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Stabile Proteine im Modell – Potsdamer Studierende nehmen wieder an internationalem Biotechnologie-Wettbewerb iGEM teil

Das Potsdamer iGEM-Team 2019. Foto: Robin Michael.
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Das Potsdamer iGEM-Team 2019. Foto: Robin Michael.

Bryan Nowack und Robin Michael haben ein aufregendes Jahr hinter sich – und es ist noch nicht zu Ende. Sie haben ein Forschungsteam ins Leben gerufen, ein eigenes Projekt konzipiert und monatelang umfangreiche Experimente durchgeführt. Die beiden studieren an der Universität Potsdam – Biowissenschaften der eine, Biochemie und Molekularbiologie der andere. Gemeinsam mit 18 Kommilitoninnen und Kommilitonen nehmen sie an einem großen internationalen Wettbewerb der Synthetischen Biologie teil. Am 22. Oktober war Abgabefrist für die Ergebnisse der einjährigen Forschungsarbeit. Gut eine Woche später treffen sich alle Teams in Boston – zum Giant Jamboree. Auf der großen Abschlussveranstaltung präsentieren die Teams aus aller Welt ihre Projekte und es werden die Sieger gekürt. Matthias Zimmermann sprach mit den beiden Leitern des Potsdamer Teams über unzählige stabile Proteine, unangenehme Überraschungen und unbezahlbare Erfahrungen.

Der diesjährige iGEM-Wettbewerb startete im Herbst 2018. Wie lief die Forschungsarbeit seitdem?

Bryan Nowack: Anfangs hatten wir über 40 Interessenten aus verschiedensten Studienrichtungen. Das entsprach unserem Ansatz: Wir wollten alle teilnehmen lassen, egal aus welchen Fachrichtungen sie kamen. 20 sind bis heute geblieben. Die meisten davon sind Biologen und Informatiker.

Robin Michael: Zum Team gehören aber auch ein Astrophysiker, ein Mathematiker sowie eine Politik- und Verwaltungswissenschaftlerin.

Nowack: Ja, wir sind höchst interdisziplinär geblieben. Von Beginn an hatten wir das Projekt und das Team aufgeteilt: in Labor- und Computerarbeit. Als sich die Laborarbeit immer mehr als schleppend erwies, haben wir uns auf Informatik fokussiert. Letztlich sind wir ein sogenanntes „Software-Team“ geworden, das sich auf Computermodellierung spezialisiert hat. Im iGEM-Wettbewerb ist das relativ unbeliebt. So gibt es in diesem Jahr nur fünf solcher Teams. Für uns war es die richtige Entscheidung, denn damit sind wir sehr erfolgreich. Wir haben mehrere Modelle erarbeitet, mit deren Hilfe sich die Stabilität von Proteinen vorhersagen lässt.

Was habt ihr genau gemacht?

Nowack: Das Modell errechnet für Proteine eine Temperatur – als Indikator für deren Stabilität.

Michael: Es ermittelt also die Temperatur, bei der das jeweilige Protein am stabilsten ist. Man gibt die Primärstruktur von Proteinen ein und das Modell gibt eine Temperatur aus. Das Ganze mit einer Abweichung von maximal 4,5 Grad – da gibt es derzeit nichts Besseres.

Nowack: Nicht mit einem derart großen Datensatz. Denn unserer umfasst immerhin 7,7 Millionen Einzelsequenzen. Diesen Datensatz haben wir uns selbst gebaut – indem wir Daten aus frei zugänglichen Datenbanken miteinander kombiniert haben. Anschließend haben wir damit dann ein neuronales Netzwerk „gefüttert“ und trainiert.

Michael: Es ist tatsächlich einer der größten, wenn nicht der größte Datensatz, der je für ein solches Projekt geschaffen wurde. Wir können selbstbewusst sagen: Der ist einfach gut.

Lief alles nach Plan?

Michael: Nein. In der Wissenschaft läuft nie alles nach Plan. (Lacht.) Das Informatikprojekt lief zwar gut, das Laborprojekt aber letztlich genau entgegengesetzt. Es gab viele Schwierigkeiten, die bis zum Schluss nicht alle beseitigt werden konnten. Das hat uns viel Zeit und auch Geld gekostet. Schon der erste Schritt im Labor, eine einfache Transformation, die maximal eine Woche dauern sollte, hat drei Monate gedauert. Wir haben drei verschiedene Wege probiert, am Ende hat keiner funktioniert. Dadurch konnten wir nicht alle geplanten Methoden anwenden – und das Projekt im Labor nicht fertigstellen.

Was bedeutete das für das Gesamtprojekt?

Michael: Zum Glück konnten wir uns für den Softwaretrack entscheiden. Das hätten wir sonst wohl nicht gemacht. Immerhin sind die meisten Teammitglieder Biologen.

Nowack: Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn wir auch den biologischen Teil im Labor bis zum Ende hätten bringen können, um die Vorhersage der Modellierung im Labor zu belegen.

Michael: Die Laborarbeit ist natürlich trotzdem Teil des Projekts und im dazugehörigen Wiki dokumentiert. Mir hat einmal eine Dozentin gesagt: In der Biochemie arbeitet man 80 Prozent für die Mülltonne. Das haben wir leider bewiesen.

Was hat Euch überrascht?

Nowack: Wie viel ich über neuronale Netzwerke gelernt habe. Ich war als einer der beiden Teamleiter für den Infomatikbereich zuständig. Und obwohl ich Biologe bin, habe ich jetzt die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz ganz gut verstanden. Besonders gut fand ich das Miteinander der Disziplinen. So habe ich den Informatikern eine kleine Vorlesung über Biochemie gegeben und von ihnen eine über neuronale Netzwerke bekommen.

Michael: Ich war erstaunt, wie viel man noch über Klonierungsmethoden lernen kann. Selbst dann noch, wenn man schon recht viel darüber weiß. Und es war auch eine neue Erfahrung, dass man irgendwann nicht mehr weiter weiß und nur noch verzweifelt ist.

Nowack: Aber dieses Scheitern ist etwas, an dem wir gewachsen sind: Man denkt nicht mehr nur einfach in simplen Schritten, die man nach und nach abgeht, sondern sieht viele Probleme und schaut, wie man sie anpacken und lösen kann.

Michael: Stimmt. Obwohl im Labor so ziemlich alles schief gegangen ist, hat es im Endeffekt viel Spaß gemacht und uns viel gegeben.

Nowack: Wir alle haben hunderte Stunden im Labor gestanden – das ist enorm viel praktische Erfahrung. Man macht immer Fehler und daraus lernt man.

Am 22. Oktober mussten alle Gruppen ihre Ergebnisse einreichen. Hat das bei Ihnen geklappt?

Nowack: Ja. Dadurch, dass wir immer zweigleisig gefahren sind und in der Modellierung schon im Januar/Februar erste Ergebnisse hatten, war das kein Problem. Wir haben insgesamt vier Modelle, die alle erfolgreich sind. Wir haben ein Problem gelöst, das noch nie gelöst worden ist – mit dem Modell, das die Indikatortemperatur ermittelt. Und auch die anderen drei Modelle sind besser als vergleichbare oder mindestens genauso gut. Als eines von nur fünf Software-Teams unter 353 Gruppen sind wir zudem noch etwas Besonderes. Und übrigens das einzige Software-Team, das nicht aus China kommt.

Wie geht es jetzt im Wettbewerb weiter?

Michael: Am kommenden Donnerstag, 24. Oktober, geben wir in Golm unsere große Abschlusspräsentation. Da werden wir unsere Ergebnisse vorstellen, hoffen aber vor allem, interessierten Studierenden viel über iGEM erzählen zu können, damit es im nächsten Jahr wieder ein Team aus Potsdam gibt.

Nowack: Am Freitag danach haben wir unser letztes Teamseminar. Auch etwas Besonderes, das wir feiern wollen. Immerhin haben wir uns seit zwölf Monaten jeden Freitag getroffen. Am Dienstag darauf, dem 29. Oktober, brechen elf Mitglieder des Teams nach Boston auf. Da die Kosten für Flug, Anmeldung und Unterkunft unser Budget sprengen, haben wir eine Crowdfunding-Kampagne auf den Weg gebracht. Wir freuen uns über jede Form der Unterstützung. Am 1. November startet in Boston das Giant Jamboree. Wir dürfen unser Projekt am Samstag vorstellen. Am Montag werden die ersten Preise verteilt und die Finalisten bestimmt. Aus allen Standardteams werden sechs fürs Finale ausgewählt. Dort stellen sie dann noch einmal ihre Arbeit vor und anschließend werden drei Gewinner gekürt. Dazu gibt es Preise in jedem Spezialtrack, natürlich auch dem Softwaretrack, in dem wir antreten.

Michael: Den Preis wollen wir natürlich gewinnen!

Wie stehen die Chancen auf den Preis?

Michael: Wir rechnen uns schon Chancen aus.

Nowack: Ich hab mir die Abstracts der anderen angeschaut. Für Vorhersagen ist es aber zu früh. Immerhin macht das Wiki nur die Hälfte der Punktzahl aus. Je ein Viertel der Punkte entfällt auf ein Poster und die Präsentation vor Ort. Aber natürlich träumen wir von dieser Auszeichnung!

Bryan, du hast schon zum zweiten Mal mitgemacht. Warum bist du trotz der enormen Belastungen noch einmal angetreten?

Nowack: 2017 haben wir es nicht geschafft, ein fertiges Ergebnis einzureichen. Dadurch hatten wir auch keine Chance auf eine Nominierung und Medaille. Es besser zu machen, war für mich persönlich ein großer Anreiz. Mindestens ebenso wichtig ist für mich aber: Es ist einfach eine tolle Möglichkeit, sich ein Projekt auszudenken und eigenständig zu forschen. Mir machen auch das Organisieren und das Leiten viel Spaß, die Planung von Laborarbeit und das Miteinander in interdisziplinären Teams. Dafür nehme ich den großen Zeitaufwand gern in Kauf.

Robin, was nimmst du von iGEM mit?

Michael: (Lacht.) Meine Freundin, die habe ich nämlich im iGEM-Team kennengelernt. Und sobald wir aus Boston zurück sind, nehme ich mir mal ein paar Wochenenden frei. Das hatte ich nämlich seit Monaten nicht.

Sind – nach 2017 und 2019 – aller guten Dinge drei? Wollt Ihr auch im nächsten Jahr ein iGEM-Team gründen?

Nowack: 2020 bin ich sicher nicht dabei. Ich schreibe meine Masterarbeit und die hat Vorrang. Aber ich würde mich freuen, wenn es wieder ein Team gibt und es sich etabliert, dass die Universität Potsdam wie andere deutsche Unis konstant ein Team stellt. Und wenn es klappt, werde ich definitiv beraten, wenn das gewünscht wird. Das Wissen, das ich jetzt gesammelt habe, würde ich gern weitergeben. Immerhin haben wir bei unseren beiden Teilnahmen vieles gelernt.

Michael: Ich muss mich auch erst einmal wieder aufs Studium konzentrieren, kann mir aber ebenfalls vorstellen zu beraten. Es wäre toll, wenn in Potsdam eine iGEM-Tradition entstehen und die Teilnahme an einem iGEM-Team innerhalb der Uni noch mehr Akzeptanz genießen würde. Viele Professoren wünschen sich, dass die Studierenden selbstständig lernen und sich in ihrem Studium engagieren. Ich kann sagen: Mit iGEM tun sie das.

Einblicke in das diesjährige Forschungsprojekt des Potsdamer iGEM-Teams gibt es unter: https://2019.igem.org/Team:Potsdam.

Die Abschlusspräsentation findet am kommenden Donnerstag in Golm statt: https://www.uni-potsdam.de/veranstaltungen/detail/event/show/2019-10-24-igem-wenn-studierende-selbststaendig-forschen.html

Weitere Informationen:
https://www.uni-potsdam.de/de/nachrichten/archiv/nachrichtendetail/article/2018-11-19-boston-calling-potsdamer-studierende-nehmen-an-internationalem-biotechnologie-wettbewer.html
https://www.uni-potsdam.de/de/nachrichten/detail-list/article/2019-10-11-potsdamer-studierende-bei-igem-in-boston.html

Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Matthias Zimmermann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde