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Asyl und Integration – Wie sich die Migrationsverwaltung seit 2015 verändert hat

2016 stellten 722.000 Menschen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylerstantrag – für die Bundesbehörde eine personelle Herausforderung. Foto: Fotolia/StockPhotoPro
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2016 stellten 722.000 Menschen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylerstantrag – für die Bundesbehörde eine personelle Herausforderung. Foto: Fotolia/StockPhotoPro

Für ihre Publikation zur Migrationsverwaltung in der Flüchtlingskrise erhielten die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Sabine Kuhlmann und Moritz Heuberger im Mai 2019 den Wissenschaftspreis Bürokratie. Zusammen mit den vier anderen Autorinnen und Autoren der Studie leisteten die Forschenden laut Jury einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Verwaltungsproblemen. Die Wissenschaftlergruppe kritisiert in ihrer Publikation insbesondere die teils wenig funktionale Verteilung von Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie die mangelnde Kommunikation zwischen den verschiedenen Behörden. Zugleich entwickelten sie Reformvorschläge.

Frau Professor Kuhlmann, Herr Heuberger, 2016 haben so viele Menschen einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt wie nie zuvor in der Geschichte des BAMF. Vor welche Probleme stellt das die Behörde?

Kuhlmann: Trotz aller Bemühungen lässt sich eine mangelnde Qualität der Aufgabenwahrnehmung im BAMF, insbesondere bei der Bearbeitung von Asylanträgen, beobachten. Grund ist einerseits die unzureichende personelle Ausstattung angesichts der enormen Zahl der Anträge in den Jahren 2015 bis 2017, die mit Defiziten in der Qualifizierung der (Neu-)Beschäftigten einhergeht. Andererseits sind entsprechende Vorgaben von der Hausspitze problematisch, die auf Quantität statt Qualität setzten. Darüber hinaus waren die Verwaltungsprozesse im Bereich der Asylantragsbearbeitung innerhalb des BAMF nicht funktional organisiert, was Anpassungen nötig machte. Die unterschiedlichen Entscheidungskulturen und Bewilligungsquoten in verschiedenen Außenstellen der Behörde stellen ebenfalls eine Herausforderung dar. Dazu kommt, dass der Informationsaustausch zwischen den Ebenen an vielen Stellen mangelhaft ist. Als Bundesoberbehörde muss das BAMF mit kommunalen Behörden, wie Ausländer-, Sozial- und Meldeämtern, sowie mit Landesbehörden Informationen austauschen, was oft noch in Papierform geschieht. Dies bringt zeitliche Verzögerungen, Mehrfacherfassungen und anderes mehr mit sich. Aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht ist es außerdem schwierig, dass sich das BAMF als Reaktion auf die Krise einen enormen „Unterbau“ an Außenstellen geschaffen hat. Das ist unüblich für unsere verwaltungsföderale Aufgabenorganisation.

In Ihrer Studie bezeichnen Sie das BAMF als „Bundesintegrationsagentur“. Inwiefern haben sich die Aufgaben und Funktionen der Behörde verändert?

Heuberger: Die Studie spricht sich dagegen aus, dass sich das BAMF weiter in Richtung einer Bundesintegrationsagentur entwickelt, weil Integrationsaufgaben auf der kommunalen Ebene besser aufgehoben sind. Das BAMF ist für die Umsetzung der beiden Sprachförderangebote, Integrationskurse und berufsbezogene Deutschsprachförderung, verantwortlich. Dazu gehört die Entwicklung der Grundstruktur und der Lerninhalte, die Qualitätssicherung, die Finanzierung und die Steuerung der Integrationskurse: also die Kursgröße, Kursauswahl, Anforderungen an Lehrkräfte, Fahrkostenerstattung, Träger- und Lehrkräftezulassung sowie die Träger- und Kursüberprüfung. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des individuellen Integrationsprozesses ist es fraglich, wie sinnvoll eine durch das BAMF vorgenommene zentrale Zuweisung zu Integrationskursen ist. Denn es sind weit mehr Umstände für den erfolgreichen Abschluss eines Integrationskurses von Bedeutung als das reine Ergebnis eines Sprachtests: zum Beispiel die Sicherstellung von Kinderbetreuung, die Vereinbarkeit des Sprachkurses mit anderen sozialintegrativen Leistungen oder Fahrwege. Dies kann aber allein die kommunale Ebene berücksichtigen und sicherstellen. Zudem mag eine besonders schnelle Teilnahme am Integrationskurs durch eine zentrale Zuweisung nicht immer der Schlüssel zum Erfolg sein. Die Geflüchteten müssen zunächst ankommen und sich etwa um den Schulbesuch der Kinder  oder  um eine neue Unterkunft kümmern müssen.

Was können und wollen die Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migrantinnen und Migranten leisten?

Kuhlmann: Ganz konkret stellt sich für viele Städte, Kreise und Gemeinden die Frage, wie die Querschnittsaufgabe Integration sinnvollerweise in ihre Verwaltungsstrukturen eingebunden werden kann. Ein integriertes Amt hilft hier vielerorts. Es führt alle Verantwortungsbereiche beziehungsweise Aufgaben zusammen. Diese integrierte Verwaltungseinheit schafft vor allem klare Verantwortlichkeiten und beugt Ressortegoismen vor, solange das Amt oder der Fachbereich der einzige wirkungsmächtige Akteur in diesem Handlungsfeld ist. Außerdem würden Transaktionskosten zwischen den arbeitsteiligen Untereinheiten verringert und die Verhandlungsmacht gegenüber Verwaltung und Politik erhöht. Die Einrichtung solch eines Amtes kann sich jedoch aufgrund der notwendigen Verschiebungen von Kompetenzen schwierig gestalten. Außerdem müssen die jeweiligen Aufgaben hinsichtlich rechtlicher Restriktionen überprüft werden. Ein Beispiel für eine derartige Verwaltungsorganisation ist die sogenannte One-Stop-Agency, zu denen Bürgerämter bzw. Bürgerbüros zählen.

Wofür dient das Ausländerzentralregister? Welchen Beitrag kann es künftig als „Datendrehscheibe“ leisten?

Heuberger: Das Ausländerzentralregister (AZR) ist eine Datenbank, die als zentrale Schnittstelle für den Datenaustausch zwischen Behörden im Bereich Migrationsmanagement eingerichtet wurde. Im Februar 2016 wurde das AZR zum Kerndatensystem für das Flüchtlingsmanagement ausgebaut – durch eine Erweiterung der Datengrundlage. Damit wurde auch der Grundstein gelegt, um das AZR nicht, wie ursprünglich geplant, ausschließlich zum Austausch von aufenthaltsrechtlichen Informationen zu nutzen, sondern darüber hinaus den Weg hin zu einer Integrationsdatenbank zu ebnen. Eigentlich sollten Behörden die Informationen, die sie über Asylsuchende haben, über das AZR miteinander austauschen und dort zentral speichern. Leider können sich die beteiligten Behörden aber nicht auf die Aktualität der Daten im AZR verlassen, was dazu führt, dass oft parallel am System vorbei gearbeitet wird. Hier ist mehr Verbindlichkeit, technische Verbesserung und Durchsetzung der bestehenden Regeln gefragt. Auch die Zuordnung einer Person zu einer eindeutigen Identifikationsnummer im Austausch der Behörden würde dazu beitragen, die Koordination zu verbessern.

Mit den sprunghaft gestiegenen Zahlen Asyl suchender Menschen ist seit 2015 auch die Zahl der Verfahren an den Verwaltungsgerichten gestiegen – von 56.000 Entscheidungen 2015 auf 147.000 im Jahr 2017. Wie gehen die Gerichte damit um?

Kuhlmann: Dieser Anstieg führte dazu, dass das Asylrecht in den letzten Jahren zahlenmäßig das mit Abstand bedeutendste Sachgebiet vor deutschen Verwaltungsgerichten geworden ist. Grund für die hohe Anzahl der Verfahren ist auch die ungewöhnlich hohe Klagequote gegen Bescheide des BAMF. So wurden im Jahr 2017 (Stand: 15. Februar 2018) 49,8 Prozent aller Asylbescheide des BAMF beklagt, von den ablehnenden (Ablehnung oder formelle Entscheidung) gar 73,4%. Wegen dieser Zahlen wird teilweise vom Rechtsschutz als der „Achillesferse der Migrationspolitik“ gesprochen. Die fehlende Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts führt dazu, dass die Rechtsprechung zersplittert ist. Denn auch in vom Einzelfall unabhängigen, fallübergreifenden Fragen ist bisher keine Vereinheitlichung durch höchstrichterliche Rechtsprechung möglich. Das heißt: Gleiche Einzelschicksale führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welches Oberverwaltungsgericht entscheidet.

Text: Jana Scholz
Online gestellt: Jana Scholz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde