ein individuell sehr stabiles Muster an Merkmalen zeigte. Im Vergleich zwischen den verschiedenen Sprecher*innen zeigten sich aber große Unterschiede darin, welche prosodischen Merkmale sie einsetzten, also etwa Dehnung oder Tonhöhe oder Pause oder alles zusammen. Dieses sprachliche Verhalten stützt Theorien, die annehmen, dass die Sprecher*innen die Prosodie automatisch und „für sich selbst“ einsetzen und eigentlich nicht „für die Zuhörer*in“. Solche Theorien werden als „situationally independent“ bezeichnet. In der aktuellen Phase prüfen wir nun in der interaktiven Aufgabe, ob sich das auch in einer natürlicheren Kommunikation bestätigt.

 

Ihre Arbeit ist Grundlagenforschung. Aber wie könnte ein Weg Ihrer Ergebnisse in die Praxis aussehen?

Dazu kann man das Aphasiebeispiel nennen. Wir wollen nämlich auch untersuchen, ob wir Personen mit einer erworbenen Sprachstörung, helfen können, wenn diese Probleme haben, Tonhöhenunterschiede zu interpretieren, wenn sie also beispielsweise eine Frage nicht sicher von einer Aussage unterscheiden können. Wir möchten herausfinden, ob hier ein biofeedback-basiertes Training der Tonhöhenwahrnehmung hilft, das Sprachverständnis für diese Sätze zu verbessern. Wenn dem so ist, könnte dieses Training in der Zukunft in die Sprachtherapie einfließen. Bis dahin ist es aber noch ein Stück Weg.

 

Das Projekt
„(In)Variabilität prosodischer Cues in Perzeption, Produktion und Interaktion“ (Projekt B01)

Beteiligt: 3 Projektleiterinnen: Dr. Sandra Hanne & Prof. Dr. Outi Tuomainen & Prof. Dr. Isabell Wartenburger; 3 Doktorandinnen: Andrea Hofmann, Kathleen Schneider, Lahari Chatterjee
https://www.sfb1287.uni-potsdam.de/projekt-b01/

 

Die Forscherin
Prof. Dr. Isabell Wartenburger studierte Psychologie an der Universität Bielefeld und promovierte 2004 an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Von 2007 bis 2013 war sie Juniorprofessorin für Neurokognition der Sprache mit dem Schwerpunkt Neurolinguistik, seit 2013 ist sie Professorin für Patholinguistik/Neurokognition der Sprache an der Universität Potsdam.