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Geschäftsmodell Forschung

Der unternehmerische Wissenschaftler

Foto: Colibri Photonics
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Foto: Colibri Photonics

Die Firma „Colibri Photonics“ existiert seit 2010. Sie stellt winzige Sensoren her, mit denen Wissenschaftler oder Mediziner den Sauerstoffgehalt selbst in kleinsten Gewebeproben berührungsfrei messen können. Die Technik beruht auf Farbstoffen, die bei Bestrahlung mit Laserlicht je nach der Sauerstoffkonzentration in ihrer Umgebung mehr oder weniger stark phosphoreszieren.

Auch ökonomisch Unbedarften leuchtet sofort ein, dass die Gründung einer High-Tech-Firma wie „Colibri Photonics“ drei Dinge voraussetzt: erstens technische Expertise, zweitens betriebswirtschaftliches Know-how und drittens Unternehmergeist. Das Colibri-Gründergespann erfüllt diese Voraussetzungen perfekt. Der Physikochemiker Elmar Schmälzlin ist vor allem für das Technische zuständig. Er hat über nichtlineare Optik promoviert und als Vertriebsingenieur für optische Kommunikationstechnik gearbeitet, bevor er 2003 an die Universität Potsdam kam. Der Betriebswirt Marvin Stolz bringt den logistischen, organisatorischen und strategischen Sachverstand mit.

Beide besitzen Unternehmergeist, das beweist allein schon die Tatsache, dass sie sich an eine Firmengründung wagten.Den Anstoß dazu und wesentliche Unterstützung dabei gab indessen die Universität Potsdam. Dass Schmälzlin und Stolz sich kennenlernten, verdanken sie nicht einer zufälligen Begegnung, sondern der langfristigen Strategie der Uni, Gründungen konsequent zu fördern und sich als unternehmerische Hochschule zu profilieren.

Was das heißt, erklärt Dieter Wagner, von 1993 bis 2012 Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation und Personalmanagement und langjähriger Vizepräsident der Uni Potsdam: „Die Universität hat seit ihren Anfängen Ausgründungen von Studierenden und Ehemaligen unterstützt und dies immer mehr systematisiert. Dabei haben wir ein integratives Konzept entwickelt, bei dem sowohl Wissens- und Technologietransfer als auch Gründungsaktivitäten eng miteinander verknüpft sind. Unsere Vision ist, den Gedanken, dass sich wissenschaftliche Erkenntnis oft auch unternehmerisch umsetzen lässt, in der gesamten Hochschule zu verankern.“

Zugleich ist Dieter Wagner Direktor von „Potsdam Transfer“, der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung für Gründung und Innovation, Wissens- und Technologietransfer, in der dieUniversität 2011 alle bis dahin existierenden Aktivitäten bündelte. Zu den klassischen Aufgaben des Technologietransfers zählt der Patentservice. Die Standortmanager des Zentrums beraten angehende Gründer, unterstützen sie beim Erstellen von Businessplänen, verschaffen Zugang zu Know-how und Förderprogrammen oder vermitteln ihnen beispielsweise einen „Senior Coach“, der sie begleitet und Erfahrungen weitergibt.

Zu den Arbeitsgebieten von „Potsdam Transfer“ gehört nun auch das „Scouting“: Mitarbeiter, die sowohl mit der Universität als auch mit den Märkten gut vertraut sind, halten gezielt Ausschau nach verwertbaren Forschungsergebnissen, nicht nur an der Uni, sondern auch an den außeruniversitären Instituten in Potsdam. Sind sie fündig geworden, sprechen sie die Wissenschaftler an, um Vermarktungsmöglichkeiten auszuloten und die Nachfragesituation zu analysieren. Oft müssen Forscher allerdings erst einmal davon überzeugt werden, dass ihre interessanten Ergebnisse nicht automatisch dazu führen, dass sie die nächste Stufe auf der akademischen Karriereleiter erklimmen.

Das kann sich ändern, wenn unternehmerisches Verhalten schon in den frühesten Stadien der Universitätslaufbahn angeregt und eingeübt wird. Dafür stehen Katharina Hölzle und ihr Lehrstuhl „Innovationsmanagement und Entrepreneurship“. Dieser bietet Kurse an, in denen Bachelor- und Masterstudenten Grundlegendes über das Gründen von Unternehmen lernen. Ist das Interesse geweckt, können Studierende ihre Kenntnisse im Technologie- und Innovationsmanagement sowie in Entrepreneurship, also im Finden und Umsetzen neuer Geschäftsideen, ausbauen und vertiefen. Dies gilt nicht nur für angehende Betriebswirte, sondern auch für Absolventen anderer Studiengänge und Fakultäten.

„Unternehmerische Persönlichkeiten brauchen eine gute Portion Selbstvertrauen und Vorbilder, an denen sie sich orientieren können“, sagt Katharina Hölzle, „der Rest besteht aus erlernbaren Fähigkeiten.“ Kursthemen sind also beispielsweise Marktanalysen, Marketing, Kosten-Nutzen-Rechnung oder rechtliche Fragen. Allerdings, fügt die Professorin hinzu, sei jungen Menschen im Verlauf ihrer Schulzeit häufig der Mut abhanden gekommen, überhaupt über Gründung nachzudenken: „Zudem hegen sie oft die Vorstellung, unternehmerisch zu denken heiße, nur auf das große Geld aus zu sein, dabei bedeutet es doch in erster Linie, etwas zu unternehmen.“ Am Lehrstuhl hält man deshalb ein Füllhorn an Methoden und Formaten parat, um Studierenden Lust auf den Schritt in die Selbstständigkeit zu machen, unter nüchterner Abwägung der Chancen und Risiken. Das Spektrum reicht von Seminaren über Kleingruppenworkshops und Sommerschulen bis zur Teilnahme an Businessplan-Wettbewerben. Geübt wird an fiktiven Firmen, realen eigenen Projekten und Fallbeispielen aus der Wirklichkeit. Dabei fließen immer wieder auch Erkenntnisse der Berater und Scouts von „Potsdam Transfer“ ein: „Wir passen das Curriculum flexibel an die Bedürfnisse an“, sagt Katharina Hölzle.

Doch nicht nur die Lehre, auch Forschung trägt dazu bei, Gründergeist in die Hochschule zu tragen – und die unternehmerische Uni zum Modell für andere Hochschulen zu machen. So untersuchen Wissenschaftler von „Potsdam Transfer“ unter anderem, auf welchen Wegen sich der Wissens transfer verbessern lässt, wie sich die Karrieren von Frauen in der Forschung entwickeln oder wie kleine und mittelständische Unternehmen ihr Personal flexibler einsetzen können.

Die Früchte all dieser Anstrengungen können sich sehen lassen. In den letzten vier Jahren stieg die Zahl der Ausgründungen von zuvor etwa 17 jährlich auf mehr als 30. Im Jahr 2011 gingen sogar 37 Jungunternehmen an den Start, die auch durch den Einsatz von Scouts oder Beratern entstanden sind. Bei der „Ideenschmiede“, einem Businessplan-Wettbewerb für Startups in Berlin und Brandenburg, erobern Potsdamer Teams seit acht Jahren in Folge regelmäßig den Spitzenplatz. 2009 erhielt die Universität Potsdam als eine von zehn Hochschulen den Zuschlag beim Wettbewerb „EXIST-IV“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.

„Lehre und Forschung werden zwar immer ein einzigartiges Gut unserer Hochschulkultur bleiben“, sagt der mittlerweile emeritierte Dieter Wagner, „aber Universitäten werden zunehmend auch dafür verantwortlich gemacht, dass von der Investition in den Erkenntnisfortschritt auch etwas in die Region zurückfließt.“ Die Ausgangslage in Potsdam ist ideal. Die Region ist wirtschaftlich schwach entwickelt, bietet aber ein enormes Innovationspotenzial, weil die Universität mit vielen anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in Potsdam, wie den Max-Planck-, Fraunhofer-, Helmholtz- und Leibniz-Instituten, gut vernetzt ist. Am Innovationszentrum „GO:IN“ in Potsdam-Golm, aber auch in den Gründerräumen von „Potsdam Transfer“ finden junge Unternehmen passende Lokalitäten und Kontakte. Und in der Umgebung von Golm steht noch viel Platz zur Verfügung, wo sich High-Tech-Firmen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Forschungsinstituten ansiedeln können.

Die neu gegründeten Firmen sind überwiegend im Dienstleistungs- oder Beratungssektor tätig. Künftig soll der Anteil technologiebasierter Gründungen steigen. Zugleich gilt es, Unternehmergeist in der gesamten Hochschule zu verbreiten. „Entrepreneurship-Kultur“, wie es auf Neudeutsch heißt, soll in allen Fakultäten von den Natur- bis zu den Geisteswissenschaften etabliert werden, bei Professoren und Studierenden, in der Leitung und in der Verwaltung. „Als Experten für Gründungen sind wir der innovative Kern“, sagt Enrico Sass, bei „Potsdam Transfer“ zuständig für alle Services und EXIST-Projektleiter, „aber wir arbeiten daran, dass sich alle mit dem Gedanken der unternehmerischen Hochschule identifizieren.“

Zurück zu „Colibri Photonics“. Elmar Schmälzlin und Marvin Stolz haben sich in einem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt namens „Forschung für den Markt im Team“ (ForMat) kennengelernt. Gemischte Teams aus Wissenschaftlern und Ökonomen sollten dabei in der ersten Projektphase gemeinsam das Vermarktungspotenzial ausgewählter Technologien erkunden. Auf diesem Weg verschlug es den Betriebswirt Stolz 2008 in das Institut für Chemie, wo Schmälzlin an der Miniaturisierung molekularer Sauerstoffsonden forschte.

Nicht lange, und die beiden taten sich zusammen und begannen, die Marktnischen für solche Geräte zu erkunden. „Die ersten drei Jahre haben wir damit verbracht, mit Biologen, Medizinern und Biotechnologen zu reden“, sagt Schmälzlin. Mit Unterstützung durch das Innovationszentrum GO:IN erstellte Stolz den Businessplan. Ein Vierteljahr ging ins Land, bis die Finanzierung stand, nachdem die Förderung durch das „ForMat“-Programm ausgelaufen war. Im Sommer 2012 war es dann soweit: Colibri verkaufte die ersten Geräte an Universitätslabore. Wenn es gut läuft, dürfte die Firma 2014 die Gewinnschwelle überschreiten. Und der Standort Potsdam-Golm hat wieder ein innovatives Unternehmen hinzugewonnen. 

Die Wissenschaftler

Prof. Dr. rer. oec. habil. Katharina Hölzle ist seit dem 1. Mai 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Innovationsmanagement und Entrepreneurship. Sie berät Unternehmen in Fragen des strategischen Technologie- und Innovationsmanagements.

Kontakt

Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Straße 89
14482 Potsdam
E-Mail: katharina.hoelzleuni-potsdamde

Prof. Dr. Dieter Wagner hatte von 1993 bis zu seiner Pensionierung Ende September 2012 den Lehrstuhl für Organisation und Personalwesen inne, wobei das Existenzgründungsmanagement zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörte. Wagner war Gründungsdirektor des 2001 ins Leben gerufenen Brandenburgischen Instituts für Existenzgründungsmanagement und Mittelstandsförderung (BiEM). 2005 hob er gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Kollegen Prof. Guido Reger das Centrum für Entrepreneurship und Innovation der Universität Potsdam (BiEM-cEiP) aus der Taufe. Dieses fusionierte 2011 mit dem Technologietransfer der Universität Potsdam (UP Transfer). So entstand „Potsdam Transfer“, mit Dieter Wagner als Direktor. Der wissenschaftliche Mitarbeiter und Leiter der Transfer Services Dr. Enrico Sass leitet bei „Potsdam Transfer“ das EXiSt-iV-Projekt.

Kontakt

Potsdam Transfer
Dortustraße 46
14467 Potsdam
E-Mail: kontaktpotsdam-transferde
Internet: www.potsdam-transfer.de

Text: Sabine Sütterlin, Bearbeitung: Julia Schwaibold