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Der universale Problemlöser – „KI made in Potsdam“ auf dem Siegeszug rund um die Welt

Portrait von Prof. Dr. Torsten Schaub. Das Foto ist von Tobias Hopfgarten.
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Torsten Schaub, Professor für Wissensverarbeitung und Informationssysteme an der Universität Potsdam und Gründer von Potassco Solutions

Einen Fahrplan für die Züge eines ganzen Landes schreiben? Virtuell eine Fabrikanlage konfigurieren? Herausforderungen wie diese kommen Clasp gerade recht. Dem Computerprogramm, das ein Team um den Potsdamer Informatiker Torsten Schaub entwickelt hat, können Probleme kaum schwer genug sein. Vom bestmöglichen Stundenplan für eine ganze Uni über die optimale Struktur eines riesigen Warenlagers bis zur autonomen Komposition musikalischer Werke – es gibt wenig, was Clasp nicht kann. Es muss nur knifflig genug sein.

Clasp ist ein Conflict-Driven Answer Set Solver. „Ein universaler Problemlöser“, sagt Torsten Schaub. „Er löst verschiedenste kombinatorische Optimierungsprobleme, solche, die besonders wissensintensiv sind und viele Variablen enthalten.“ Und genau das macht das Programm zur Künstlichen Intelligenz. Denn während eine Software lange nur genau das tat, wozu sie programmiert worden war, entfalten KI-Systeme wie Clasp ihr Potenzial erst, wenn sie mit einem Problem „gefüttert“ werden. „Ein normales Computerprogramm ist nicht intelligent. Es trifft keine Entscheidungen, der Lösungsweg ist durch seinen Programmcode vorgegeben“, erklärt der Informatiker. Bei Clasp sei dies anders. „Wir geben nur das Problem vor, den Lösungsweg findet es allein.“ Möglich sei dies, weil das System aus mathematischen Algorithmen besteht, die aus Fehlern lernen. Clasp könne diese nicht nur bewältigen, es brauche sie sogar. „Das System versucht, bei einer Aufgabe frühzeitig in Konflikte zu gehen – und aus ihnen Schlussfolgerungen zu ziehen“, erklärt der Wissenschaftler. Tritt ein Konflikt auf, springt es sofort zurück an dessen Ursprung, reichert das Problem mit der neuen Information an und rechnet weiter.

Clasp und einige andere „verwandte“ Solver- Systeme waren von Beginn an Open Source und frei verfügbar. Im Laufe der Jahre seien sie millionenfach heruntergeladen worden. „Mittlerweile ist unsere Software so weit verbreitet, dass ich gar nicht mehr weiß, wer sie alles nutzt“, sagt Schaub. Bekannt ist sie auf jeden Fall für ihren Einsatz bei der Konfiguration des offenen Betriebssystems Linux. Und auch die Wirtschaft hatte das Potenzial des Systems erkannt. „Irgendwann stellten wir fest: Große Firmen wie Siemens oder Schlumberger, das weltweit größte Unternehmen für Erdölexplorations- und Ölfeldservice, nutzen unser System“, sagt Schaub. „Also dachten wir, es ist Zeit, selbst dafür zu sorgen, unsere Forschung in die Anwendung zu bringen.“

2018 entstand mit „Potassco Solutions“ ein eigenes Unternehmen, das genau daran arbeitet. Das Kernteam ist aus Schaubs Forschungsgruppe hervorgegangen. Dr. Sven Thiele etwa hat in Potsdam studiert und promoviert und ist nach einem Postdoc-Aufenthalt im Ausland inzwischen Mitarbeiter von Potassco Solutions. Schon als Student an der Uni Potsdam hat er sich mit der Solverentwicklung beschäftigt und die Werkzeuge in seiner späteren Forschung für vielfältige Probleme eingesetzt. „Dabei fallen einem natürlich viele Sachen ein, die man noch verbessern möchte. Allerdings blieb mir dazu nur wenig Zeit“, sagt Sven Thiele. „Potassco Solutions bietet uns die Möglichkeit, unsere Forschungsergebnisse über die Grundlagenforschung hinaus zu den professionellen Werkzeugen weiterzuentwickeln, die ich mir immer gewünscht habe. Davon profitiert dann auch wieder unsere Forschergemeinschaft.“ Vor allem aber komme es der wissenschaftlichen Gruppe zugute, wenn sie Clasp in der Praxis weiterentwickeln. „Bei uns treibt die Anwendung die Forschung“, sagt Schaub. „Und obwohl diese sogenannte ‚anwendungsorientierte‘ Forschung in akademischen Kreisen mitunter einen etwas schlechten Ruf hat, kann ich sagen: Sobald die Anwendung relevant ist, stellt man andere, meist schwierigere Fragen und macht interessantere Forschung.“

Als Forscher hatte Schaub die Gründung einer eigenen Firma lange gescheut. Ein Glücksfall sieht er deshalb in der Unterstützung durch die UP Transfer GmbH. Die Tochterfirma der Uni Potsdam kümmert sich um Wissens- und Technologietransfer und für „Potassco Solutions“ um alle buchhalterischen und anderen organisatorischen Fragen, sodass sich das Team auf die Produktentwicklung konzentrieren kann.
 Seine wirtschaftliche Feuerprobe hat Clasp längst bestanden. In einem der ersten Firmenprojekte ging es darum, für die Schweizer Bundesbahn einen Schichtplan zu erstellen – für Beschäftigte in Früh-, Mittel- und Spätschicht. Dabei hatte Clasp im Unternehmen zahlreiche Parameter zu berücksichtigen: Vollzeit, Teilzeit, Urlaub, Auslastung zu verschiedenen Tageszeiten und vieles mehr. Woran bislang ein Mitarbeiter eine Woche gearbeitet hatte, rechnete das System eine halbe Stunde. „Der fertige Plan war vollkommen korrekt, bis zur Beachtung der Arbeitsrichtlinien“, sagt Sven Thiele. Das Ergebnis war so überzeugend, dass Clasp im Unternehmen inzwischen auch in der Zugdisposition, der Raumplanung von Großraumbüros und der Einsatzplanung von Baumaschinen verwendet wird. „Logistische Entscheidungen wie diese ähneln sich“, erklärt Torsten Schaub. „Nur werden sie in vielen Firmen bislang von Menschen getroffen – hochqualifiziert und erfahren.“ Clasp könne diese komplexen Probleme jedoch weit schneller lösen und die Beschäftigten könnten andere, nicht automatisierbare Aufgaben übernehmen. „Der Kern unserer Technologie besteht darin, dieses Wissen einzufangen und es – automatisiert – besser zu machen.“ Aktuell bemüht sich Schaub darum, mehr Kooperationen in Brandenburg anzuschieben. „Mir ist es wichtig, dass unser Forschungstransfer auch der Region zugutekommt. Ich hoffe, wir rennen da offene Türen ein.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Transfer 2021/22 (PDF).