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Damit Arbeit nicht krank macht – Ein Gründer-Team an der Universität Potsdam entwickelt App gegen Psychostress

Das Team des Start-up „Humangold“. Foto: Patrick Bröker.
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Das Team des Start-up „Humangold“. Foto: Patrick Bröker.

Burnout, Depressionen, Angstzustände: Psychostress treibt immer mehr Berufstätige in die Frührente. Doch was sind eigentlich psychische Belastungen am Arbeitsplatz? Wie können sie festgestellt werden? Und vor allem: Was hilft dagegen? Drei junge Wissenschaftler haben dem Psychostress den Kampf angesagt. An der Universität Potsdam entwickelten sie ein Online-Tool, um psychische Belastungen am Arbeitsplatz schnell und sicher zu ermitteln. Eine innovative Idee, die dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ein EXIST-Gründerstipendium wert war. Noch 2019 soll ihr Start-up „Humangold“ stehen.

Dr. Robert Brauer bezeichnet sich als „Eigengewächs der Universität Potsdam“: Er hat in Golm Psychologie studiert. Anschließend ging er nach Leipzig, um zu promovieren, ehe es ihn wieder nach Potsdam zog – an den Lehrstuhl der Arbeits- und Organisationspsychologin Prof. Dr. Doris Fay. Hier hatte er damals seine Diplomarbeit in der Arbeits- und Organisationspsychologie geschrieben – bei Doris Fay und Prof. Dr. Heinz-Jürgen Rothe. Während Fay offizielle Mentorin des Projekts ist, steht der inzwischen emeritierte Rothe dem Projekt zur Analyse psychischer Belastung am Arbeitsplatz unterstützend zur Seite.

Der Zweite im Gründungsteam bringt Expertise als Ökonom ein: Dr. Patrick Bröker hat in Hannover Biochemie studiert und in Pharmakologie promoviert. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit dem Vertrieb von Medizinprodukten, bis er sich von der Start-up-Atmosphäre in Golm begeistern ließ. Seine Leitfrage – „Was muss man mit Personal machen, damit es dauerhaft motiviert bleibt?“– bildete die Basis für den Antrag, mit dem die Wissenschaftler das EXIST-Gründerstipendium eingeworben haben.

Den Dritten im Bunde nennen die beiden ihren „kreativen Kopf“: Luca Camastro ist der Jüngste, er studiert noch Computervisualistik in Magdeburg und hat das Online-Tool programmiert. Zusammen wollen sie mit ihrem Start-up psychische Gefährdungsanalysen anbieten, die vor allem kleine und mittelständische Unternehmen nutzen sollen.

Testlauf der App an der Uni Potsdam

„Wir bieten ein vollautomatisiertes, digitales System, das es den Firmen leicht macht, psychische Gefährdungen an jedem Arbeitsplatz auszumachen“, erläutert Robert Brauer das Geschäftsmodell. „Es läuft über einen Fragebogen, der online ausgefüllt und anschließend schnell und sicher verschickt wird. Sowohl die Eingabe durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die Auswertung durch das Gründer-Team läuft vollständig anonym ab.“ So soll Vertrauen aufgebaut werden.

Zudem liege die App aus Potsdam preislich deutlich unter den Angeboten der Wettbewerber, berichtet Patrick Bröker. Getestet wird die App an der Universität Potsdam. Hier hoffen die Gründer auf eine rege Teilnahme in der Verwaltung. „Wer möchte, kann mitmachen, alles ist freiwillig“, so Bröker. „Am Ende wäre es natürlich toll, mit der Referenz der Universität Potsdam aufwarten zu können.“

Den Markt für das Geschäftsmodell von „Humangold“ gibt es übrigens noch gar nicht so lange: 2013 wurde das Arbeitsschutzgesetz um einen Passus ergänzt, der klarstellt, dass eine Gefährdung am Arbeitsplatz nicht nur durch falsche Arbeitskleidung oder ein wackliges Regal, sondern auch durch psychische Belastungen entstehen kann. Demnach ist die Arbeit „so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden“ wird.

„Seit 2014 ist daher die psychische Gefährdungsbeurteilung verpflichtend im Arbeitsschutzgesetz verankert“, stellt Patrick Bröker klar. Doch gerade einmal 20 Prozent aller Arbeitgeber berücksichtigten diesen Paragrafen im Gesetz. Ihm zufolge muss jeder Arbeitsplatz auch danach beurteilt werden, ob Beschäftigte mit ihren Aufgaben überfordert sind, hoher Zeitdruck herrscht, Nachtarbeit verlangt wird, es an Pausen mangelt oder man zu wenige soziale Kontakte während der Arbeit hat.

Aufklären und Barrieren abbauen

Aktuellen Studien der Krankenkassen zufolge stiegen die Arbeitsausfälle durch psychische Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren um fast 80 Prozent. Die Kosten dafür belaufen sich auf 35 Milliarden Euro pro Jahr – Tendenz steigend, rechnet Patrick Bröker vor. „Zum einen müssen die Therapien der ‚ausgebrannten‘ Beschäftigten bezahlt werden, zum anderen kommen auf die Gesellschaft indirekte Kosten beispielsweise durch vermehrte Eintritte in die Frührente zu.“

Trotzdem passiert in Sachen Gefährdungsanalyse bisher nicht genug. „Unser Ansatz ist es, aufzuklären und Barrieren abzubauen, damit möglichst viele Firmen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ernst nehmen“, sagt der Psychologe Robert Brauer. „Derzeit arbeiten wir an Handlungsempfehlungen, die wir den Unternehmen auf Grundlage der Analyse mitgeben können. Es muss allerdings noch geprüft werden, ob der Arbeitgeber diesen Mehrwert versteht und ob er ihn haben will.“

Nach wie vor haben die Gründer mit vielen inhaltlichen Barrieren zu kämpfen. Denn Psychostress wird in der Arbeitswelt oft als Druckmittel für die Karriere eingesetzt. Unter Vorgesetzten heißt es, wenn psychische Belastungen signalisiert werden: „Hast Du Dein Team etwa nicht unter Kontrolle?“ Bevor er sich rechtfertigen muss, unternimmt so mancher Chef lieber nichts und lässt sein Team mit den Problemen alleine. „Auch hier bietet sich unsere App an“, argumentiert Bröker. „Durch das anonymisierte Verfahren wird nicht auf einzelne Mitarbeiter gezeigt und man kann sich eher darauf konzentrieren, nach Lösungen zu suchen. Auch folgen keine verdeckten Kosten“, wirbt er weiter. Zumal der Fragebogen der Gründer bereits indirekt über den TÜV Rheinland evaluiert wurde. „Das wünschen wir uns als Gütesiegel.“

Das Start-up

„Humangold“ ist ein Start-up in der Gründungsphase. Das Team hat ein System entwickelt, mit der psychische Belastungen am Arbeitsplatz effektiv analysiert werden können. Mithilfe der Expertise des Gründungsservice von Potsdam Transfer konnte das Team ein EXIST-Stipendium einwerben und sich intensiv auf den Start der „Humangold UG“ vorbereiten, die 2019 den Geschäftsbetrieb aufnehmen wird.

E-Mail: infohumangoldde

Die Wissenschaftler

Dr. Robert Brauer arbeitete als diplomierter Arbeits- und Organisationspsychologe in der Arbeitsgestaltung und promovierte zur Akzeptanz neuartiger Technik in Unternehmen. Als selbstständiger Berater und Coach verantwortet er mit dem psychologischen Know-how die Produktentwicklung.

Dr. Patrick Bröker (MBA) arbeitete in Start-ups. Später begleitete er als Gründungsberater über 35 Start-ups beim Markteinstieg. Bei „Humangold“ verantwortet er als Ökonom die Unternehmensbereiche Finanzierung und Vertrieb.

Luca Camastro studiert Computervisualistik und ist im Team zuständig für die Übersetzung des psychologischen Know-hows in die innovative und digitale Plattform.

Text: Dr. Silke Engel
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde