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Konzept der Tagung "To Eat or Not to Eat"

Essen hält uns nicht nur am Leben, über das Essen bestimmen wir auch, wer wir sind. Jemand ist, was er ißt. Dieses Sprichwort gilt jedoch zuallermeist nur in eine Richtung. Wir sind, was wir essen, aber wir essen nicht, was wir sind. Letzteres ist Kannibalismus und ein Tabu. Dieses kann sich nicht nur auf die eigene Spezies, den Menschen, sondern auch auf andere Arten beziehen. Bestimmte Tierarten werden nicht verzehrt, wenn diese etwa mit dem Menschen in enger Gemeinschaft leben. Manche wie die Frutarier verzichten sogar auf den Verzehr alles Lebendigen. Jemand ist, was er nicht ißt. Eine solche Identifikation ist jedoch nicht der einzige Grund für einen Verzicht auf bestimmte Speisen.

Obschon Menschen biologisch gesehen Allesesser (omnivores) sind, gibt es wohl kaum Gruppen, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel voll ausschöpfen. Was gegessen wird und was nicht, ist in hohem Maße kultiviert. Was aber in der einen Kultur als besonderer Genuss gilt, ruft in der anderen Ekel hervor. Was auf den Tisch kommt, ist oftmals von Gewohnheit bestimmt und wird nicht eigens thematisiert. Ungewohnten Speisen werden dagegen als nicht-essbar ausgeschlossen und sind damit vom Tisch. Dieser Haltung steht aktuell eine zunehmende Reflektion von Ernährungsweisen gegenüber wie die Problematisierung von Fleischkonsum mit Blick auf Gesundheit, Tierwohl, Nachhaltigkeit und Klimawandel. Diese Reflektion geht einher mit einer Pluralisierung von Ernährungsstilen, aber auch ihrer Reglementierung etwa durch die Vergabe von Siegeln, Labeln und Prüfzeichen. Essen wird in diesem Zusammenhang oftmals als neue Religion bezeichnet, weil Menschen sich der Auswahl, Zubereitung und Präsentation ihrer Speisen, aber auch der Verteidigung und Verbreitung ihres Ernährungsstils mit einer Hingabe widmen, die sonst besonders Religiösen zugeschrieben wird.

Ein weiterer Grund ist aber auch, dass Essensregeln lange die Domäne religiöser Traditionen waren. Verbote potentieller Nahrungsmittel, ihr Vermeiden generell oder zu bestimmten Zeiten oder für bestimmte Gruppen, finden sich weltweit und quer durch die Geschichte in vielen Formen. Viele Verbote finden sich in religiösen Traditionen und können sowohl Pflanzen als auch Tiere und tierische Produkte, sowohl feste wie auch flüssige Nahrungsmittel umfassen. Mit einer solchen Askese sind immer sowohl gesellschaftliche als auch individuelle Aspekte verbunden: Sie dient der besonderen Auszeichnung von einzelnen Personen, Gruppen oder Zeiten, die aus dem Alltag herausgehoben werden. Sie zielt aber auch auf die Bearbeitung und Transformation des individuellen Selbst.

Aktuell stoßen religiös begründete Speiseregeln allerdings zunehmend auf Unverständnis. Ver- und Gebote, die sich nicht mit aktuellen medizinischen und ethischen Standards begründen lassen, werden als überkommen und unzeitgemäß angesehen. Zum Teil geraten die verschiedenen Regeln auch in direkten Konflikt miteinander, wie sich etwa an der Debatte um das Schächten zeigt, gegen das Argumente für das Tierwohl angeführt werden.

Die interdisziplinäre Tagung fokussiert deshalb auf neue wie alte Essensregeln und Nahrungsmittelverbote. Sie setzt sich mit rechtlichen, ernährungswissenschaftlichen, ethischen, religiösen und kulturwissenschaftlichen Aspekten des Themas auseinander. Ziel ist verschiedene Essensregeln und speziell die Verbote und Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel daraufhin zu untersuchen, welche Prinzipien ihnen zugrunde liegen und welche Ziele mit ihnen verfolgt werden. Dies soll dazu dienen, Konfliktpotential auszuloten, aber auch Brücken zu bauen, wo verschiedene Regeln auf den ersten Blick als unvereinbar erscheinen.