Zum Hauptinhalt springen

Neu/Anfänge – Aus dem Forschungsprojekt zur Transformation des Potsdamer Hochschulstandortes in den 1980/90er Jahren

Umzug von Beschäftigten der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, 1988 | Foto: Fotoarchiv der Universität Potsdam
Die Pädagogische Hochschule Potsdam „Karl Liebknecht“, 1989 | Foto: Karla Fritze
Umzug von Beschäftigten der Pädagogischen Hochschule, 1960er Jahre | Foto: Fotoarchiv der Universität Potsdam
Foto : Fotoarchiv der Universität Potsdam
Umzug von Beschäftigten der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, 1988
Foto : Karla Fritze
Die Pädagogische Hochschule Potsdam „Karl Liebknecht“, 1989
Foto : Fotoarchiv der Universität Potsdam
Umzug von Beschäftigten der Pädagogischen Hochschule, 1960er Jahre
Über die Gründung der Universität Potsdam 1991 wurde von Beginn an gestritten. Einen Höhepunkt erreichte die Debatte, wie die Transformation der Pädagogischen Hochschule (PH) in die neue Universität und die früheren wissenschaftlichen Leistungen der Ostdeutschen zu bewerten seien, aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums 2016. Manfred Görtemaker bemängelte in seiner Festschrift, die Anpassung an westdeutsche Standards sei in Potsdam unvollständiger verlaufen als anderswo und mit Einbußen an wissenschaftlicher Qualität erkauft worden. Kritiker wie Ludwig Brehmer widersprachen, weil sie das Überstülpen westdeutscher Maßstäbe für einen Teil des Problems hielten und darauf pochten, dass sich die Forschungsleistungen der früheren PH-Kolleginnen und -Kollegen durchaus sehen lassen könnten.

Aus dieser Debatte entstand mit Unterstützung des Präsidiums ein Forschungsvorhaben, das die Transformation des Potsdamer Hochschulstandortes in den 1980/90er Jahren untersucht. Die Debatte seit 2016 prägt die Struktur des Projekts. Dass der Protest gegen Görtemakers Deutung vor allem aus den Naturwissenschaften kam, verweist auf fachspezifische Dimensionen der Kontinuität und ihrer Bewertung. Entsprechend untersuchen wir getrennt die Geistes-, Rechts- und Sozial- sowie die Naturwissenschaften. Zudem wurde oft angeführt, dass Potsdam vor 1990 keine Universität hatte, sondern eine PH, was damals Forschung erschwerte. Deswegen vergleichen wir Potsdam mit anderen Hochschulstandorten in der ehemaligen DDR, an denen PHs und Spezialhochschulen in Universitäten eingegliedert wurden.

Darüber hinaus stand auch die Auseinandersetzung mit dem Brandenburger Weg zur Debatte, wonach die SPD-geführte Landesregierung eine besonders behutsame Personalpolitik betrieben und weniger Angehörige der DDR-Vorgängerinstitutionen entlassen habe. Wir kontrastieren Potsdam daher mit Universitäten in CDU-geführten Ländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, um den Einfluss des politischen Rahmens auszumachen: Wie groß war die Personalkontinuität, und auf welche Weise wurde über sie entschieden? Welche Alternativen zeigen sich aus dem Vergleich? Schließlich gilt es, den besonders komplexen Gründungsprozess der UP zu bedenken, die aus unterschiedlichen Vorgängereinrichtungen hervorging: der PH „Karl Liebknecht“, der aus der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR entstandenen Hochschule für Verwaltung und Recht und der Juristischen Hochschule Potsdam des Ministeriums für Staatssicherheit – alle drei hatten durch ihre Aufgabe, Eliten der DDR-Gesellschaft auszubilden, eine besonders enge Bindung an die SED.

PHs nahmen aufgrund ihrer Aufgabe, zukünftige Generationen von systemkonformen Lehrkräften zu schulen, eine besondere Rolle im Hochschulsystem der DDR ein. Die Naturwissenschaften hingegen, die im Teilprojekt von Dorothea Horas im Mittelpunkt stehen, galten nach 1990 als politisch weitgehend unbelastet. Ihnen wurde im Gegensatz zu gesellschaftswissenschaftlichen Fächern geringer Reformbedarf attestiert. Dorothea Horas untersucht die Auswirkungen der politischen Rahmenbedingungen auf die naturwissenschaftlichen Fächer anhand der PHs Halle und Potsdam bzw. ihrer Nachfolgeinstitutionen. Zentral sind für sie sowohl erste Erosionserscheinungen in den 1980er Jahren und das Reformpotential 1989/90 als auch die Umgestaltung von außen seit der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten. Dabei geht es auch um die Frage, welche Mitspracheoptionen das (ostdeutsche) naturwissenschaftliche Personal bei der Transformation hatte.

Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften galten die sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächer nach 1990 als politisch und ideologisch deformiert. Nach Ansicht des westdeutschen Wissenschaftsrats sollten sie strukturell und personell grundlegend erneuert werden. Doch auch innerhalb des sozialistischen Hochschulsystems eröffneten sich Räume für eigen-sinnige Forschungen, die von Lehrenden und Studierenden genutzt werden konnten. Lara Büchel fragt, unter welchen diktaturspezifischen Vorgaben in den geisteswissenschaftlichen Sektionen gelehrt und geforscht wurde. Ausgehend von den 1980er Jahren erzählt sie eine lange Geschichte der hochschulpolitischen Wende über den revolutionären Umbruch von 1989 hinweg. Sie erforscht, welche Auswirkungen der beschleunigte soziale Wandel auf die ostdeutsche Wissenschaftselite hatte, und zeigt auf, welche fachlichen Qualifikationen, informellen Netzwerke, politischen Einstellungen und mentalen Prägungen vor, während und nach dem Umbruch zu einem Karrierepfad in den Geisteswissenschaften führten.

Im dritten Teilprojekt untersucht Axel-Wolfgang Kahl die ostdeutschen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der 1980/90er Jahre. Im sozialistischen Hochschul- und Wissenschaftssystem wurden sie als Gesellschaftswissenschaften mit festgelegten Ausbildungs- und Tätigkeitsprofilen an Universitäten und Spezialhochschulen gelehrt. Mit dem Ende der DDR folgte in diesen besonders systemnahen Wissenschaften ein umfassender Elitenaustausch. Anhand der fachspezifischen Transformationspfade an den Hochschulstandorten Potsdam und Leipzig untersucht Axel-Wolfgang Kahl sowohl die Möglichkeiten, die sich in Folge der revolutionären Umbrüche seit 1989 in Ostdeutschland auftaten, als auch die Konflikte um die Abwicklungen der Jahreswende 1990/91 und die Phase des Neuaufbaus der 1990er Jahre. Ob die Transformationserfahrungen als Hypotheken oder Chancen auf die weitere Umgestaltung der Fachdisziplinen einwirkten, war von den jeweiligen ost- wie westdeutschen Sozialisationen und den zugrundeliegenden (Alternativ-)Vorstellungen abhängig.

Aufruf
Für das Forschungsprojekt sind wir auf der Suche nach Hochschulangehörigen, die die Umbruchszeit der 1980/90er Jahre an der Universität und ihren Vorgängereinrichtungen erlebt haben. Bei Interesse Mail an: buecheluni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).

Veröffentlicht

Online-Redaktion

Sabine Schwarz