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Rechtschreibung hoch drei – Zeichensetzung, Lesehilfen und Reformen

Großschreibung, Kommasetzung, Fremdwörter: Die Rechtschreibung ist für viele ein notwendiges Übel, die meisten ein Graus und einige wenige Gegenstand intensiver Forschung. Die Linguistin Nanna Fuhrhop versucht, das, was undurchsichtig erscheint, klar zu machen und auch zu beschreiben. Und sie findet: Eigentlich können die meisten von uns ziemlich gut rechtschreiben, selbst dann, wenn wir nicht recht schreiben.

Getrennt- und Zusammenschreibung … für Anfänger: beim Kern bleiben

Haben Sie schon mal aus Erbsen Suppe gemacht? Ergibt Erbsensuppe. Was nach einem bemühten Wortwitz klingt, belegt für Nanna Fuhrhop: „Die Rechtschreibung ist zu weiten Teilen intuitiv beherrschbar.“ Dass es oft anders wirke, liege daran, wie sie weithin vermittelt wird: „Die Getrennt- und Zusammenschreibung wird leider sehr gern über Zweifelsfälle gelehrt.“ Rad fahren etwa. Dabei sind die meisten Fälle, bei denen wir entscheiden müssen, ob wir sie zusammen oder getrennt schreiben sollten, längst nicht so kompliziert. „Wir sollten weniger über die problematischen Fälle sprechen als über die vielen klaren“, sagt die Linguistin. „Dann fällt auf: Getrennt- und Zusammenschreibung fängt mit dem Schreibenlernen an, mit dem Verständnis des Leerzeichens. Und dann erkennen wir: Wir können viel, machen nur wenige Fehler.“ So sollte Rechtschreibung – für die meisten Menschen – auch funktionieren: Wir sollten sie anwenden können. Sie auszubuchstabieren darf denen vorbehalten bleiben, die sie zu ihrem Beruf gemacht haben.

Zeichensetzung … für Fortgeschrittene: Lesehilfen statt Schreibprobleme

Lehrerinnen und Lehrer vermitteln im Deutschunterricht Wissen und verschiedene Kompetenzen: Texte lesen und verstehen, Wörter und Sätze bilden, Texte analysieren und zu verschiedensten Zwecken verfassen. Dabei lernen Schülerinnen und Schüler viel auf den unterschiedlichsten Ebenen der Grammatik: Phonologie, Morphologie, Syntax und damit verbunden auch Rechtschreibung und Zeichensetzung. Ob sie darin erfolgreich sind, wird aber nicht selten an den letzten beiden „abgelesen“ und bewertet. „Ich habe Studierenden schon Texte mit vielen Rechtschreibfehlern vorgelegt, die inhaltlich und stilistisch aber gut sind“, sagt Nanna Fuhrhop. „Es hat sich gezeigt, dass es ziemlich schwierig ist, die Fehler einfach zu ignorieren. Man muss das geradezu üben, um den Inhalt dahinter zu sehen.“ Dennoch sei es wichtig, so die Linguistin, den Wert eines Textes nicht zu sehr an seiner Rechtschreibung zu messen. Denn diese sei vor allem Mittel zum Zweck. „Wir sollten das andersherum betrachten: Alles, was das Schreiben schwierig macht, macht das Lesen einfacher.“ Leerzeichen, Groß- und Kleinschreibung, Interpunktion und vieles mehr seien vor allem eines: Lesehilfen. „Und genau so sollten wir Rechtschreibung auch unterrichten. Immerhin lesen Menschen viel mehr, als sie schreiben.“

Reformen … für Profis: Weniger Regeln sind mehr

Für viele Menschen sind Rechtschreibregeln ein Dschungel, den sie nur ungern betreten. Nanna Fuhrhop ist in der Grammatik zuhause, sie hat über „Grenzfälle morphologischer Einheiten“ promoviert und sich zur „grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung“ habilitiert. Sie kennt sich aus. Und sie sagt: Grammatik ist deskriptiv, sollte den Sprachgebrauch möglichst gut beschreiben, nicht vorschreiben. Dass das nicht immer gutgeht, zeigen zwei Beispiele aus der Geschichte. Nur fünf Jahre nach der Gründung des Deutschen Reiches 1876 gab es einen ersten Versuch, die deutsche Rechtschreibung zu vereinheitlichen. In deren Folge wurde festgelegt, Verbsuffixe wie -iren/-ieren und -inen/-ienen einheitlich mit ie zu schreiben. „Durch diese Änderung hat man dafür gesorgt, dass viele Menschen bei Fremdwörtern wie Apfelsine Probleme haben“, erklärt die Forscherin. „Eine Festlegung, die so klein aussah, wirkt sich bis heute negativ aus.“ Auch die Rechtschreibreform von 1996 hält Nanna Fuhrhop für gescheitert. „Das war viel Wind um zu wenig Änderungen“, sagt sie. „Man hätte nicht in die Rechtschreibung eingreifen sollen, sondern stattdessen die Regeln vernünftig formulieren. Durch die Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung wurden damals mit den Partikelverben 10.000 Wörter zu Ausnahmen erklärt. Das hätte man sich sparen können.“ Doch die Rechtschreibregeln besser zu formulieren, bedeute nicht, dass immer eine eindeutige Regel nötig sei, stellt sie klar. Dies empfindet sie als Freiheit, die dem durchaus flexiblen System Sprache gerecht wird. Was Nanna Fuhrhop an der deutschen Sprache besonders gut gefällt? Dass sie Weltmeisterin der Kompositabildung ist (wie „Hauptstadthochmut“). Was ihr nicht gefällt: bemühter Nominalstil. „Ich sage immer: Mut zum Verb!“ Gut gemacht führt beides ans Ziel.


Lesetipp
Nanna Fuhrhop (2020): Orthografie. Kurze Einführungen in die Germanistische Linguistik

Prof. Dr. Nanna Fuhrhop ist seit 2022 Professorin für Germanistische Linguistik an der Universität Potsdam. Sie beschäftigt sich seit langem mit Rechtschreibung und den damit verbundenen Fragen der Grammatik. 2024 wurde sie von der Kultusministerkonferenz in den Rat für deutsche Rechtschreibung berufen. Dieser ist ein zwischenstaatliches Gremium, deren 41 Mitglieder sieben Länder vertreten und das Vorschläge für die Regelung der Rechtschreibung macht.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2025 „Kinder“.