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Das Erbe der Vergangenheit – In der Denkfabrik „Scriptio Continua“ suchen Studierende mit einem Universitätsstipendium nach Spuren der Antike in der Gegenwart

Wandverzierung im Schloss Sanssouci
Apollo, der Gott der Dichter, im Marmorsaal im Schloss Sanssouci.
Grabinschrift für ein Schwein
Foto : Nina Mindt, mit freundlicher Genehmigung der SPSG
Wandverzierung im Schloss Sanssouci
Foto : Nina Mindt, mit freundlicher Genehmigung der SPSG
Apollo, der Gott der Dichter, im Marmorsaal im Schloss Sanssouci.
Foto : Wikimedia/Heiko Fischer
Grabinschrift für ein Schwein

Sie hat große Denker wie Platon, Sokrates oder Archimedes hervorgebracht, die Grundlagen unserer heutigen Rechtsordnung geschaffen und bahnbrechende Erfindungen ermöglicht. Auch bedeutende literarische Werke wie Homers „Odyssee“, Sophokles’ „Antigone“ oder Euripides’ „Elektra“ entstanden in der Antike. Die Ära, die den Zeitraum 800 v.Chr. bis 600 n.Chr. in der Mittelmeerregion umfasst, übt noch heute eine starke Faszination aus. „Die Antike hat viele Spuren hinterlassen“, sagt die Philologin Dr. Nina Mindt. „Manchmal stolpert man förmlich darüber, oft findet man sie aber auch dort, wo man sie gar nicht erwartet. Selbst mich überrascht die Antike immer noch, obwohl ich mich seit Jahrzenten mit ihr beschäftige.“

In der Denkfabrik „Scriptio Continua – Antike und Gegenwart“ begibt sich die Forscherin ab dem Wintersemester 2021/22 gemeinsam mit zehn Studierenden ein Jahr lang auf Spurensuche, um mit ihnen zu ergründen, was wir auch heute noch von der Antike lernen können. Erstmalig vergibt die Universität Potsdam für das Format der Denkfabrik Universitätsstipendien und fördert die Stipendiatinnen und Stipendiaten mit 300 Euro monatlich. Studierende der Geschichte, der Klassischen Philologie, Latinistik und anderer geistes- und kulturwissenschaftlichen Studiengänge mit Bezug zur Antike werden, begleitet von Forschenden und in interdisziplinären Teams, eigenständig Forschungsprojekte entwickeln und umsetzen.

„Die Antike war und ist Sehnsuchtsort und wurde häufig idealisiert – das schlägt sich auch an vielen Orten in Potsdam oder Berlin nieder“, erklärt Nina Mindt. Etwa in der Architektur im Park Sanssouci, der mit seinen zahlreichen Statuen, den Römischen Bädern und Wandverzierungen viele Elemente der Epoche enthält. Im Antikentempel im westlichen Teil des Parks bewahrte Friedrich der Große seine umfangreiche Sammlung antiker Münzen, Gemmen und Kunstgegenstände auf. „Die Antike war aber nicht nur ästhetisch und schillernd, sondern auch herausfordernd und provozierend“, betont die Philologin. Sklaverei, Populismus oder Demagogie gehören zu den Schattenseiten der Ära, die in der Denkfabrik ebenfalls betrachtet werden sollen.

„Wir führen die Stipendiatinnen und Stipendiaten in das ein, was altertumswissenschaftliche Forschung ausmacht“, beschreibt Nina Mindt eines der Ziele der Denkfabrik. Die Studierenden sollen Sprache, Geschichte und Kultur der Antike besser verstehen und dabei auch die Methoden der Forschung kennenlernen. Für die Klassische Philologie bedeutet das zu fragen: Wie werden Wissensquellen aus der Antike genutzt und entschlüsselt? Welche Kompetenzen benötigen Forschende, um Texte zu analysieren und zu verstehen? Wo findet und erstellt man analoge oder digitale Textausgaben? Wie arbeitet man mit einem textkritischen Apparat, der auflistet, welche Änderungen ein Text im Laufe der Zeit erfahren hat? Was muss man beachten, wenn man Inschriften transkribiert und übersetzt? Die Sprachen der Antike – Altgriechisch und Latein – nehmen in der Antikeforschung eine Schlüsselrolle ein. „Viele können diese Texte nicht mehr lesen“, erklärt die Philologin. „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben deshalb sprachlich und inhaltlich eine Vermittlerrolle.“

Nina Mindt, die ursprünglich Deutsch und Latein studierte, um Lehrerin zu werden, schätzt die besondere Strenge antiker Sprache: „Latein ist keine Sprache mehr, mit der man kommuniziert. Sie wird langsam und konzentriert konsumiert, das entschleunigt. Die Texte müssen aufgeschlossen werden.“ Sie selbst entschied sich nach ihrem Studium gegen eine Laufbahn in der Schule und stattdessen für die Wissenschaft: „Wegen eines sehr spannenden Forschungsprojekts, das untersuchte, warum und wie antike Texte, Wissenschaften und Künste bis in die Moderne wirken.“

Für Nina Mindt und ihren Kollegen Professor Filippo Carlà-Uhink, mit dem sie die Denkfabrik inhaltlich und konzeptionell begleitet, werden die kommenden zwei Semester aufregend. „Es kommt ganz auf die zehn teilnehmenden Studierenden an und darauf, welche Ideen und Kompetenzen sie mitbringen“, sagt die Forscherin. Ein Eröffnungscamp in Gülpe, Kurzexkursionen, Museumsbesuche in Berlin und Brandenburg und eine einwöchige Forschungsexkursion nach Italien sollen den Blick der Studierenden auf die Antike schärfen und dabei die Brücke zur Gegenwart schlagen. Auch ein altertumswissenschaftliches Kamingespräch mit Expertinnen und Experten für Übersetzungen sowie die Ringvorlesung „Religion und Literalität“ erwarten die Stipendiatinnen und Stipendiaten. Nach einem Jahr werden die Ergebnisse der Forschungsprojekte öffentlich präsentiert. Nina Mindt verspricht dazu „kreative Formate der Wissenschaftskommunikation mit Antike zum Anfassen“.

Die Philologin weiß selbst, wie überraschend Antikeforschung manchmal sein kann. Sie ist Expertin für Epigramme, die ein breites Spektrum aus dem Leben und dem Alltag der Antike abbilden. Noch heute werden antike Inschriften auf den unterschiedlichsten Materialien und an den verschiedensten Orten entdeckt. Oft sind sie nur unvollständig erhalten. Forscherinnen und Forscher müssen die erhaltenen Texte interpretieren, ergänzen und die Bezüge zwischen Bild und Text erkennen. Vor einigen Jahrzehnten kam es zu einer besonderen Entdeckung auf einem Tiergrabstein in Nordgriechenland, erzählt Nina Mindt. Das „Epitaph für ein Schwein“ aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert n.Chr. enthält neben einem Relief eine Inschrift aus Versen, die das Leben und den Unfalltod eines Schweines beschreiben. Gefunden wurde der Grabstein in der Stadtmauer von Edessa, wo er als Baumaterial verwendet worden war. „Diese Grabepigramme für Tiere sind schon ein etwas skurriles Beispiel“, sagt Mindt und lacht. „Aber das gehört auch zu den überraschenden Seiten der Antike.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2021 „Familie und Beruf“ (PDF).