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„Verfolgt und verbrannt“ – Uraufführung eines Liederzyklus über Mexikos geheime Juden

Historiker haben sie in den Akten der Spanischen Inquisition gefunden: Briefe, Gedichte und ein religiöses Testament von Luis de Carvajal dem Jüngeren, der 1596 in Mexiko als „rückfälliger Judaisierer“ hingerichtet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Diese seltenen Selbstzeugnisse von seelischer Not und religiöser Verfolgung inspirierten den argentinisch-spanischen Komponisten Osias Wilenski zu einem Liederzyklus, der am 29. Oktober in der Potsdamer Schinkelhalle und danach in Konstanz uraufgeführt wird. Mitinitiatorin des Projekts ist die Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Sina Rauschenbach.

Was Historiker über die Opfer der Spanischen Inquisition zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert sagen können, beruht zumeist auf Verhör- und Folterprotokollen. „Umso kostbarer sind Aufzeichnungen wie die des Luis de Carvajal, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Spanien geboren wurde“, sagt Sina Rauschenbach. Die Professorin beschäftigt sich am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft unter anderem mit den Lebens- und Denkwelten von Kryptojuden in der frühneuzeitlichen iberischen Welt. Die Texte Carvajals sind hierbei ein unverzichtbarer Quell.

Berührende Texte zeugen von Angst und Bedrohung
Als Nachfahre einer jüdischen Familie, die zwangsweise zum Christentum konvertieren musste, im Geheimen aber ihren Glauben lebte, wurde Luis de Carvajal zeitlebens von der Inquisition bedroht. Auch als er mit Mutter und Geschwistern einem Verwandten nach Amerika, ins heutige Mexiko, folgte, war die Gefahr nicht gebannt. Obwohl es dort nur zwei Inquisitionstribunale gab, dauerte es nicht lange und die Familie wurde denunziert. Sie bekannte sich schuldig und kam vorerst mit dem Leben davon. Eine zweite Festnahme aber – fünf Jahre später – endete mit der Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen.
 „Zwischen den Verhaftungen hat Carvajal autobiografische Texte verfasst, aus denen wir sehr berührend von den Ängsten und Bedrohungen der Verfolgten erfahren“, berichtet Sina Rauschenbach. „Auch die Briefe, die während der Haft von Zelle zu Zelle gingen, erzählen davon. In den Akten der Inquisition blieben sie als einzigartige Zeugnisse erhalten.“

Musik spiegelt die Dramatik in Carvajals Leben wider
Gemeinsam mit dem Historiker Héctor Pérez-Brignoli aus San José (Costa Rica) entwickelte sie während eines Forschungssemesters am Kulturwissenschaftlichen Kolleg der Universität Konstanz die Idee, die Geschichte Carvajals mit der Musik Osias Wilenskis auf die Bühne zu bringen. Der Komponist hatte sich mit dem Sujet bereits in einer Oper befasst und schrieb 2014, basierend auf den Originaldokumenten, den Liederzyklus „Poemas y Cartas de Carvajal“, der nun verbunden mit einer Lesung uraufgeführt wird. Die acht Lieder mit einem Vor- und einem Nachspiel sind völlig unterschiedlich instrumentiert. „Wilenski spielt mit Harmonien, Rhythmen und Kontrapunktik, die die Dramatik in Carvajals Leben widerspiegeln und eine besondere Verbindung zwischen Worten und Tönen schaffen sollen“, erklärt Sina Rauschenbach.

Kryptojuden übten Religion im Geheimen aus
Für sie hat das Projekt einen kulturellen und einen religionswissenschaftlichen Bezug: Einerseits sollen historisch Interessierte für die Musik begeistert werden. Andererseits soll die Musik den Zugang zur Geschichte erleichtern, die sich, so die Wissenschaftlerin, durchaus mit aktuellen Fragen verknüpfen lässt. „Kryptojuden“, erläutert sie, „hatten keinen Zugang zu jüdischen Büchern und etablierten jüdischen Gemeinden.“ Ihr Wissen über das Judentum habe sich allein über die Erziehung und christliche Schriften vermittelt. So seien in der geheimen Ausübung der Religion mitunter interessante Mischformen entstanden, in die auch christliche Elemente einflossen. Das wiederum förderte eine neue Denkweise: offen für kulturelle Vielfalt.
Interpretiert werden die Lieder von Tenor Friedemann Hecht und Mitgliedern des modern art ensembles: Klaus Schöpp an der Flöte, Katharina Hanstedt an der Harfe, Yoriko Ikeya am Klavier und Matias de Oliveira Pinto am Violoncello. Dazu liest Nikola David, Kantor und Absolvent des Abraham Geiger Kollegs, aus der Autobiografie und dem religiösen Testament Carvajals, aber auch aus Verhörprotokollen und dem Urteil der Inquisition.

Gefördert durch eine Kooperation der Uni Potsdam und des Konstanzer Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“
29. 10. 2015, 20 Uhr (19.30 Uhr Einführung), Schinkelhalle Potsdam, Schiffbauergasse
Tickets: www.reservix.de und Vorverkaufskassen, 14/9/6 € zzgl. 2 € Abendkasse

Text: Antje Horn-Conrad
Online gestellt: Matthias Zimmermann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde