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„50 Prozent der Gläubigen sind von leitenden Funktionen ausgeschlossen“ – Frauen wollen die katholische Kirche reformieren

Zwar sind in den Gemeinden überwiegend Frauen anzutreffen, doch sind Leitungspositionen in der katholischen Kirche fast ausschließlich mit Männern besetzt. Foto: AdobeStock/Rawpixel.com.
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Zwar sind in den Gemeinden überwiegend Frauen anzutreffen, doch sind Leitungspositionen in der katholischen Kirche fast ausschließlich mit Männern besetzt. Foto: AdobeStock/Rawpixel.com.

Anfang des Jahres entstand in Münster eine Graswurzelbewegung von Frauen, die Reformen in der katholischen Kirche fordert. Die Initiatorinnen prangern vor allem die mangelnde Wertschätzung und Diskriminierung von Frauen in ihrer Kirche an und fordern grundlegende Veränderungen. Ihren Forderungen verliehen sie im Mai 2019 mit einem einwöchigen Streik Nachdruck, bei dem sie alle ehrenamtlichen Tätigkeiten niederlegten. Über die Ursachen, Ziele und Aussichten der Bewegung „Maria 2.0“ sprach Heike Kampe mit dem Religionswissenschaftler Prof. Dr. Johann Ev. Hafner.

Herr Professor Hafner, „Maria 2.0“ ist eine Protestbewegung in der katholischen Kirche, die Frauen initiiert haben. Überrascht es Sie, dass die Katholikinnen lautstark Änderungen fordern?

Schon seit Jahren ist sichtbar, dass die Gemeinden auf der besuchenden und hörenden Seite überwiegend aus Frauen bestehen und auf der sprechenden Seite – den Priestern, Bischöfen und Diakonen – aus Männern. Die Leitungspositionen sind fast ausschließlich mit Männern besetzt. Dass die Frauen, die oft dieselbe Ausbildung haben, sich dagegen erheben, ist überhaupt nicht überraschend.

Die Aktivistinnen fordern unter anderem den „Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche“. Warum verweigert die katholische Kirche ihnen diese Möglichkeit?

Es gibt verschiedene Argumentationsstränge, die immer wieder bemüht werden. Jesus von Nazareth hat als Symbol- und Repräsentationsgremium eine Gruppe aus zwölf Männern ausgewählt. Wenn der Gründer der Kirche und der Sohn Gottes diese Entscheidung getroffen hat, dann obliege es nicht der Kirche, dies zu ändern. Die Kirche habe keine Möglichkeit, Frauen zu weihen. Das ist das Hauptargument. Das zweite Argument lautet, dass es Gott gefallen hat, als Mann Mensch zu werden und als eheloser Prediger durch Galiläa zu ziehen. Drittens hat es historisch gesehen nie Frauen in den Kirchenämtern gegeben. Im 19. Jahrhundert kam ein viertes Argument hinzu, das aus der Geschlechtermetaphysik stammt und die Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Wesen betont. Und zuletzt gibt es in der Weltkirche eine Solidarität. Die einzelnen Bistümer können nicht selbstständig wichtige Entscheidungen treffen. So entsteht eine Trägheit der Institution.

Warum ist das in der evangelischen Kirche anders?

Die evangelischen Landeskirchen können selbst über ihre Grundordnung entscheiden. Zudem ist das Leitungsamt dort funktionaler Art. Das Evangelium zu verkünden und die Sakramente zu verwalten sind die zwei Hauptaufgaben. Wer das tun kann, der soll es tun und in einer Ordination dazu bestellt werden – egal ob Mann oder Frau. Hierfür ist keine Weihe, kein Sakrament, wie in der katholischen Kirche notwendig. Die Priesterweihe hat eine ganz starke realsymbolische Bedeutung. Man muss aber dazu sagen, dass in der evangelischen Kirche Frauen auch erst seit etwa 50 Jahren ordiniert werden und damit führende Ämter übernehmen können.

Wie schätzen Sie die Chancen der Bewegung ein, Forderungen wie die Aufhebung des Zölibats oder die Priesterweihe für Frauen tatsächlich durchzusetzen?

Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die Aufhebung des Zölibats ist eine leichte Sache. Er ist eine rechtliche Bedingung, an die man die Weihe knüpft. Der Papst könnte mit einem Federstrich den Zölibat abschaffen. Es gibt auch heute schon viele Ausnahmeregelungen. Das Frauenpriestertum ist hier das dickere Brett und seine Verweigerung meines Erachtens auch der größere Skandal. Entscheidet sich ein erwachsener Mann für das Priestertum und damit für die Ehelosigkeit, ist das eine verbindliche, seine bewusste Entscheidung. Aber eine Frau kann sich gar nicht entscheiden. Sie wird als Person gar nicht weihbar angesehen. Und das ist der Skandal. Man schließt die Hälfte der Menschheit wegen eines Y-Chromosoms vom Priesteramt aus und damit auch von leitenden Funktionen und von Macht.

Wie steht eigentlich die Basis der Gläubigen zu „Maria 2.0“?

Das ist ganz unterschiedlich. In Deutschland finden etwa 75 Prozent der Katholiken, dass es verheiratete Priester geben sollte, aber nur rund zehn Prozent halten die Weihe von Frauen für die wichtigste Änderung. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken will zusammen mit den Bischöfen diese Fragen im kommenden Jahr neu und offen debattieren. In der afrikanischen oder philippinischen Kirche ist das anders. Dort ist es noch undenkbar, dass Frauen in leitende Funktionen gelangen.

Wären nicht auch angesichts des anhaltenden Mitgliederschwunds in der Kirche Reformen wie sie „Maria 2.0“ fordert, notwendig?

Aus Gründen der Gerechtigkeit wäre die Kirche gut beraten, das zu tun. Aber nicht aus Gründen des Mitgliederbestands. Wenn es so wäre, dass Zölibat oder Frauenpriestertum eine Rolle spielen, müsste die evangelische Kirche weniger Mitglieder verlieren als die katholische. Aber das ist nicht so. Bei beiden Kirchen haben sich die Austritte auf hohem Niveau eingependelt. Innerhalb der Kirche würde es aber sehr wohl einen Unterschied in der Stimmungslage geben. Frauen würden sich mehr wertgeschätzt fühlen, es würde einen Schub an Kreativität, neuen Formen und neuer Sprache geben.

Inwiefern?

Sie bringen andere Lebenserfahrungen ein.

Sie sind selbst Katholik, was sagen Sie persönlich zu der Protestbewegung?

Ich finde die Bewegung extrem wichtig und wünsche ihr, dass sie noch weiterwächst, auch in anderen Ländern. Zwar rechne ich nicht mit einer baldigen Änderung, sehe aber, dass die bisherigen Argumente gegen eine Frauenordination zu schwach sind. Unter den Herkunftsmerkmalen Jesu von Nazareths ist das theologisch Bedeutsame nicht, dass er ein Mann oder „Sohn eines Zimmermanns“ war. Selbst das Judesein Jesu hat nicht dazu geführt, dass Autorität nur an Nachfolger mit jüdischer Abstammung weitergegeben wurde. Das Christentum ist ja gerade mit dem Anspruch angetreten, ethnische, ständische und geschlechtliche Unterschiede aufzuheben. Die Gemeinden müssen mit gutem Leitungspersonal besetzt werden, was beim katholischen Priestermangel nicht mehr möglich ist. Wo es keinen eigenen Priester mehr gibt, nimmt die Gottesdienstfrequenz ab. Es ist wichtiger, diesen Notstand zu beheben, als an Traditionen festzuhalten.

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal 2/2019.

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Jana Scholz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde