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Zum 200. Todestag von E.T.A. Hoffmann

Iwan-Michelangelo D'Aprile, Professor für Kulturen der Aufklärung.
Musikwissenschaftler Pascal Rudolph
Foto : Inga Dreyer
Iwan-Michelangelo D'Aprile, Professor für Kulturen der Aufklärung.
Foto : Xiaoyan Hu
Musikwissenschaftler Pascal Rudolph

Pascal Rudolph, Musikwissenschaftler

Instrumentalmusik, Kirchenmusik, Oper und Melodram: E.T.A. Hoffman hat fast einhundert Kompositionen geschrieben, von denen die meisten leider verloren gegangen sind. Obwohl seine Musik in der jüngeren Vergangenheit etwas mehr Beachtung gefunden hat, liegt Hoffmanns Bedeutung für die Musikwissenschaft weniger im Schreiben von Musik als im Schreiben über Musik. Als Musikrezensent war er ein wichtiger Wegbereiter der Kanonisierung. Seine Rezensionen sind in der Musikgeschichte von großer Bedeutung, da sie die romantische Musikästhetik begründeten.
Im Zentrum dieser Ästhetik steht die Idee der „absoluten Musik“. Sie bezeichnet eine Tonkunst, die frei von außermusikalischen Zwecken ist und sich durch sich selbst legitimiert. Es liegt also eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass einer seiner wirkmächtigsten Texte die Besprechung der Instrumentalmusik eines anderen Komponisten ist, nämlich von Ludwig van Beethovens fünfter Sinfonie. Zu Beginn der besagten Rezension schreibt er: „Wenn von der Musik als einer selbstständigen Kunst die Rede ist, sollte immer nur die Instrumental-Musik gemeint seyn, welche, jede Hülfe, jede Beymischung einer andern Kunst verschmähend, das eigenthümliche, nur in ihr zu erkennende Wesen der Kunst rein ausspricht. Sie ist die romantischste aller Künste, – fast möchte man sagen, allein rein romantisch.“ Die Musik eröffnet uns, so Hoffmann, das Reich des „Unaussprechlichen“.

Um eben dieses in Worte zu fassen, unternahm Hoffmann zahlreiche, teils skurrile Anläufe und kreative Lösungsversuche. Der fiktive Kapellmeister Johannes Kreisler, ein »verrückter Musikus par excellence«, der durch viele Musikschriften Hoffmanns geistert, ist nur ein Beispiel. Das Einbeziehen von erlebend-hörenden Subjekten, das romantische Gefühlsvokabular und die bewegte Bildlichkeit – dadurch wird Hoffmanns Poetik hörbar, ja vielleicht sogar zur Musik.

Iwan-Michelangelo D'Aprile, Professor für Kulturen der Aufklärung

Als Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann am 25. Juni 1822 in Berlin starb, setzte sein internationaler literarischer Ruhm erst richtig ein. Unter dem eingängigen Pseudonym E.T.A. Hoffmann (das „W“ des dritten Vornamens hatte er in Reminiszenz an den musikalischen Superstar Wolfgang Amadeus Mozart durch ein „A“ ersetzt) wurde er zum ersten deutschen literarischen Exportschlager auf den von neuen Massenmedien wie Zeitschrift und Zeitung geprägten Märkten des 19. Jahrhunderts. Hier etablierte er die den Unterhaltungsmarkt bis heute dominierenden Genres der Fantasy-, Mystery-, Horror-, Thriller- oder Crime-Stories. Die bedeutsamsten Literaten in Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA wurden zu seinen Followern: Als „Hoffmann in Berlin“ oder „Gespenster-Hoffmann“ taucht er in den Romanen Balzacs oder Alexandre Dumasʼ auf. Charles Baudelaire huldigte ihm als Erfinder einer neuromantischen Ästhetik des „absoluten“ schwarzen Humors. Im englischsprachigen Raum entdeckten Edgar Allen Poe und Robert Louis Stevenson bei ihm brauchbare Grusel-Potenziale. Und die großen russischen Erzähler Nikolai Gogol und Fjodor Dostojewski transponierten seine Grotesken in die bürokratischen Sphären des Zarenreichs.

Während Philosoph und Zeitgenosse G.W.F. Hegel die Kontinente der Vernunft ausmaß und die Widersprüche der nach-napoleonischen Epoche zwischen Dynamisierung und Restauration auf ihre Begriffe brachte, literarisierte Hoffmann deren Nachtseiten. Was dem einen der Geist, waren dem anderen die Gespenster. Neben seriellen Motiven um Doppelgänger, Wiedergänger, Spukhäuser und belebte Automaten zählen zu Hoffmanns Standardrepertoire vorzugsweise visuelle Spezialeffekte um geraubte Augen und optische Geräte wie magische Brillen, Mikroskope, Taschenfernrohre oder Zerrspiegel. Eingebunden ist das Ganze in eine Ästhetik des Ungewissen, in der die Grenzen zwischen Wahnbild und erzählter Wirklichkeit gezielt in die Schwebe gebracht werden.

Meist ist der Erzähler selbst der am wenigsten zuverlässige Teil der Geschichte, die sich in einem mehrdimensionalen Raum kunstvoll verwobener Neben- und Parallelwelten abspielt. Durch den Hoffmann-typischen Erzählrahmen, in dem sich – häufig studentische – Kleingruppen ihre Gruselgeschichten darbieten und deren mögliche Erklärungen diskutieren, machen seine Texte nicht zuletzt das Sprechen und Schreiben über Gespenster selbst zum Gegenstand. Das Gespenstische wird so als ein Effekt diesseitiger psychischer und sozialer Probleme in Form von Wiederholungszwängen, Schizophrenien und Entfremdungen erkennbar. Zugleich verbleibt es im gattungskonstitutiven Status des Unerklärlichen und Unheimlichen. Wer bei solchen Erzählungen nicht den Kopf verliere, der habe keinen, fasste Heinrich Heine diese spezifische Hoffmannsche Dialektik der Aufklärung trefflich zusammen.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).