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Signale im Sekundentakt – Astrophysiker entwickeln ein Teleskop-Alarmsystem für ein ganz neues Gammastrahlenobservatorium: das CTA

Künstlerische Darstellung des aktiven Galaxiekerns. Das supermassive Schwarze Loch im Zentrum der Akkretionsscheibe schickt einen energiereichen, scharf gebündelten Teilchenstrahl senkrecht ins All. Grafik: DESY Science Communication Lab.
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Künstlerische Darstellung des aktiven Galaxiekerns. Das supermassive Schwarze Loch im Zentrum der Akkretionsscheibe schickt einen energiereichen, scharf gebündelten Teilchenstrahl senkrecht ins All. Grafik: DESY Science Communication Lab.

Es ist ein Schritt in eine neue Dimension. Die Suche nach zeitlich veränderlichen Phänomenen im Weltall ist in vollem Gange. Mit ihr die Suche nach kosmischen Quellen energiereicher Gammastrahlung. Wissenschaftler haben hierfür bereits explodierende Sterne, Schwarze Löcher und Pulsare ausgemacht. Doch sie sind sich sicher: Es gibt weit mehr. Das Universum ist voll von extremen Teilchenbeschleunigern, die Gammastrahlen – und weitere Phänomene – erzeugen. Bislang weiß die Wissenschaft allerdings nur wenig darüber, wie genau diese Prozesse, in denen geladene Teilchen auf höchste Energien kommen, funktionieren und in welchem Zeitraum dies erfolgt. Abhilfe soll ein neues Observatorium schaffen, das Cherenkov Teleskope Array, kurz CTA. Es wird von zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen vorbereitet, darunter der Universität Potsdam.

Mit bloßem Auge sieht man sie nicht, die energiereichen Teilchen, die auf unsere Erde herniederprasseln. Doch es gibt sie, millionenfach, überall, in unserer Milchstraße und darüber hinaus. Sie machen sich unter anderem durch Gammastrahlen bemerkbar. Diese lassen sich sogar mit Teleskopen messen, wenn auch nur indirekt. Denn Gammastrahlen können die Lufthülle unseres Planeten nicht durchdringen. Wenn sie aber auf die Erdatmosphäre treffen und mit Atomen und Molekülen kollidieren, produzieren sie Teilchenschauer, die mit bestimmten Detektoren untersucht werden können. CTA wird künftig dazu gehören. „Das Observatorium wird uns den Kosmos mit nie dagewesener Präzision erschließen“, sagt Dr. Kathrin Egberts, Leiterin der Arbeitsgruppe „Experimentelle Astroteilchenphysik“ an der Universität Potsdam. Ihr Team ist an dem Großprojekt, an dem rund 1.400 Wissenschaftler und Ingenieure in 30 Ländern arbeiten, beteiligt. Mehr als 100 Teleskope dreier unterschiedlicher Typen sollen in den nächsten Jahren am Cerro Paranal (Chile) und auf der Kanareninsel La Palma errichtet und mindestens zwei Jahrzehnte betrieben werden. „Ein erstes steht inzwischen auf der Nordhalbkugel“, berichtet Egberts. Mit ihrer Arbeitsgruppe hat sie sich lange auf den wissenschaftlichen Betrieb des H.E.S.S.-Experiments (siehe Kasten S. 43) konzentriert. „Wir haben hier Technologien entwickelt, die wir nun auch für CTA nutzen können“, erklärt die Physikerin. Ihre besondere Expertise, automatische Warnsysteme für Teleskope zu entwickeln, sollen sie nun auch beim CTA einbringen. Im Mittelpunkt stehen Kriterien, nach denen die Teleskope von allein umschalten können, um in andere Bereiche des Kosmos zu schauen, in denen gerade für die Wissenschaft interessante Ereignisse passieren.

Eine erprobte Technologie wird flexibler

„Unser Alarmsystem, das wir für H.E.S.S. ‚gebaut‘ haben, bildet eine gute Grundlage für das, was wir jetzt vorhaben“, sagt Kathrin Egberts Kollege Clemens Hoischen. „Eins zu eins übertragen können wir es aber nicht.“ Das Problem: CTA ist ein Observatorium, nicht rein experimentell ausgerichtet wie H.E.S.S. Ein System für CTA unterliegt daher höheren Professionalitätsstandards. Dazu gehören eine leichtere Konfigurierbarkeit und eine erweiterte Flexibilität. Auch Aspekte wie die Überwachung des stabilen Betriebs des autonom agierenden Systems sowie eine Umgebung, in der die Reaktionen auf Alarme simuliert werden können, müssen ausgebaut werden. Eine große Herausforderung. „Wir durchlaufen gegenwärtig eine sehr kritisch gehandhabte Design-Phase. Es geht viel um Architekturen“, konstatiert Hoischen.

Das neue System kann künftig – wie sein Vorgänger – Alarme empfangen, verarbeiten und senden. Bei den ankommenden Parametern handelt es sich zum Beispiel um Positionsangaben eines aktuellen Ereignisses, aber auch um Informationen über die Messgrößen der liefernden Teleskope. Letztere bilden die Grundlage für die Entscheidung, ob auf das jeweilige Phänomen umgeschaltet werden soll oder nicht. Dass das überhaupt möglich ist, soll eine Prozessierungs-Pipeline sichern. Ihr kommt eine zentrale Rolle in der gesamten Technologie zu. In der Pipeline werden sehr komplexe Prozessschritte durchgeführt: Alarme priorisiert, Himmelskarten verglichen, optimale Beobachtungspositionen berechnet. Im Ergebnis gelangt der Alarm an das zentrale Datennahmesystem, das schließlich die Beobachtung organisiert.

Das ist viel Theorie. Bevor diese in der Praxis umgesetzt werden kann, haben die Wissenschaftler des gesamten Projekts noch viel Detailarbeit vor sich. Denn sie müssen die CTA-Schlüsselsysteme kombinieren und die grundlegenden Kriterien für das Wissenschaftsprogramm definieren. „An dem Punkt befinden wir uns derzeit“, beschreibt Hoischen die Situation. Mit welchen anderen Komponenten muss das Alarmsystem verbunden sein? Auf welche Alarme will man unter welchen Voraussetzungen reagieren? Und was passiert, wenn mehrere davon zugleich eintreffen? Fragen über Fragen, die es noch zu klären gilt. Ziemlich klar ist dagegen, was das CTA-Alarmsystem an die mit ihm verbundenen Experimente weitergeben kann: das, was die eigenen Teleskope entdecken. Die Systeme, die in anderen Wellenlängenbereichen suchen, können sich dann darauf fokussieren. „Möglich ist auch, ‚Befunde‘ mitzuteilen. Man zitiert den originalen Alarm und das Ergebnis“, erläutert Hoischen. „Das wird in der Community schon gemacht und ist sinnvoll, um Partnern die Entscheidung zu erleichtern, ob nochmals auf das Ereignis gelenkt werden soll oder nicht.“

Hoischen mahnt derweil zur Eile. „Wir müssen endlich aus der Planungsphase herauskommen und ein Prototypsystem erarbeiten“, sagt er. „Es sollte zeigen, dass es all das kann, was CTA verlangt.“ Doch noch sind wichtige Schnittstellen nicht ausreichend festgelegt, Zuständigkeiten ungeklärt. Am Ende entscheidet ein Übergabeprozess darüber, ob das Potsdamer System übernommen wird oder nicht.

Alarmsysteme nehmen in der Astrophysik zu

Alarmsysteme sind in der Welt der beobachtenden Astronomie nicht neu. Allerdings verzeichnen Experten einen steigenden Bedarf in der astrophysikalischen Forschung. Die Systeme können im engen Rhythmus Tausende Signale pro Nacht erhalten bzw. senden, was eine effiziente Auswahl und Verarbeitung erforderlich macht. Schon früher wurde gefiltert, nun jedoch auf höherem Niveau. Die neuen technologischen Möglichkeiten bieten hierfür differenzierte Lösungen. Weltweit existiert schon jetzt eine große Community, die mithilfe von Warnsystemen in kürzester Zeit Phänomene nachverfolgt. Dass Alarmsysteme überhaupt existieren, geht übrigens auf eine einfache Tatsache zurück: H.E.S.S.-, aber auch die geplanten CTA-Teleskope besitzen begrenzte Gesichtsfelder, im Durchmesser ungefähr in der Größe von zehn vollen Monden. Die Systeme sind deshalb darauf angewiesen, Informationen von Weitwinkelinstrumenten zu erhalten, die einen größeren Bereich am Himmel erfassen. So können sie Ereignisse in den Blick nehmen, die ihnen sonst verborgen blieben.

H.E.S.S. lässt die Erwartungen an CTA steigen

Auf den Cherenkov-Teleskopen von CTA ruhen große Hoffnungen. Weit zahlreicher als jene fünf bei H.E.S.S. eingesetzten und überdies auf beiden Seiten der Erdkugel verteilt, könnten sie tatsächlich bahnbrechend in der Weltraumforschung sein. Immerhin hatte bereits das vergleichsweise kleine H.E.S.S. mit seinem integrierten Alarmsystem unter Beweis gestellt, zu welchen Beobachtungen moderne Systeme heute in der Lage sind. So reagierten dessen Gamma-Teleskope schnell, als sie 2017 alarmiert wurden, dass zwei Neutronensterne verschmelzen. Sie hatten sogar die entscheidende Stelle am Himmel als erstes bodengebundenes Instrument im Sichtfeld, allerdings ohne eine Gammaquelle zu entdecken. Dennoch war dies ein wichtiger Baustein in der wohl größten Beobachtungskampagne der modernen Astronomie. Für ähnlich viel Aufmerksamkeit in der Community sorgte kurz darauf die Messung eines Neutrinos aus der Richtung einer bekannten Gamma-Quelle. Wieder erhielt auch H.E.S.S. einen Alarm – und überwachte, wie alle anderen Cherenkov-Teleskope, das Objekt wochenlang, um sein Verhalten genauer zu studieren. „Die Ergebnisse der weltweiten Untersuchungen fanden in zahlreichen Publikationen und Veranstaltungen ihren Niederschlag, was nicht zuletzt das wachsende Interesse an Beobachtungen in der Zeitdomäne widerspiegelt“, betont Hoischen. „Systeme wie das, was wir hier in Potsdam erarbeiten wollen, machen diese Beobachtungen erst möglich.“

Das High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) ist eines der drei wichtigsten Projekte der Gammastrahlen-Astronomie der Gegenwart, neben MAGIC und VERITAS. Es wurde 2002 in Betrieb genommen und befindet sich in Namibia. H.E.S.S. besteht aus insgesamt fünf Cherenkov-Teleskopen, mit denen kosmische Gammastrahlung im Energiebereich von 30 GeV bis 100 TeV gemessen wird. Die große Leistung der drei Experimente besteht darin, gezeigt zu haben, dass es eine Vielzahl von verschiedenen Gammastrahlen-Quellen gibt. Insgesamt sind bereits mehr als 200 detektiert, doch die Forscher sind überzeugt, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Um auch deutlich schwächere Quellen entdecken und im Detail studieren zu können, brauchen sie CTA, für das sich Experten aus allen drei Experimenten zusammengeschlossen haben.

Die Wissenschaftler

Dr. Kathrin Egberts studierte Physik an der Universität Heidelberg, wo sie 2009 auch promovierte. Sie ist seit 2013 Leiterin der Arbeitsgruppe „Experimentelle Astroteilchenphysik“ an der Universität Potsdam.

E-Mail: kathrin.egbertsuni-potsdamde


Dr. Clemens Hoischen studierte Physik an der RWTH Aachen und promovierte 2018 an der Universität Potsdam. Hoischen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe „Experimentelle Astroteilchenphysik“.

E-Mail: clemens.hoischenuni-potsdamde


Die Gammastrahlenastronomie konzentriert sich auf hochenergetische Prozesse, die in der Natur ablaufen. Die Maßeinheit ist Elektronenvolt. Die Quellen im Weltall, die wir mit der Gammastrahlung sehen, können Teilchen weit stärker beschleunigen, als dies etwa im größten Teilchenbeschleuniger der Erde, dem Large Hadron Collider am europäischen Beschleunigungszentrum CERN bei Genf, der Fall ist. Die Protonen hier kommen höchstens auf 6,5 Teraelektronenvolt. Wissenschaftler messen aktuell jedoch mit ihren Instrumenten Teilchen von 100 Teraelektronenvolt und mehr, die die Erdatmosphäre erreichen. Die zentrale Frage der Forschung ist es deshalb, wie die Natur das macht. Antworten soll die Gammastrahlenastronomie finden.


CTA ist die Abkürzung für Cherenkov Telescope Array, ein Observatorium der Gammastrahlenastronomie. Die Methodik dieses Observatoriums beruht auf dem Umstand, dass Gammastrahlen, wenn sie auf die Erdatmosphäre treffen, Teilchenschauer produzieren. Diese Teilchenschauer wiederum emittieren Cherenkov-Strahlung, kurze Licht-Blitze, die mit den Teleskopen gemessen werden. Aus den Daten können die Energie, aber auch die Richtung der ankommenden Gammateilchen bestimmt werden. Weil keine kosmischen Magnetfelder die elektrisch neutralen Himmelsboten ablenken, führt ihre Ankunftsrichtung direkt zu den Quellen. Das CTA-Observatorium wird in den kommenden zwei Jahrzehnten das wichtigste Beobachtungsinstrument der Gammaastronomie bei sehr hohen Energien sein. Für die Projektierung und den Bau ist ein großes internationales Konsortium verantwortlich. Eine zentrale Rolle beim geplanten Observatorium wird auch das DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Zeuthen spielen, mit dem die Universität Potsdam kooperiert und durch mehrere gemeinsame Berufungen verbunden ist. Hier soll ein Teil des Vorhabens zukünftig im Science Data Management Centre koordiniert werden.

Das Projekt

Entwicklung eines Alarmsystems für CTA
Dauer: 2017–2020
Finanzierung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Text: Petra Görlich
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde