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Schleimpilze sind seine Welt – Zu Besuch im Labor bei Prof. Dr. Ralph Gräf

Prof. Dr. Ralph Gräf | Foto: Tobias Hopfgarten
Stereomikroskop mit Dictykulturplatte | Foto: Tobias Hopfgarten
Zellkulturflasche | Foto: Tobias Hopfgarten
Zellkulturschuettler | Foto: Tobias Hopfgarten
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Ralph Gräf
Foto : Tobias Hopfgarten
Stereomikroskop mit Dictykulturplatte
Foto : Tobias Hopfgarten
Zellkulturflasche
Foto : Tobias Hopfgarten
Zellkulturschuettler
Beim Betreten des Zellkulturlabors am Campus Golm fällt am Türschild des Raums 0.28-29 ein Cartoon mit Sprechblase ins Auge: „DICTY rules the WORLD“. Die Verniedlichung „Dicty“ ist eine Abkürzung für Dictyostelium discoideum und dieser nichts anderes als der Schleimpilz, dessen Erforschung sich der Zellbiologe Prof. Dr. Ralph Gräf mittlerweile seit Jahrzehnten widmet. Wer nun im Labor am Institut für Biochemie und Biologie schleimige Pilze oder diverse Pilzkulturen erwartet, wird – zumindest auf ersten Blick – nicht fündig. „Unsere Schleimpilze befinden sich in den Zellkulturflaschen und Schüttelkolben. Zudem haben wir Sporen eingefroren,“ erklärt Gräf. „Die Bezeichnung Schleimpilz ist auf Deutsch zwar korrekt, aber dennoch kein treffender Name, weil diese Modellorganismen mit Pilzen wenig zu tun haben!“

Nicht Pilz, Mensch oder Tier, sondern soziale Amöbe

Schleimpilze sind nicht Pilz, Mensch oder Tier, sie sind Amöben, also einzellige Lebewesen ohne feste Körperform, von denen es rund 1.000 Arten gibt. Die Dictyostelium-Amöbe ist eine typische eukaryotische – also kernhaltige – Zelle: Sie besitzt einen Zellkern und im Bereich darum diverse Zellorganellen. Diese sind funktionale Einheiten, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen und der Energiegewinnung, dem Stoffwechsel oder der Verdauung dienen. Damit die Zelle nicht von den eigenen Verdauungsenzymen angegriffen wird, sind sie in Membranbläschen verpackt, den sogenannten Lysosomen. Diese Amöben vermehren sich unter optimalen Wachstumsbedingungen etwa alle drei Stunden durch Zellteilung.

Zellkulturmedien in Glasflaschen mit blauem Schraubverschluss stehen zuhauf auf der Arbeitsfläche. Zellkulturflaschen mit rotem Schraubverschluss liegend gestapelt im Regal darüber. In beiden befindet sich eine honigfarbene Flüssigkeit, die Gräfs Dictyostelium-Amöben nährt. Der Biologe nimmt einen kegelförmigen Erlenmeyer-Kolben und schwenkt ihn mit ausgetrecktem Arm im Kreis. Durch das Glas schwappt der goldene Sud, Gräf ähnelt einem Dekantier mit Weinkaraffe. Dann befestigt er das Glas auf einer beweglichen Metallplatte: „Mit dem Zellkulturschüttler können wir unsere Dicties zu höheren Zelldichten in dem Kulturmedium wachsen lassen als in den stehenden Gewebekulturflaschen.“ Zur weiteren Präsentation legt er eine Dictykulturplatte auf ein Stereomikroskop: „Hier sehen wir ausgebildete Dicty-Fruchtkörper!“

Dictyostelium wird auch als „soziale Amöbe“ bezeichnet, da die amöboide Einzelzelle in der Lage ist, sich mit anderen Amöben zusammenzutun, um Fruchtkörper auszubilden. Das funktioniert so: Bei Hunger sondern „Dicties“ einen chemotaktischen Lockstoff ab, den „Artgenossen“, die sich im Umkreis weniger Zentimeter befinden mithilfe von Rezeptoren wahrnehmen können – und anschließend aufeinander zubewegen. Dies setzt eine Kettenreaktion in Gang, da die beteiligten Zellen nun ebenfalls beginnen, den Lockstoff zu produzieren, sodass immer mehr Zellen angelockt werden. „Die Fortbewegung ist eine amöboide Zellbewegung, bei der die Zelle sich nach vorn wälzt und den Zellkern dabei über einen Kontraktionsmechanismus mitzieht, ähnlich wie bei einem glatten Muskel“, erklärt Gräf. „Hierfür polarisiert sie sich: Das künftige ‚Vorne‘ bildet bspw. Stachel- oder lappenartige Zellfortsätze aus, das entsprechende ‚Hinten‘ wird durch kontraktile Einheiten nachgezogen. Die Zellfortsätze am Vorderende werden durch das Anstupsen dynamisch auswachsender Filamente des Zellskeletts von innen an die Zellmembran nach vorn geschoben.“

Pilze sind Tieren nah, Schleimpilze den Menschen

Bei ihrer „Versammlung“ – der Aggregation – stellen die Dictyostelium-Amöben über verschiedene Membranproteine Zellkontakte her und bilden vielzellige Körper, sogenannte Pseudoplasmodien, aus. Insofern gibt es eine verblüffende Ähnlichkeit zu höheren Zellen im Gewebsverband. „Am vergleichbarsten ist die Zellbewegung des Dicty mit den neutrophilen Granulozyten, einer Sorte weißer Blutkörperchen beim Menschen“, sagt der Forscher. „Diese zeigen ebenfalls eine Polarisierung mit amöboider Beweglichkeit und haben eine sehr ähnliche Zellskelettdynamik und -regulation.“

Im fortgeschrittenen Entwicklungszustand differenzieren sich die Dicty- Zellen, indem sie einen Stiel und Fruchtkörper mit Sporen ausbilden. Mit der Differenzierung hört die Zellteilung dann auf. „Die Fruchtkörper, die wir hier im Labor sehen, haben etwa eine Höhe von einem Millimeter mit einem Durchmesser des Sporenbehälters von 0,2 Millimeter“, erklärt Gräf mit Blick durch das Okular. Die Fenster vor ihm sind großteilig mit Silberfolie abgedunkelt. Weniger zum Schutz vor der hochsommerlichen Außentemperatur, sondern in erster Linie wegen des störenden Tageslichts – Fluoreszenzmikroskopie braucht Dunkelheit. Dafür nutzen die Zellbiologen auch einige fensterlose Räume, in denen die notwendigen Geräte stehen. Wie das „Spinning Disk Konfokalmikroskop“ – Hightech und hochpreisig, wie der Name schon vermuten lässt.

Die rein optische Ähnlichkeit der Dicties zu gängigen Pilzen ist nach dem Blick durch das Mikroskop nicht zu leugnen. Mit ihrem dünnen Stiel und bommelförmigem Fruchtkörper sehen sie wie filigrane Waldpilze aus, in mikroskopischen Bewegtbildaufnahmen – vor schwarzem Hintergrund visualisiert – wirken sie in ihrer kontinuierlichen Bewegung und Anhäufung mystisch schön. Interessanter Weise gibt es tatsächlich Dicties, die mit bloßem Auge zu sehen sind, wie Gräf sagt: „Makroskopisch sichtbare Schleimpilze befinden sich nicht selten als gelber Fladen am Waldboden. Dabei handelt es sich um Schleimpilze der Art Physarum polycephalum, bei denen eine einzige Zelle bis zu einem Quadratmeter groß werden kann!“

Das Lichtsinnesorgan des Dicty – noch ein Rätsel

Die ganze Welt der Schleimpilze findet sich auf der Dictybase (www.dictybase.org) mit entsprechendem Bildmaterial und Informationen zum Dicty-Lebenszyklus. Beim jährlichen Dicty-Meeting kommt immer wieder eine recht große Zahl an Forschern zusammen, um sich über neueste Forschungsergebnisse austauschen, da es noch viele Fragen zu klären gibt, zum Beispiel zum „Slug-Stadium“ der Dicties. Gräf beobachtet diese Erscheinung auch bei sich im Potsdamer Labor: „Hier auf der Agarplatte sieht man einen wurmartigen, vielzelligen Organismus. Dieser sogenannte ‚Slug‘ kann sich zum Licht hinbewegen, eine positive Phototaxis machen. Wir haben jedoch den eigentlichen Lichtsensor bislang nicht gefunden.“ Kurze Denkpause – nur die Klimaanlage in den hohen Räumlichkeiten rauscht vor sich hin. Aktuell ist niemand der acht Projektmitarbeiter von Gräfs Team im Labor anwesend. Doch Verpackungsreste, leere Pipetten und benutzte Petrischalen zeugen davon, dass hier kürzlich betriebsame Aktivität geherrscht haben muss.

Biologische Grundlagenforschung mit Dicty

Dabei ist das noch unbekannte Lichtsinnesorgan kein wesentliches Forschungsthema für Gräf. Er befasst sich grundlegend mit dem Centrosom und der Kernhülle plus assoziierte Proteine. Das Centrosom ist sehr komplex im Aufbau mit klar abgegrenzten Substrukturen und besteht aus verschiedenen Proteinen. Der Biologe erforscht mit den Postdocs Dr. Irene Meyer und Dr. Marianne Grafe in Potsdam, wie diese Proteine räumlich verteilt sind und welche Funktion sie an diesem komplexen Organell haben. Das Centrosom bildet die Mikrotubuli aus. Sie fungieren wie Autobahnen in den Zellen, die von der Zellmitte in die Peripherie und vice versa reichen, und dienen dem Transport von Organellen und Makromolekülkomplexen. Bei der Zellteilung sind die Mikrotubuli die Fäden, an denen Chromosomen hängen und entlang derer sie gleichmäßig auf zwei Tochterzellen verteilt werden. „Die biomedizinische Relevanz unserer Fragestellungen liegt darin, dass die Verdoppelung des Centrosoms vor der Zellteilung sehr streng kontrolliert sein muss, damit immer nur genau zwei neue Centrosomen entstehen und nicht mehr“, erklärt der Zellbiologe. „Wenn beispielsweise ein Centrosom zu viel vorliegt und dadurch tripolare Spindelpole entstehen, wäre das fürs Überleben der Zellen fatal. Ebenso können überzählige Centrosomen zur Entartung der Zelle und einer Unkontrollierbarkeit der Zellteilung führen. Man denke an Krebs!“ Mithilfe der Schleimpilze möchte Gräf Mechanismen und Prinzipien von Zellen erforschen, die diese Entartung verhindern. „Insofern kann man theoretisch den Bogen zur Krebsforschung schlagen. Aber von medizinnaher Forschung sind wir mit Dicty doch entfernt“, so seine Bewertung.

„Wir haben genug grundlegende Fragestellungen für die nächsten zehn bis 20 Jahre. Was wir gerne beforschen möchten ist erstens, welche Rolle die mechanische Stabilisierung des Zellkerns bei der Genregulation spielt und zweitens, wie die Umbauvorgänge der Kernhülle bei der Kernteilung ablaufen. Wir sind sicher, dass die Dictyostelium Amöbe ein idealer Modellorganismus ist, um unsere Fragen zu beantworten.“

Weitere Informationen: https://www.uni-potsdam.de/ibb-zellbiologie/index.html

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2020 „Digitalisierung“ (PDF).

Veröffentlicht

Kontakt

Prof. Dr. Ralph Gräf
Universität Potsdam Institut für Biochemie und Biologie Karl-Liebknecht-Str. 24-25, Haus 26
14476 Potsdam

Telefon 0331 9775520

Online-Redaktion

Sabine Schwarz