Projekt: Wie viel Schlucken ist normal?
Normdatenstudien zum Einfluss individueller und externer Einflussfaktoren auf die Schluckphysiologie bei Erwachsenen und Kindern ohne Dysphagie
Wie wenig Schlucken ist normal? Die Schluckfrequenz bei Gesunden in Seiten- vs. Rückenlage
(K. Hummel, U. Frank)
Zusammenfassung: Bei der klinischen Untersuchung von Dysphagiepatienten ist die Schluckfrequenz ein wichtiger Beurteilungsparameter. Bisherige Studien lassen einen Einfluss der Körperposition und der Messmethode bei der Schluckfrequenzprüfung vermuten. Wir untersuchten den Einfluss von Körperposition und Messmethode bei 44 gesunden Erwachsenen (22 Frauen, 22 Männer). Bei taktiler Berührung am Larynx lag die durchschnittliche Schluckfrequenz in 10 Minuten (S/10min) mit 8.5 signifikant höher als in der Bedingung ohne taktile Berührung mit 6.83 S/10min (p< 0.05, Wilcoxon-Test, zweiseitig, r = -0.42). Die Körperposition (Rückenlage vs. Seitenlage) hatte dagegen keinen signifikanten Einfluss (p= 0.212, t-Test bei gepaarten Stichproben, einseitig, r = 0.14). In Seitenlage betrug die Schluckfrequenz durchschnittlich 6.31 S/10min. In Rückenlage wurde eine durchschnittliche Frequenz von 6.75 S/10min ermittelt. Dieser Unterschied ist nicht signifikant Außerdem zeigten sich sehr große individuelle Unterschiede, die nicht auf personenbezogene Faktoren (Alter, Geschlecht) zurückzuführen sind.
Der Einfluss von Körperparametern auf das Schluckvolumen bei gesunden Erwachsenen
(S. Peiffers, U. Frank)
Einleitung: Das Volumen eines Einzelschluckes weist eine hohe Variabilität auf. Anhand bisheriger Forschungsergebnisse kann diese durch einen Einfluss von individuellen Körperparametern wie Alter (Steele & van Lieshout, 2004) und Geschlecht (Adnerhill et al., 1989) erklärt werden. Weiterhin wird ein Einfluss der Körpergröße und des Mundhöhlenvolumens vermutet (Lawless et al., 2003; Alves et al., 2007). In Wasserschlucktests werden jedoch häufig standardisierte Trinkmengen verwendet, die diese Variabilität nicht widerspiegeln. Ziel dieser Studie war es, die Korrelationen zwischen dem individuellen Einzelschluckvolumen und den Körperparametern Alter, Geschlecht, Körpergröße, Body Mass Index (BMI), Mundhöhlenvolumen und Kieferöffnungsgrad bei gesunden Erwachsenen zu bestätigen und zu identifizieren. Die Ergebnisse können dazu beitragen, ein individualisiertes Wasserschluckscreening zu entwickeln, mit dem die individuelle Schluckfunktion im Rahmen der Dysphagiediagnostik zuverlässiger beurteilt werden kann.
Methoden: In einem experimentellen Design mit Messwiederholungen, wurden von 52 gesunden Erwachsenen 4 normale Einzelschlucke und ein Maximalschluck elizitiert, um daraus Durchschnittswerte für das jeweilige individuelle Einzelschluckvolumen zu errechnen. Der Inhalt der Becher wurde nach jedem Schluck mit einer Feinwaage (0.05 – 1000 g) gemessen und die Differenz zu 150 ml als Schluckvolumen angenommen (1g = 1 ml). Die Probanden wurden nach Alter (Gruppe 1: 20 – 39; Gruppe 2: 40 – 59 Jahre) und Geschlecht (13 Männer, 13 Frauen je Altersgruppe) kontrolliert. Um das Mundhöhlenvolumen zu messen, sollten die Probanden so viel Wasser wie möglich in den Mund nehmen und anschließend hinunter schlucken. Der Kieferöffnungsgrad wurde mittels der Range of Motion Scale™ (TheraBite®, Atos Medical GmbH, Troisdorf) erhoben.
Ergebnisse: Das durchschnittliche Einzelschluckvolumen betrug 29 ml (7,9 - 70,3; SD=12,9). Da sich dieser Wert signifikant vom durchschnittlichen Maximalschluckvolumen von 48,3 ml unterschied (19 – 97,3; SD=19.1; z=-6,26, p<.001, Wilcoxon zweiseitig), konnte davon ausgegangen werden, dass die Werte für das Einzelschluckvolumen einem Schluck normaler Größe entsprachen. Die Einzelschluckvolumina zwischen den Altersgruppen unterschieden sich signifikant mit einem größeren Schluckvolumen für die älteren Probanden (Gruppe 1: M=34,1 ml, SD=14,3; Gruppe 2: M=23,9 ml, SD=9; U=186,0, z=-2,78, p<.01, Mann-Whitney, zweiseitig). Es wurden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden. Bezüglich der Körperparameter zeigten sich jeweils Zusammenhänge zwischen dem Einzelschluckvolumen und dem BMI (r(50)=.404, p<.05) und dem Mundhöhlenvolumen (r(50)=.300, p<.05). Für Körpergröße und Kieferöffnungsgrad wurden keine Korrelationen gefunden.
Diskussion: Durch diese Studie konnten frühere Befunde verifiziert werden, dass das normale Schluckvolumen vom Alter, dem BMI und dem Mundhöhlenvolumen abhängt. Im Gegensatz zu anderen Studien konnte kein Einfluss der Körperparameter Geschlecht und Körpergröße auf das Schluckvolumen festgestellt werden. Weitere Forschung wird notwendig sein, um Wasserschlucktests zu entwickeln, die an die körperliche Konstitution des Patienten individuell angepasst sind und somit das individuelle Trinkverhalten wiederspiegeln. Auf diese Weise könnte die Güte von Wasserschlucktests erhöht werden
Literatur
Adnerhill, I., Ekberg, O. & Groher, M.E. (1989). Determing Normal Bolus Size for Thin Liquids. Dysphagia, 4, 1-3.
Alves, L.M.T., Cassiani, R.A., Santos, C.M. & Dantas, R.O. (2007). Gender Effect on the Clinical Measurement of Swallowing. Arq Gastroenterol, 44(3), 227-229.
Lawless, H. T., Bender, S., Oman, C.& Pelletier, C. (2003). Gender , Age , Vessel Size, Cup vs . Straw Sipping , and Sequence Effects on Sip Volume. Dysphagia, 18, 196–202.
Steele, C. M. & Lieshout, P. H. H. M. (2004). Influence of Bolus Consistency on Lingual Behaviors in Sequential Swallowing, 19, 192–206.
Wasserschlucktests in der klinischen Dysphagiediagnostik. Einzelschluckvolumen als Prädiktor für die sequentielle Schluckrate?
(W. Schindler, U. Frank)
Hintergrund: In der klinischen Schluckdiagnostik werden häufig Wasserschlucktests mit steigenden Bolusvolumina verwendet (z.B. Daniels et al. 1997; Suiter & Leder 2008). Da bei Flüssigkeitsmengen ab ca. 30 ml mehrere sequentielle Schlucke erfolgen (Ertekin et al. 1996), ist das relative Risiko bei der Gabe größerer Wassermengen u.a. abhängig von der zu erwartenden sequentiellen Schluckrate für die jeweilige Wassermenge. In dieser Studie untersuchten wir, ob das mittlere Einzelschluckvolumen als Prädiktorvariable zur Vorhersage der sequentiellen Schluckrate geeignet ist.
Methoden: In einem Repeated Measures Design wurden die folgenden Bolusvolumina bzw. Schluckraten erhoben: 4 normale Einzelschlucke (S1 – S4), 1 Maximalschluck (Smax) und die sequentielle Schluckrate (Sseq) für kontinuierliches Trinken von 150ml Leitungswasser. Zur Berechnung eines Vorhersagequotienten für die sequentielle Schluckrate wurde die Bolusmenge (150 ml) durch die durchschnittliche normale Einzelschluckmenge (MS1 – S4) geteilt. Der so errechnete Prädiktorquotient (Qprädiktor) für jeden Probanden wurde dann mit der tatsächlich beobachteten individuellen Schluckrate in Korrelations- und Regressionsanalysen verglichen.
Ergebnisse: 53 gesunde Erwachsene (Mage= 78,26) nahmen an der Studie teil. Das mittlere Normalschluckvolumen (S1 – S4) betrug 24.11 ml, das mittlere maximale Einzelschluckvolumen betrug 36.13 ml. Der Unterschied zwischen normalen und maximalen Einzelschlucken war signifikant (Wilcoxon, p <.01). Kein signifikanter Unterschied wurde zwischen den normalen Einzelschlucken gefunden (Friedman’s ANOVA, p >.05). Es bestand eine moderate Korrelation zwischen vorhergesagter (Qprädiktor) und tatsächlicher sequentieller Schluckrate (t(51)=.603; p<.01, Kendall’s tau) . Qprädiktor erklärt 43% der Datenvarianz (R2=.438, F(1,51)=39.781, p<.001), somit ist die Vorhersagestärke moderat und der Einfluss weiterer Einflussfaktoren wahrscheinlich.
Schlussfolgerungen: Das individuelle mittleren Einzelschluckvolumen ist ein valider Faktor für die Vorhersage der zu erwartenden sequentielle Schluckrate für 150ml Wasser. Der vorgeschlagene Prädiktorquotient kann dazu beitragen, das relative Risiko bei der Gabe größerer Wassermengen in klinischen Wasserschlucktests abzuschätzen. Der berechnete Prädiktorwert erklärt jedoch nur einen Teil der Datenvarianz. Daher tragen wahrscheinlich weitere Faktoren zur individuellen sequentiellen Schluckrate bei, die in weiteren Studien derzeit identifiziert werden.
Literatur
Daniels, S. K., McAdam, C. P., Brailey, K., & Foundas, A. L. (1997). Clinical assessment of swallowing and prediction of dysphagia severity. Am J Speech Lang Pathol, 6, 17-24.
Suiter, D. M., & Leder, S. B. (2008). Clinical utility of the 3-ounce water swallow test. Dysphagia, 23, 244-250.