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Unterwegs in den Anden – Tag 2: Auf Darwins Spuren

Geoforschende auf Exkursion in Argentinien

Auf dem Bild sind fünf Personen zu sehen. Das Foto ist von Bodo Bookhagen. Beim Anklicken öffnet sich das Bild im neuen Fenster.
Foto : Bodo Bookhagen
Messungen bei Hitze und Wind gehören zum Handwerk der Geoforschenden.

Es ist kaum bekannt, aber bereits Charles Darwin erklärte nach seiner Andenüberquerung im Herbst 1835 die Entstehung dieser hohen Gebirgszüge mit wiederkehrenden Erdbeben und dem damit verbundenen Prozess der Einengung von Gesteinseinheiten, die dabei systematisch von Westen nach Osten übereinandergestapelt und in Falten- und Störungszonen deformiert werden – Darwins erste große Theorie. Diese deformierten Bereiche bilden somit im Laufe der Zeit eine breite Zone, die aufgrund der vertikalen Stapelung von Krustengesteinen Jahr für Jahr an Höhe gewinnt. In einem solchen Deformationsgeschehen werden daher Gesteinseinheiten sequenziell in Richtung des östlichen Vorlandes einbezogen und bilden eine sogenannte Deformationsfront, wie wir sie in Bolivien, in den Patagonischen Anden oder auch im Himalaja finden.

In unserer Region dagegen fehlt eine solche Deformationsfront völlig, denn die Hebungsprozesse sind aufgrund der Reaktivierung von Schwächezonen in der Erdkruste des Andenvorlandes räumlich weit verteilt und zeitlich sehr unterschiedlich. Um besser zu verstehen, wie Deformationsprozesse in diesen räumlich verteilten Gebirgszügen stattfinden, müssen die Muster der Deformation sowie ihre Raten auf verschiedenen Zeitskalen gemessen und verglichen werden. Auf langen Zeitskalen werden geologische Horizonte benutzt, deren zeitliche Stellung durch Fossilinhalte oder radiometrische Datierungen gut bekannt ist. Die marine Yacoraite-Formation erfüllt das Kriterium eines solchen Horizonts, denn diese karbonatischen Ablagerungen einer marinen Überflutung während der Kreidezeit vor etwa 70 Millionen Jahren sind gut datiert und haben eine große räumliche Verbreitung in Nordwest-Argentinien. Heute findet man die Yacoraite-Formation auf Höhen von über 4000 Metern und in Tiefen von bis zu 5000 Metern, alles in direkter Nachbarschaft zueinander und innerhalb einer Entfernung von 100 Kilometern. Mit diesen Beobachtungen lassen sich langfristige Deformationsprozesse gut dechiffrieren, aber wie sieht es auf kürzeren Zeitskalen aus? Wir haben zwar satellitengeodätische Aufzeichnungen der letzten Jahre, aber zwischen beiden zeitlichen Extremen sind Daten rar. Dennoch helfen uns in dieser Situation ehemals horizontale Seesedimente, die in unserem Arbeitsgebiet häufig vorkommen und regelrechte Markerhorizonte für die Deformation auf Zeitskalen von mehreren 10.000 und 100.000 Jahren bilden.

Diese Horizonte wollen wir uns in Ruhe ansehen. Allerdings ist diese Aufgabe bei 35°C, starker Sonneneinstrahlung und hohen Windgeschwindigkeiten kein großes Vergnügen. Daher gönnen wir uns einige gekühlte Orangen und Melonenstücke aus unserer Eisbox und stärken uns mit einem Espresso, den wir auf dem Gaskocher zubereiten. Im Anschluss messen wir deformierte Seesedimentlagen, die zum Teil von Störungen durchzogen oder verfaltet sind, mit einem differenziellen GPS-Empfänger, der jede Sekunde ein Satellitensignal aufzeichnet und die Höhe mit Zentimetergenauigkeit misst. Auf diese Weise sammeln wir unentwegt Höhendaten an Leithorizonten. Als wir am Abend die Messdaten auswerten, sehen wir sofort die Verbiegung der Landschaft durch aktive tektonische Prozesse. Der Aufwand hat sich wirklich gelohnt, denn mit dieser Information können wir auch Deformationsraten von mehreren Millimetern pro Jahr bestimmen. Wir sind zufrieden mit unserem Tagwerk und absolvieren fast beschwingt noch eine Übung zur grafischen Darstellung von Deformationsstrukturen unserer Kollegin Willemijn van Kooten, bevor wir uns – für heute – entspannen.

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