Zum Hauptinhalt springen

Bessere und schlechtere Welten

 Eine Welt ist nicht genug. Zur Faszinationsgeschichte populärer Entwürfe divergenter Lebens- und Wissensformen

Matthias Schwartz (ZfL, Berlin, Literaturwissenschaft)

Fantastische Weltentwürfe stehen im engen Zusammenhang mit der Gesellschaft ihrer Zeit. Sie funktionieren wie Seismographen, an denen sich politische Konflikte, religiöse Tabus und kollektive Wunsch- und Angstvorstellungen in verfremdeter Form ablesen lassen. Spätestens seit der Neuzeit sind sie aber auch das Medium, in dem eine rationalistische Säkularisierung, imperiale Eroberung und wissenschaftliche Entzauberung der Welt zur Disposition gestellt werden können. Science Fiction handelt von den unheimlichen und dystopischen Nachtseiten der Moderne, denen sie in Form anderer Lebensweisen und divergenter Wissensmodelle imaginäre Gestalt gibt. Gerade angesichts einer weitgehenden Globalisierung aller irdischen Lebensbereiche bekommen solche Faszinationsgeschichten alternativer Welten eine ungeahnte Aktualität.

Matthias Schwartz
Foto: Matthias Schwartz

Slawist und Historiker am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL), Berlin. Forschungen u.a. zu sowjetischen und postsowjetischen Populärkulturen, Wechselwirkungen von Wissenschaften und Künsten, Kulturgeschichte der Raumfahrt, osteuropäischen Gegenwartsliteraturen sowie Erinnerungskulturen des Zweiten Weltkriegs; Jüngste Buchpublikationen: Schalamow. Lektüren (2018, Mitherausgeber), Kulturheros. Genealogien – Konstellationen – Praktiken (2017, Mitherausgeber), Eastern European Youth Cultures in a Global Context (2016, Mitherausgeber), Expeditionen in andere Welten. Sowjetische Abenteuerliteratur und Science Fiction von der Oktoberrevolution bis zum Ende der Stalinzeit (2014), Gagarin als Archivkörper und Erinnerungsfigur (2014, Mitherausgeber). Mail: schwartz@zfl-berlin.org

Matthias Schwartz
Foto: Matthias Schwartz

Leibniz und die Suche nach der besten aller Welten

Rainer Schimming (Universität Greifswald, Mathematik)

Jede Wertung ist mit einem Vergleich verbunden. Findet man diese unsere Welt mehr oder weniger gut oder schlecht, so vergleicht man sie – explizit oder implizit – mit alternativen Welten, welcher Art auch immer. Bei Leibniz sind die möglichen Welten Gedanken Gottes. Der Schöpfer überblickt, so wird sinngemäß argumentiert, alle Baupläne und erwägt alle Grund-Folge-Beziehungen. Er wählt die beste aller Welten aus und überführt diese vom Status der Möglichkeit in den Status der Wirklichkeit. Neuere Zweige der naturwissenschaftlichen Kosmologie handeln von diversen wirklichen Welten, autonomen “Blasen” oder “Branen” (je nach Theorie) in einem größeren (meist höherdimensionalen) physikalischen Raum. Die Lehre von vielen “Universen” im “Multiversum” führt zu einem neuen Anthropozentrismus. Denn die Universen variieren laut Theorie beträchtlich; fast alle sind unbewohnt. Unser Kosmos ist ausgezeichnet, eine extreme Ausnahme, indem er bewohnt ist. Das Kopernikanische Weltbild hat im ganz großen Maßstab ausgedient. Modale Logik, genauer ihre übliche Semantik, hat eine Vielheit der Welten vorausgedacht. Die Modalitäten beziehen sich auf ein Ensemble von Welten: Notwendig, möglich, kontingent ist etwas, das in allen, in einigen, in manchen aber nicht in allen Welten der Fall ist, respektive.

Foto: Uni Greifswald

Rainer Schimming. Geboren 1944 in Rathenow, seit 1952 mit Unterbrechungen wohnhaft in Potsdam. Studium der Mathematik ab 1964 in Leipzig, 1971 Promotion, 1979 Habilitation dort. Ab 1981 Universitätsdozent in Greifswald. Lehrgebiete Analysis und Geometrie, Forschungsgebiet Mathematische Physik. Etwa 100 wissenschaftliche Veröffentlichungen. Post-Doc-Aufenthalt 1975/76 in Kiew, Sabbatical 1986 am Einstein-Laboratorium in Potsdam. Seit 1996 Professor in Greifswald. Im Ruhestand verstärkte Beschäftigung mit Philosophie.

Foto: Uni Greifswald