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Kosmische Nacht

Foto: Anne Barth
Foto: Anne Barth

Am 28. 11. ab 18 Uhr fand in der Kirche „St. Peter und Paul“ ein Spektakel aus flutenden Lichtinstallationen, anmutigem Text und sphärischer Musik statt. In 10 Stationen wurde die Geschichte des Universums erzählt;

Urknall / Inflation / Plasma / Durchsicht / Sterne / Leben / Geist / Transzendenz / Entropie / Friede

 

… denn es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als das Staunen“ – Platon: Theätet 155d

Ich preise Dich; … wunderbar sind Deine Werke; das erkennt meine Seele“ Psalm 139,14

 

Die Physik hatte um 1900 das Staunen verlernt. Die Welt wurde als eine Ansammlung von Kräften und Massen vorgestellt, wo eins das andere kausal bewegt. Plancks Quantenphysik (ab 1900) und Einsteins Relativitätstheorien (ab 1905) brachen den Horizont wieder auf und öffneten den Blick in eine staunenswerte Welt: Der Kosmos ist auf der kleinsten Ebene nicht deterministisch festgelegt, sondern ergebnisoffen, frei. Im weiteren Verlauf wurden Atome als Wirbel aus Quarks und Leptonen erkannt, die über Austauschteilchen kommunizieren. Teilchen können ineinander übergehen und auch bei riesiger Distanz am selben „Ort“ verbunden bleiben. Raum, Zeit und Gravitation bilden zusammen ein dehnbares Gewebe. Die Makrowelt der Galaxien und die Mikrowelt der Quanten befinden sich – so eine Idee der Stringtheorie – in einem mindestens zehndimensionalen „Raum“.

All diese Zusammenhänge sind unvorstellbar, aber doch real. Trotz Tele- und Mikroskopen blicken wir nur durch einen schmalen Spalt in sie hinein. Durch Mathematik können wir weiter denken, als wir sehen. Religionen wagen sich noch weiter: Sie erzählen von einem sinnvollen, nicht zufälligen Anfang, von der Klugheit der Entwicklung und der Schönheit ihrer Ordnung. Und sie danken, dass der Kosmos Licht, Elemente und Lebewesen ermöglicht hat. Und dass eines dieser Lebewesen, der Mensch, die Fähigkeit hat, all dies zu bestaunen.

Die „Kosmische Nacht“ will staunen machen. Dazu vereinen wir Wort, Licht und Klang, denn die waren im Anfang (Gen 1; Joh 1). Das Licht des Anfangs war anders als unser natürliches Licht. Wir verwenden gleichgerichtetes Licht, Laser, und projizieren einerseits Muster, so abstrakt wie die Funktionsgleichungen der Quantenphysik, andererseits Bilder, so anschaulich wie die funkelnden Sterne.

Foto: Anne Barth
Grafik: Tobias Mannewitz

In der Lichtinstallation der Berliner Künstlerin Anne Barth weben Lichtstrahlen ein abstraktes Firmament, über das Quantenmuster tanzen. Die Gesetze der kleinsten Teilchen pulsieren, Formeln werden zu fließendem Licht, das die staunenswerte Entstehung des Kosmos sichtbar macht. Zwischen den abstrakten Wirbeln der Physik erglühen plötzlich ferne, funkelnde Sterne und offenbaren die versteckte Schönheit, die uns umgibt.

Das Wort ist der Cantico Cosmico, ein epochales Gedicht von Ernesto Cardenal. Er war Mönch, Priester, Revolutionär, Kulturminister, von Papst Johannes Paul II. gemaßregelt, von Franziskus rehabilitiert. Vor allem aber war er Lyriker, der den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt und für 2 den Literaturnobelpreis nominiert wurde. Sein spätes Hauptwerk Cantico Cosmico, „Gesang des Universums“ besteht aus 48 Psalmen auf 500 Seiten. Darin zitiert er aus den Schöpfungsmythen indigener Völker im Amazonas, in Polynesien und anderswo. Er benennt Strukturen der Unterdrückung und Ereignisse der Befreiung davon. Wie in biblischen Psalmen wird das Zusammenspiel von Blumen, Winden und Vögeln, von Gezeiten, Fischen und Insekten besungen. Aber Cardenal geht darüber hinaus: Er schreibt in der Sprache des 21. Jahrhunderts: Quanten wimmeln im Vakuum, Protonen tanzen mit Elektronen, Räume dehnen sich aus, Galaxien winden sich um schwarze Löcher. Materie, Energie und Information vernetzen sich immer weiter nach einem geheimen Gesetz. Der Kosmos ist nicht Sklave von Ursachen, sondern entfaltet sich angezogen von einem Ziel in der Zukunft - Ruhe in Liebe. Das religiöse Wort hierfür ist Erlösung.

Ton: Die Musikstücke geben die jeweilige Phase des Universums wieder: vom Rauschen des Anfangs (0) über das Wirbeln der Teilchen (3) über das Durchsichtigwerden des Alls (4) bis hin zur Ahnung weiterer Welten (8). Hierzu wurden Beispiele verschiedenster Epochen gewählt: Renaissance, Barock, Zwölftonmusik, elektronische Musik und populäre Filmmusik (z.B. Hans Zimmer).

Grafik: Tobias Mannewitz