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So forsche ich: Die verborgene Lebensader

Grundwasserpumpe
Foto : Dr. Robert Reinecke
Grundwasserpumpe

Mit dem Klimawandel werden Dürren häufiger und mit ihnen ein Zugang zu sauberem Trinkwasser immer wichtiger. Dennoch wissen wir sehr wenig über die größte zugängliche Trinkwasserquelle – Grundwasser. Robert Reinecke hat eine Computersimulation des Planeten Erde entwickelt, die erstmals Einblicke in diese verborgene Welt gibt. In der Portal stellt er seine Forschung vor.

Wir stehen auf einer weiten Hochebene im Norden Kaliforniens, Mr. Miller (Name geändert) blickt auf seine weitläufigen Felder und erzählt mir, dass er sich Sorgen mache über die Zukunft und ob seine Enkel die Farm weiter betreiben werden. Früher habe er nicht so viel Wasser aus seinen Brunnen pumpen müssen, sagt er mir, und zeigt dabei auf die fast mannshohe, rostige, dieselgetriebene Pumpe die vor uns aus dem Boden ragt. Es ist 2016 und ich habe mir für meine Doktorarbeit vorgenommen, ein weltweites Computermodell unserer Grundwasservorkommen zu entwickeln und zu ergründen, wie diese unseren Augen verborgene Welt funktioniert.

Weltweit wird das Volumen von Frischwasser innerhalb der oberen zwei Kilometer der Erdkruste auf 22,6 Millionen Kubikkilometer geschätzt – das ist mehr als das 200-Fache der ca. 100000 Kubikkilometer, die in sämtlichen Flüssen, Seen und Feuchtgebieten dieser Erde verfügbar sind. Damit ist Grundwasser die größte weltweit zugängliche Trinkwasserquelle; mehr Frischwasser ist nur im noch ewigen Eis eingeschlossen.

„100 Meter weiter habe ich vor zwei Jahren noch eine Pumpe gebaut. Die erste Pumpe brachte nicht mehr genug Wasser, als der Bedarf stetig anstieg. Doch sie liefert nichts, komplett trocken!“ Am Horizont ist die Spitze eines einst mächtigen Vulkans zu sehen – Mount Shasta. Die Hochebene, auf der wir stehen, haben wir mehreren gewaltigen Ausbrüchen Shastas zu verdanken. Der Boden unter uns ist durchzogen von alten Lavatunneln. Wie U-Bahn-Schächte transportieren sie das Wasser durch den Boden. Man muss schon etwas Glück haben einen solchen Tunnel zu erwischen.

Wir wissen immer noch sehr wenig über die Lage und Verteilung der weltweiten Grundwasserressourcen. Wie können wir ohne das Wissen über seine Verteilung diese verborgene Lebensader nachhaltig nutzen und schützen?

Das Wasser, welches Mr. Miller auf seinem Feld aus über 50 Meter Tiefe hervorpumpt, nutzt er, um Heu zu produzieren. Dieses wird dann nicht nur über sechs Stunden nach San Franzisco transportiert, sondern von da aus nach Japan an Pferdezüchter verkauft. Wasser ist längst zu einer weltweiten Handelsware geworden.

Ca. 40 Prozent aller menschlichen Wasserentnahmen weltweit kommen aus dem Grundwasser. Mit dem Klimawandel werden Dürren und Überflutungen häufiger werden, und mit ihnen Grundwasser als zuverlässige Quelle für sauberes Trinkwasser immer wichtiger. Durch langfristige Zugriffe auf das Grundwasser etwa durch Entnahme für die Bewässerung hat der Mensch tiefgreifende Veränderungen im Ökosystem hervorgerufen. Brunnen drohen zu versiegen, durch Grundwasser gespeiste Flüsse und Seen können austrocknen, und deren Wasserqualität kann sich verschlechtern (zum Beispiel durch das Eindringen von Salzwasser in küstennahen Gebieten). Tatsächlich hat die weltweit anhaltende Nutzung von Grundwasser zur Bewässerung schon zu weitreichend abgesenkten Grundwasserspiegeln geführt sowie möglicherweise signifikant zum Anstieg des Meeresspiegels. Auch bei uns zeigt sich immer deutlicher ein Schwund des zur Verfügung stehenden Wassers und aktuelle Vorhersagen zum Klimawandel zeigen ein immer trockeneres Deutschland. Dabei haben wir jetzt schon unser wertvolles Grundwasser und unsere Flüsse durch die massive Einbringung von Nitrat verunreinigt.

Um Zusammenhänge besser zu verstehen nutzen Wissenschaftler computerbasierte Modelle. Mit diesen Modellen können sie die komplexen, weltweiten und nur eingeschränkt messbaren Prozesse des Wasserkreislaufs auf und unterhalb der Landoberfläche in vereinfachter Form abbilden und somit menschliche und klimatische Einflüsse auf das Frischwassersystem aufzeigen. Folgen wir etwa einem Regentropfen, kann dieser entweder im Kronendach von Bäumen landen oder direkt auf den Boden fallen und dort verdunsten oder zur Photosynthese beitragen oder weiter in den Boden eindringen. Sollte der Tropfen als Schnee niedergehen, kann er auch sehr lange als solcher gespeichert bleiben, bis er sich wieder in den Wasserkreislauf einreiht. Andere Tropfen dringen nicht oder nur kurz in den Boden ein und sammeln sich in Bächen oder Flüssen, um sich am Ende ihrer Reise ins Meer zu ergießen.

Der Lebensweg des Grundwassers mit seinen hochkomplexen Interaktionen wurde lange Zeit nur sehr vereinfacht in Computermodellen abgebildet. Grundwasser wurde immer nur als ein in der Tiefe vorhandenes Speichervolumen betrachtet, welches zu- oder abnehmen konnte. Vereinfacht lässt sich von einem „Eimer“-Modell sprechen, wobei unklar ist, wie groß dieser Eimer eigentlich ist. Für eine gewisse Region der Welt kann man nach dem alten Modell also nur wissen, ob das gesamte Wasser im Eimer mehr oder weniger wird. Diese stark vereinfachte Betrachtung erlaubte weder, die Höhe des Grundwasserspiegels („Wie tief muss ich einen Brunnen graben, um an Grundwasser zu gelangen?“), den Fluss des Grundwassers („Wie lange braucht das Nitrat aus der Gülle bis es an einem Brunnen oder Fluss angelangt ist?“), den kapillaren Aufstieg (Kapillarkräfte als Wasserversorgung der Pflanzen), noch den Wasseraustausch zwischen Flüssen, Seen und dem Grundwasser zu berechnen. Dies alles ist nun mit einem von mir neu entwickeltem Computermodell möglich geworden.

Ich habe Methoden angewendet, die üblicherweise für die Untersuchung von Grundwasserleitern auf dem Maßstab von Fußballfeldern bis zur Größe von Bundesländern angewendet werden und habe sie auf innovative Weise in ein weltweites Modell des Grundwassers übertragen. Ein von mir speziell hierfür entwickeltes Programm berechnet die weltweite Entwicklung des Grundwassers für 100 Jahre und dessen komplexe Interaktion mit Flüssen und Seen in einer Rechenzeit von zwei Tagen. Diese Software steht der Öffentlichkeit kostenlos und frei zur Verfügung.

Die Ergebnisse des neuen Computermodells lassen sich in interaktiven Karten erfahren und zeigen auf einem Globus, wie sich die unsichtbaren Ströme unter der Erdoberfläche in Flüsse, Seen und die Ozeane ergießen. Dabei ist auch zu erkennen, dass vor allem im Gebirge hunderte Meter tief gebohrt werden müsste, um an Grundwasser zu gelangen. Im Kontrast dazu liegt das Grundwasser beispielsweise im Amazonasgebiet oder den Niederlanden nur einige Zentimeter bis wenige Meter unter der Erdoberfläche.

Wie lässt sich nun ein solches globales Grundwassermodell über die reine Forschungsanwendung hinaus einsetzen? Da es die gesamte Welt abdeckt, kann das Modell als Schablone genutzt werden, um regionale Modelle für Länder zu entwickeln, die sonst nicht die Ressourcen dazu hätten. Dies könnte vor allem den Ländern helfen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Als ein konkretes Beispiel wird das Modell gerade in einem Projekt eingesetzt, das die Folgen des Klimawandels auf das Grundwasser im Mittelmeerraum untersucht.

Die Stärke meines Ansatzes bleibt allerdings der globale Kontext. Nur mit der globalen Sicht lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die weltweiten Wasserressourcen verstehen. Nur die globale Sicht ermöglicht es Forschern, Entscheidungsträgern die Zusammenhänge begreiflich zu machen und aufzuzeigen, welche möglichen globalen Auswirkungen ihre getroffenen Maßnahmen haben könnten.

Wasser ist der Ursprung und die Voraussetzung des Lebens. Es ist unabdingbar für Menschen, Tiere und Pflanzen. Doch diese zentrale Ressource ist auch begrenzt. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und des sich verändernden Klimas bietet Wasser hohes Konfliktpotenzial. Extremereignisse wie Fluten und Dürren häufen sich weltweit und mit steigenden globalen Temperaturen wird dieser Trend anhalten. Veränderte Niederschlagsmuster in Folge des globalen Klimawandels gefährden die Wasserversorgung von Milliarden Menschen. Grundwasser wird zur zentralen zuverlässigen Quelle für Frischwasser.

Auch Mr. Miller wird sich dieser neuen Realität stellen müssen. In seinem Geländewagen mit Rädern, die mir fast bis zur Brust reichen, fahren wir zurück ins Dorf. Dort ist ein Treffen mit weiteren Bauern der Region geplant, um die neuen strengen Richtlinien zur Wasserentnahme zu besprechen. Kein leichtes Unterfangen, aber auch globale Perspektiven brauchen regionales Handeln.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2021 „Familie und Beruf“ (PDF).