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Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes

Ich hatte im Vorfeld meines Semesters „zur See“ einige Zweifel, ob sich das Programm angesichts der anstrengenden Vorbereitung, hohen Studiengebühren und stark negativer Umweltbilanz lohnen würde. Um diese Zweifel auszuräumen, habe ich mit einigen deutschen und internationalen Alumni geredet, die durchweg begeistert waren und eine volle Empfehlung ausgesprochen haben.
Im Vergleich zu einem normalen Auslandssemester ist die Vorbereitung auf Semester at Sea recht aufwändig. Als Student aus einem nicht englischsprachigen Land musste ich für die Bewerbung neben einem Essay ein Sprachzertifikat einreichen, für post-graduates (z.B. mit Bachelorabschluss) war zudem ein zusätzliches Motivations- und Empfehlungsschreiben gefordert. Letztendlich war die Bewerbung allerdings nicht zu schwierig, da internationale Studierende gerne in das Programm aufgenommen werden. Dies liegt sicherlich einerseits an einer gewissen Selbstselektion, da für eine Bewerbung als Freemover ohne Nutzung bestehender Kooperationen eine hohe Eigeninitiative gefragt ist. Außerdem verfügen sie in der Regel über eine überdurchschnittliche Sprachkompetenz und können bestehende Auslandsaufenthalte sowie ein großes akademisches Engagement vorweisen.
Schwieriger war für mich die Finanzierung zu bewerkstelligen. Die Studiengebühren für das Semester liegen zwar im Rahmen gewisser US-Institutionen, sind in der Höhe allerdings keinesfalls mit europäischen Gebühren zu vergleichen. Ich habe letztendlich ca. 1/3 der Kosten durch verschiedene Stipendien des Trägers ISE sowie durch das PROMOS-Stipendium decken können. Gefordert waren hier verschiedene Essays sowie je nach Stipendium Einkommensnachweise der Eltern und Leistungsnachweise.
Nach positiver Rückmeldung durch ISE musste zunächst eine Anzahlung getätigt werden, in den folgenden Monaten wurden die vollen Studienbeiträge abzüglich der ISE-Stipendien fällig. Nun startete die weitere Vorbereitung, welche den Erwerb von drei Visa, den nötigen Reiseimpfungen, Malaria-Prophylaxe-Medikamenten und Tickets für An- und Abreise beinhaltete. Außerdem musste ich ein Urlaubssemester an der Universität Potsdam beantragen. Dies war bei mir etwas mühsam, da ich von ISE nur eine elektronische Bestätigung per E-Mail bekommen hatte, was zunächst nicht ausreichte.
Ich hatte schon 2017 eine Bewerbung angefangen, diese aber wieder zurückgezogen. Meine zweite Bewerbung habe ich Ende März 2018 eingereicht und die Vorbereitungen Schritt für Schritt vorangetrieben. Am 4. Januar 2019 war ich schließlich in San Diego, USA, um tags darauf abzureisen.


Studienfach: IT-Systems Engineering

Aufenthaltsdauer: 01/2019-04/2019

Gastuniversität:Colorado State University

Gastland: USA

Studium an der Gastuniversität

Das Studienangebot bei Semester at Sea ist sehr breit aufgestellt und bietet Vorlesungen aus 20-25 akademischen Disziplinen, darunter viele Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Geschichte, Geographie oder Biologie. Lediglich naturwissenschaftliche Aspekte sind weniger vertreten, da sie teilweise wenig Bezug zu den einzelnen Ländern der Reise haben oder nicht effektiv auf einem Schiff gelehrt werden können. Ich würde davon abgesehen ohnehin dazu raten, Fächer zu wählen, die einen interkulturellen Bezug haben und daher am meisten vom internationalen Kontext von Semester at Sea profitieren. Tatsächlich war mein Ziel dieses Semester, mich außerhalb meiner eigentlichen Studienrichtung des Softwareingenieurswesens weiterzubilden und für vier Monate ganz neue Richtungen im Sinne eines Studiums Generale zu studieren.
Am meisten zu meinem Verständnis während der Reise hat die Vorlesung in Einführung in Kulturelle Anthropologie beigetragen. Sie wurde von einer sehr dynamischen und engagierten Professorin gehalten, die schon zum dritten Mal an Semester at Sea teilnahm und umfangreiche praktische Erfahrungen vorweisen konnte. Unter anderem hat sie mehrere Jahre die Vertretung des US Peace Corps auf Tonga geleitet, komplexe soziale Zusammenhänge in Südamerika untersucht und viele Jahre in Osttimor verbracht. Ihr Vorlesungsstil war sehr dynamisch, im Grunde war die Lehrveranstaltung eher wie ein Seminar gehalten. Im Zuge der Veranstaltung haben wir eine Ausarbeitung zu unserer Exkursion zu einer japanische Grundschule geschrieben und die größeren gesellschaftlichen Zusammenhänge analysiert, mehrere Präsentationen gehalten, Essays verfasst und als Abschlussprojekt einen Vergleich drei besuchter Länder in Bezug auf einen frei wählbaren Aspekt verfasst.
Ebenfalls sehr bereichernd fand ich Generelle Psychologie, da das Fach meiner Meinung nach zu den Grundlagen dessen gehört, was man sich an Wissen aneignen sollte. Gelehrt wurde die Vorlesung von einer unglaublich energetischen Professorin, welche die Reise mit ihren vierjährigen Zwillingen angetreten hat, die oft als anschauliche Beispiele für u.A. Konzepte der Entwicklungspsychologie dienten. Leider musste die Familie das Schiff aufgrund medizinischer Probleme nach zwei Dritteln der Reise verlassen, woraufhin ein Kollege die Vorlesung übernommen hat. Etwas gewöhnungsbedürftig fand ich den Prozess der Leistungserfassung, der aus drei Klausuren mit vorrangig Multiple-Choice-Fragen bestand. Außerdem fand ich schade, dass die Lehrinhalte trotz internationaler Bezüge letztendlich wenig vom Kontext der Reise profitiert haben.
Geschichte des Jazz war insofern sehr interessant, dass hier untersucht wurde, wie sich das Musikgenre von einem nationalen Phänomen in den USA zu einer Weltmusik gewandelt hat. Der Professor war als Ethnomusikologe und Jazzsaxophonist auf beiden Gebieten sehr gewandt und hat anschaulich demonstriert, welchen Effekt Elemente traditioneller Musik, politische Motivation und soziologische Aspekte auf regionale Ausprägungen des Jazz haben. Außerdem haben wir diskutiert, wie Authentizität in Bezug auf ein Genre im Wandel definiert werden kann. Neben zwei Klausuren und einer Ausarbeitung unserer Exkursion in Südafrika mussten wir Reflexionen zu zwei musikalischen Erfahrungen in verschiedenen Ländern anfertigen.
Die Grundvorlesung, welche für alle Studierenden, DozentInnen, MitarbeiterInnen und andere nichtstudentische Mitreisende (sogenannte Lifelong Learners) verpflichtend war, nannte sich Global Studies. Im Gegensatz zu den restlichen Veranstaltungen bestand sie aus drei Teilen: Interkulturellen Studien, politische und kulturelle Entwicklung jedes besuchten Landes sowie Ozeanographie. Leider fehlte angesichts dieser verschiedenen Themenbereiche ein roter Faden, welcher die von den drei DozentInnen gehaltenen Vorlesungen vereint hätte. Ich habe meinen persönlichen Horizont durch die vielfältigen Erfahrungen in den Ländern stark erweitern können. Trotzdem denke ich, dass die Vorbereitung tiefgängiger hätte sein können. Gerade in Bezug auf Geschichte der Länder wurden vorrangig Fakten präsentiert, wobei wenig Diskussion zu Hintergründen stattfand.
Da ich keinerlei Erfahrungen in Anthropologie und Psychologie hatte, habe ich die Einführungsveranstaltungen gewählt. Rückblickend wäre ich wohl auch mit dem Anspruch der vertiefenden Vorlesungen zurechtgekommen. Bedauerlicherweise habe ich diese Option nicht gewählt, angesichts der großen Breite der Veranstaltungen fehlte mir hier oft der Tiefgang.
Insgesamt habe ich die Zeit bei SAS als sehr intensiv empfunden, da es keine Wochenenden oder längere Auszeiten gibt. Stattdessen sind die Seetage in abwechselnde A- und B-Tage gegliedert, an denen ich je zwei Vorlesungen hatte. Da das Semester mit Verlassen des Schiffes im letzten Hafen endet, mussten auch sämtliche Hausarbeiten und Vorbereitungen auf Klausuren in dieser Zeit erledigt werden. Gerade durch dieses enge Zeitschema bleibt man meiner Erfahrung nach gut im Stoff und kann sich auch in neue Themengebiete gut einarbeiten. Eine große Besonderheit von Semester at Sea ist zudem, dass man sich für den gesamten Zeitraum der Reise in nächster Nähe zu ProfessorInnen und anderem akademischen Personal befindet. So war es für mich üblich, mit meinem Professor zu frühstücken und ab und zu andere seiner KollegInnen zu Mittag zu treffen - an anderen Universitäten undenkbar. Dadurch hat sich ein sehr enger Kontakt ergeben und ich konnte auch außerhalb der Vorlesungen und Seminare viel von ihnen lernen.

Außercurriculare Aktivitäten

Außercurriculare Aktivitäten bilden einen essentiellen Teil des Lebens an Bord. Zu Beginn wurden alle Studierenden dazu aufgerufen, selbst einen Club zu gründen. In einer der Einführungsveranstaltungen gab es dann die Möglichkeit, sich als Interessent einzutragen, um über die weitere Planung informiert zu werden.
Ich selbst hatte als Träger des „International Student Advancement Award“ die Aufgabe, gemeinsam mit einer anderen Stipendiatin die International Student Union zu leiten. In den verschiedenen Zusammenkünften haben wir die Erlebnisse des durch US-amerikanische Konventionen geprägten Lebens an Bord durch die Perspektive der gut 13% internationaler Studierenden diskutiert, Handlungsempfehlungen für differenzierte Betrachtungen in Vorlesungen und Seminaren verfasst und kulturelle Abende organisiert.
Weiterhin habe ich den Club SAStainability mitgeleitet, welcher Aspekte (fehlender) Nachhaltigkeit im Kontext von Semester at Sea diskutiert hat und Vorschläge für eine umweltfreundlichere Reise gemacht hat. Ich habe in einem kurzen Vortrag in der Global-Studies-Vorlesung auf die CO2-Emissionen, welche sich bei Semester at Sea aufgrund Daten zu Treibstoffverbrauch auf 17t pro Passagier belaufen, hingewiesen und meine Mitreisenden ermutigt, diese durch persönliche und freiwillige Teilnahme am Emissionshandel zumindest auszugleichen. Auch den Präsidenten des Trägers ISE habe ich auf die Problematik hingewiesen und den Vorschlag gemacht, eine Option für CO2-Neutralität in den Bezahlprozess der Studiengebühren zu integrieren.
Neben dieser zwei Clubs habe ich mich hauptsächlich am Club Humanizing Headlines beteiligt, welcher Diskussionsrunden zu aktuellen politischen Themen veranstaltet hat - im Vorfeld zu unserem Besuch in China beispielsweise zu Zensur im Land, in Vorbereitung auf Myanmar zur Rohingya-Krise.  Weiterhin habe ich gemeinsam mit den anderen deutschsprachigen Reisenden an verschiedenen Kulturabenden teilgenommen, um unseren Kommilitonen deutsche und europäische Kultur näherzubringen.
Das studentisch organisierte Programm wurde durch ein reichhaltiges Angebot an Abendvorlesungen und -seminaren unterstützt. Hier ergab sich täglich die Möglichkeit, Einblicke in die Arbeit der teilweise sehr renommierten ProfessorInnen zu bekommen und seine praktischen Fähigkeiten zu verbessern.

Studienfach: IT-Systems Engineering

Aufenthaltsdauer: 01/2019-04/2019

Gastuniversität:Colorado State University

Gastland: USA


Rückblick

Angesichts meiner anfänglichen Bedenken bin ich sehr glücklich, mich letztendlich für Semester at Sea entschieden zu haben - ich kann sagen, dass es das bedeutungsvollste Semester meines Studiums war. Ich hatte durch verschiedene Auslandsaufenthalte schon einiges an internationaler Erfahrung, habe durch Semester at Sea aber trotzdem noch viel an internationaler Perspektive gewonnen. So habe ich gelernt, andere Kulturen besser zu verstehen und andere Lebensweisen besser nachzuvollziehen. Außerdem habe ich erkannt, dass Handlungsmuster und menschliche Entwicklung maßgeblich durch das eigene Umfeld bestimmt werden. Gleichzeitig unterscheiden sich Gesellschaften nicht nur aufgrund ihrer Kultur, sondern vor allem durch wirtschaftliche und politische Umstände.
Bei Semester at Sea waren nicht nur die Besuche in den verschiedenen Ländern, sondern gerade auch die US-amerikanisch geprägte Kultur an Bord eine interessante kulturelle Erfahrung. Ein Semester lang auf einem US-Campus zu studieren hat mir sehr geholfen, die USA noch besser zu verstehen. Ich war durch mein Praktikum in Kalifornien gewissermaßen schon an die Kultur gewöhnt; bei anderen internationalen Studierenden hat sie aufgrund einer anderen Diskussionskultur, einem stark ausgeprägten Individualismus und anderen Aspekten zu einem unerwarteten Kulturschock geführt.
Als Student des IT Systems Engineering auch einmal Vorlesungen in Anthropologie, Musikologie oder Psychologie zu belegen war für mich eine sehr bereichernde Erfahrung. Ich sehe meine berufliche Zukunft im Bereich meines Hauptstudienfachs. Trotzdem habe ich nun gemerkt, dass ich auch in anderen Disziplinen erfolgreich sein kann und dass diese ernstzunehmende Alternativen darstellen. Ich habe mir vorgenommen, weiterhin ab und zu über meinen persönlichen Tellerrand zu schauen und von anderen Fachrichtungen und anderen Kulturen zu lernen. So möchte ich auch meiner beruflichen Karriere eine internationale Ausrichtung geben und werde Optionen evaluieren, beispielsweise in internationalen NGOs und Regierungsorganisationen zu arbeiten.
Abschließend kann ich sagen, dass ich die Teilnahme bedingungslos empfehlen kann und dass es sich auf jeden Fall lohnt, die Arbeit in die Bewerbung und Anwerbung unterstützender Stipendiengelder zu investieren. Ich möchte allen Beteiligten von Semester at Sea, dem Institute for Shipboard Education und der Universität Potsdam herzlich danken, mir diese einmalige Erfahrung ermöglicht zu haben!

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