Vor Jahrmillionen sorgten Flüsse und Meere dafür, dass sich in geologischen Becken Sedimentschichten bildeten. Einige dieser Schichten verschwanden unter weiteren Ablagerungen, andere wurden durch durch Gebirgsfaltungen nach oben gehoben. Untersuchungen in einem Sedimentbecken in den Anden sollen nun neue Erkenntnisse darüber liefern, welche geologischen Prozesse dabei wirkten.
Wenn Wera Schmidt sich auf den Weg zur Arbeit macht, darf sie drei Dinge nicht vergessen: Sonnencreme, einen Kompass und den Geologenhammer. Die 29-jährige Geowissenschaftlerin ist für ihre Feldforschungen regelmäßig im Nordwesten Argentiniens unterwegs, in den Anden der Region Jujuy. Im März und April 2017 hat sie fünf Wochen hier verbracht, gerade erst ist sie zurückgekehrt. Dort oben, auf mehr als 4000 Metern Höhe, erkennt sie mit geübtem Auge, wonach sie sucht: bräunliche Gesteine mit rundlichen Ausformungen, die eher unscheinbar wirken. Mit dem Hammer nimmt sie eine Probe, mit einer Lupe überprüft sie die makroskopischen Eigenschaften. Die Gesteine sind alles andere als unspektakulär: Es sind sogenannte Stromatolithe, Versteinerungen uralter Kolonien von Mikroorganismen. Sie existieren seit 3,7 Milliarden Jahren und sind damit die ältesten sauerstoffproduzierenden Lebewesen der Erde. Jene, die Wera Schmidt in Argentinien findet, sind 65 Millionen Jahre alt.
Gesteinsstrukturen geben Einblicke in geologische Prozesse
Das Gebiet, in dem sich die Geologin bewegt, besteht aus Gesteinsformationen, die sich vor Jahrmillionen gebildet haben. Es gehört zum Salta-Becken, das sich im Nordwesten Argentiniens über mehrere Hundert Quadratkilometer ausdehnt. Tres Cruces – Drei Kreuze – heißt das Teilbecken in Argentinien. Die ältesten Ablagerungen hier stammen aus einer Zeit, in der noch Dinosaurier auf der Erde lebten. Dort, wo sich heute die Berge der Anden in die Höhe heben, war damals eine flache, von Wasser bedeckte Ebene. „Es ist unklar, ob es hier ein Meer mit Salzwasser oder einen großen Süßwassersee gab“, erklärt Maria Mutti, Professorin für Sedimentologie und Betreuerin des Projekts.
Dies herauszufinden, ist eines der Ziele von Wera Schmidt, die innerhalb des Graduiertenkollegs „StRATEGy“ promoviert. Wo befinden sich die Gesteinsformationen, für die sie sich interessiert? Welche Ausmaße haben sie? Welche Gesteinsarten kommen vor und welche Faktoren haben dazu geführt, dass sich diese ablagerten? Die Untersuchungen, die Antworten auf diese Fragen geben, seien ein bisschen wie „Sherlock-Holmes-Arbeit“, sagt Schmidt.
Einen Teil der beprobten Gesteine analysiert die junge Nachwuchswissenschaftlerin in einem Labor in Brasilien, einen weiteren Teil nimmt sie mit nach Potsdam. Im vergangenen Jahr waren es 60 Kilogramm. „Jedes Gestein hat bestimmte Ablagerungsbedingungen“, erklärt die Doktorandin. Im Labor durchlaufen die Proben verschiedene chemische Analysen, werden in hauchdünne Scheiben geschnitten und unter dem Mikroskop mikrometergenau analysiert. Die Geowissenschaftler bestimmen, wie alt die einzelnen Gesteinsformen sind, welche Strukturen darin vorkommen und welche Rückschlüsse auf Umwelt- und Klimafaktoren sich daraus ergeben. Zudem erstellen sie ein 3D-Modell der Sedimentationsschichten im Becken, das sie zuvor mit einem GPS-Sender vermessen haben. Letztlich soll im Modell sogar der zeitliche Ablauf der Ablagerungen erkennbar sein.
Die Arbeit im Hochgebirge erfordert körperliche Fitness – und gute Vorbereitung
Zum Team von Wera Schmidt und Maria Mutti gehören auch zwei Wissenschaftlerinnen aus Argentinien, Prof. Dr. Claudia Galli und Prof. Dr. Beatriz Coira. Zu viert sind die Forscherinnen mit dem Geländewagen durchs Gebirge gefahren, haben das Areal begutachtet, über die anstehenden Arbeiten beraten. Ein Frauenteam, eine Seltenheit im Wissenschaftsbetrieb.
Im Hochgebirge müssen die Wissenschaftlerinnen stets einen Blick auf das Wetter werfen – zur eigenen Sicherheit. „In diesem Jahr gab es wegen des Küsten-El Niños auf der Pazifikseite Südamerikas eine Sturmfront nach der anderen“, beschreibt Wera Schmidt die Gefahr. Kirschgroße Hagelkörner seien niedergegangen, es habe Erdrutsche, Gerölllawinen und Materialschäden gegeben. „Keiner möchte dann im Feld sein.“ Auch körperliche Fitness brauche man. Schließlich gelte es, Steilhänge zu erklimmen und mit der dünnen Höhenluft, die für Kopfschmerzen, nächtliche Albträume und einen kurzen Atem sorgt, klarzukommen.
Während ihrer Untersuchungen lebt Wera Schmidt wochen- und monatelang vor Ort. „Vergessen Sie alles, was Sie über Argentinien zu wissen meinen“, sagt sie lachend. Unter einfachsten Bedingungen wohnt sie abwechselnd in einem kleinen, alten Hotel auf dem Land oder in einer Unterkunft für Bergarbeiter in einem Minendorf. „Es gibt keinen Rotwein, keinen Tango und kein Rindersteak.“ Dafür aber einen Einblick in das Leben der indigenen Bevölkerung, das von Spiritualität und dem Rhythmus der Jahreszeiten geprägt ist. Und Natureindrücke, die den fehlenden Komfort wettmachen und um die sie manch einer beneiden dürfte.
Spannend wurde es für die Forscherinnen bereits, als sie in ihren Gesteinsproben unter dem Mikroskop Ooide entdeckten – kleine kugelige Strukturen aus Calcit. Dass diese zusammen mit besagten Stromatolithen vorkommen, ist äußerst selten. „Eine außergewöhnliche, überraschende Konstellation“, die die Geologinnen neugierig auf die weiteren Ergebnisse macht, erklärt Maria Mutti. Interessant können die Erkenntnisse möglicherweise auch für die Wirtschaft sein. In Brasilien wurden unter ähnlichen Ablagerungen, wie sie im argentinischen Becken zu finden sind, große Erdölvorkommen entdeckt – durch Zufall.
Die Wissenschaftler
Prof. Dr. Maria Mutti studierte Erdwissenschaften an den Universitäten Bologna und Mailand (Italien) und Geologie an der University of Wisconsin (USA). Seit 2002 ist sie Professorin an der Universität Potsdam. Ihr Spezialgebiet sind Kalke.
Universität Potsdam
Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
maria.muttiugeo.uni-potsdampde
Wera Schmidt, M.Sc. studierte Geowissenschaften an der Universität Bochum. Seit 2015 ist sie Doktorandin im internationalen Graduiertenkolleg StRATEGy an der Universität Potsdam.
wera.schmidtugeo.uni-potsdampde
Das Projekt
StRATEGy (SuRfAce processes, Tectonics and Georesources: The Andean foreland basin of Argentina) ist ein deutsch-argentinisches Graduiertenkolleg, das die Bildungsprozesse von Lagerstätten in Argentinien erforscht.
Beteiligt: Universität Potsdam, Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), University consortium of Buenos Aires, University consortium of Salta – Jujuy – Tucumán
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas (CONICET)
Laufzeit: 2015–2018
http://www.irtg-strategy.de/index/
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin "Portal Wissen".